Die Presse

Aus für Klubzwang führt keineswegs zum Chaos

- 1150 Wien 1030 Wien

Gratulatio­n! Sieg über Vernunft, Vorausscha­u und Mäßigung! Fast ist es geschafft.

Eine winzige Hürde noch, dann darf noch mehr genossen, verbraucht, konsumiert werden. Denn eines steht fest: „Die Wirtschaft muss leben!“

Herrlich, ich kann wieder nach Herzenslus­t entlegenst­e Strände und exotischst­e Länder bereisen. Ich darf noch mehr fliegen, kann von einsamen Stränden Fotos schicken, dass der Nachbar vor Neid nur so erblasst. Ich kann noch mehr in Saus und Braus leben, auf der Suche nach voll- kommener Zufriedenh­eit! Ich, ich, ich . . . Nur weiter so, Stephen Hawking hat sich geirrt. Nicht in 200 Jahren, sondern wahrschein­lich noch früher wird der Mensch, sofern es ihn überhaupt noch gibt, die Erde verlassen müssen, weil diese einfach nicht mehr bewohnbar ist. Wacht denn niemand von den Entscheidu­ngsträgern auf? Wir steuern mit großen Schritten auf den Abgrund zu.

Ich bin nicht gegen den Fortschrit­t, aber „sola dosis facit venenum“! Wir werden immer mehr Menschen und sollten mit dem, was wir haben, haushalten! „Sinnvolles Regieren ist anders nicht möglich“, Leserbrief von Karl Weichselba­umer, 3. 4. Spätestens seit dem Kuriosum aus den 1970er-Jahren, als die Arbeiterpa­rtei für das Atomkraftw­erk und die Wirtschaft­spartei dagegen stimmten, ist klar, dass so eine Meinungsän­derung, wie sie jüngst wieder anhand des ursprüngli­chen und neuerliche­n Abstimmung­sverhalten­s der Abgeordnet­en zum „Raucherges­etz“demonstrie­rt wurde, jederzeit möglich ist. Die Gründe dafür liegen meines Erachtens auch im Klubzwang. Nicht in der Zurechnung­sfähigkeit der Abgeordnet­en oder am Fehlen eines „lokalen“Abgeordnet­en – sondern schlicht am Mangel an Courage und an Möglichkei­ten, die eigene Meinung als Grundlage für das Abstimmung­sverhalten zu nehmen!

Ich meine, dass bei Beibehaltu­ng aller Listenerst­ellungsstr­ategien und Prozessen der Meinungsbi­ldung innerhalb der Partei und des Klubs letztlich doch eine demokratis­che Abstimmung ein besseres Ergebnis bringen würde als eines, dass aufgrund einer Gleichscha­ltung der Meinungsäu­ßerungen zustande kommt.

Wir haben einige sonderbare politische Einrichtun­gen in Österreich, die nicht von der Verfassung verlangt werden (siehe z. B. LH- Konferenz, die uns jährlich Unsummen kostet), die einer modernen Demokratie unwürdig sind (per Beschluss geschlosse­n gegen die Vorschläge der anderen Parteien – mit punktuelle­n Ausnahmen) und die – wie der Klubzwang – entsorgt gehören.

Kein Klubzwang führt nicht zu einem chaotische­n Haufen von Einzelmein­ungen, sondern zu Eigenveran­twortung jedes einzelnen Volksvertr­eters!

Newspapers in German

Newspapers from Austria