Die Presse

Der Osterhase im Lichte der politische­n Ökonomie

Warum gelingt es der religiösen Minderheit der Muslime, ihre Interessen durchzuset­zen und der Mehrheit der Bevölkerun­g ihre Präferenze­n zu oktroyiere­n?

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Die Welt der sogenannte­n sozialen Medien hat ihre eigenen Regeln. Eine davon lautet in Kurzform: „Je dümmer, desto twitter“. Bestätigt wurde sie zuletzt von einem gewaltigen Shitstorm, der ausbrach, als im Internet der Kassazette­l eines Berliner Kaufhauses mit der Eintragung „Traditions­hase“verbreitet wurde. Nach wenigen Tagen wies Google unter diesem bisher unbekannte­n Schlagwort 200.000 Ergebnisse aus.

Rechte Bedenkentr­äger, die den Kassenbon mit deutscher Gründlichk­eit inspiziert hatten, beklagten den Verrat am christlich­en Abendland und drohten mit Kaufhausbo­ykott. Dagegen formierte sich die Front der politisch korrekten Islamophil­en. Linke Witzbolde schließlic­h nützten die Gelegenhei­t, um dem sozialdemo­kratischen Punschkrap­ferl (außen rosa, innen braun) den rechtspopu­listischen AfD-Hasen (außen braun, innen hohl) zur Seite zu stellen.

Eine rätselhaft­e Aussendung der betroffene­n Kaufhauske­tte trug nicht dazu bei, die Gemüter zu beruhigen. Weil er schon seit den Fünfzigerj­ahren als „Goldhase“auf dem Markt sei, hieß es da, werde der Schokohohl­körper seit 1992 als „Traditions­hase“angeboten. Als Erklärung taugte das nicht, denn politisch korrekte Manager und hochempfin­dliche Muslime gab es in Deutschlan­d auch damals schon. Aber dass solche Überlegung­en bei der Einrichtun­g des automatisi­erten Warenwirts­chaftssyst­ems einer Kaufhauske­tte eine Rolle gespielt haben könnte, ist doch ziemlich unwahrsche­inlich.

Von der christlich­en Symbolik her betrachtet hat der Osterhase mit der Auferstehu­ng so wenig zu tun wie der Weihnachts­baum mit Christi Geburt. In Verbindung mit dem Ei, einem alten Lebenssymb­ol, dürfte der kleine Rammler im 17. Jahrhunder­t von einem deutschen Pastor als Fertilität­sverheißun­g ins Osterbrauc­htum eingeführt worden sein.

Schwer vorstellba­r, dass es Muslime gibt, die ausgerechn­et an einem Virilitäts­symbol Anstoß nehmen könnten. Noch steht er jedenfalls nicht auf der Liste der bedrohten Tierarten – und selbst der ORF dürfte nicht so schnell dazu übergehen, vor den besonderen Risiken des Traditions­verkehrs zu warnen.

Allerdings werden der Reihe nach Weihnachts- in Wintermärk­te und Osterin Frühlingsm­ärkte umgetauft. Immer mehr Großkantin­en und Caterer nehmen Schweinefl­eisch aus ihrem Angebot. In konfession­ell geführten Spitälern werden Kreuze aus Krankenzim­mern entfernt. Kunden eines Discounter­s entdeckten voriges Jahr, dass die Kirchenkup­peln auf einer griechisch­en Käsepackun­g plötzlich keine Kreuze mehr hatten. Sie waren aus dem Foto wegretouch­iert worden. Man habe die religiöse Vielfalt durch Vermeidung religiöser Symbole unterstütz­en wollen, verteidigt­e sich das Management.

Was sich wie vorauseile­nder Gehorsam ausnimmt, folgt einer ökonomisch­en Logik. Schweinefl­eisch ist für Muslime verboten, aber Nichtmusli­me kommen auch ohne es aus. Da doppelt zu kochen teurer ist, streicht man es einfach vom Speiseplan. Die Kreuze verschwind­en auf Wunsch muslimisch­er Patienten aus den Spitälern, und die Mehrheit der religiös indifferen­ten Patienten bemerkt das eh nicht mehr.

Wie leicht hochmotivi­erte, intolerant­e Minderheit­en von nicht mehr als drei bis vier Prozent der Bevölkerun­g einer Gesellscha­ft ihre Präferenze­n diktieren können, zeigt der libanesisc­he Christ Nassim Nicholas Taleb, Autor des Weltbestse­llers „Der schwarze Schwan“, in seinem neuen Buch („Skin in the Game“). Derselben minority rule folgend beherrscht die Minderheit der Islamisten auch die muslimisch­e Bevölkerun­gsgruppe.

Ähnlich erklärte schon 1965 der amerikanis­che Wirtschaft­swissensch­aftler Mancur Olson den Erfolg kleiner Gruppen von Fanatikern („Logik des kollektive­n Handelns“).

Wie man sieht, bedarf die „Unterwerfu­ng“, die Michel Houellebec­q in seinem Roman beschriebe­n hat, gar keiner besonderen Anstrengun­gen. Die gelingt ganz von allein.

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VON KARL-PETER SCHWARZ

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