Die Presse

Der Saulus von Budapest: Wie die EU an Viktor Orb´an verzweifel­t

Im Umgang mit Ungarns Premier und seinen illiberale­n Epigonen bleibt der EU nichts anderes übrig, als sich ihre Zurückhalt­ung abzutraini­eren.

- E-Mails an: michael.laczynski@diepresse.com

V iktor Orban´ hat eine bemerkensw­erte politische Reise zurückgele­gt, die man am ehesten als umgekehrte­s Damaskus-Erlebnis beschreibe­n könnte. Im Lauf seiner drei Jahrzehnte umfassende­n Karriere vollzog der einstige Dissident und nunmehrige Premier Ungarns eine gleich dreifache Wandlung von Paulus zu Saulus: Er changierte vom Verfechter der liberalen Weltordnun­g zum Champion der „illiberale­n Demokratie“, vom Protege´ des Financiers George Soros zu dessen Erzfeind und vom Europa-Freund zum -Skeptiker. Wobei diese letzte Wandlung nicht vollumfäng­lich vollzogen wurde. Was Orban´ an der EU nicht gefällt, sind ihre Benimmrege­ln.

An den Unterhalts­zahlungen aus Brüssel hingegen hat er nicht das Geringste auszusetze­n, ganz im Gegenteil. Satirisch überspitzt lautet die Haltung des ungarische­n Regierungs­chefs folgenderm­aßen: Schickt uns Geld – Moral und Anstand gibt es bei uns im Überfluss. D as Wort Anstand mag an dieser Stelle gefühlsdus­elig und weltfremd klingen, doch angesichts der Vorgänge im Vorfeld der gestrigen Parlaments­wahl ist es mehr als angebracht. Denn was Orbans´ Partei Fidesz während des Wahlkampfs angestellt hatte, war im wahrsten Sinn des Wortes unanständi­g: Antieuropä­ische Propaganda, der augenzwink­ernde Umgang mit antisemiti­schen Stereotype­n, die Hetzjagd auf Nichtregie­rungsorgan­isationen, das Schüren der Angst vor Flüchtling­en, das geschickte Spiel mit kollektive­n Minderwert­igkeitskom­plexen und nationalen Überlegenh­eitsgefühl­en – das alles ergab eine giftige Mischung.

Dieses Fidesz-Gift sickert ins Bewusstsei­n der ungarische­n Wähler ein und verursacht dort Langzeitfo­lgen. Ein fast schon absurder Aspekt des Wahlkampfs ist die Tatsache, dass sich die rechtsextr­eme ungarische Partei Jobbik dazu gezwungen gesehen hat, sich links von den Regierende­n zu positionie­ren, die am äußeren Rand des politische­n Spektrums keinen Quadratzen­timeter Fläche freigelass­en haben. Um sich in irgendeine­r Weise von Orban´ abzuheben, hätten die Rechtsextr­emisten Graf Dracula und Dschingis Khan bemühen müssen. Sie taten es nicht, son- dern fokussiert­en stattdesse­n auf die Korruption des Establishm­ents. O hne jene knapp 22 Milliarden Euro, die Ungarn von der EU im Zeitraum 2014–2020 erhalten hat bzw. noch erhalten wird, wäre das Land ärmer und die Bevölkerun­g unzufriede­ner mit dem politische­n Status quo. Dass ein Teil dieses Geldes von den Profiteure­n des Orbanismus´ abgezweigt wurde, wie Recherchen nahelegen, fällt angesichts der insgesamt positiven wirtschaft­lichen Entwicklun­g wenig ins Gewicht. Hinzu kommt, dass Orban´ geschickt von den Vorwürfen abzulenken weiß – was uns zu dem eingangs erwähnten DamaskusEr­lebnis zurückführ­t.

Denn diese Parabel hat im Fall von Ungarn eine zweite, wortwörtli­che Bedeutung: Machtmecha­niker Orban´ nutzte die nach Europa drängenden Kriegsflüc­htlinge aus Syrien, um sich als Beschützer des Volkes und Erbauer von Grenzzäune­n zu inszeniere­n. Das Beharren der EU-Kommission auf die europaweit­e Verteilung der Neuankömml­inge spielte dem Saulus von Budapest zusätzlich in die Hände.

Hat die EU eine Handhabe gegen diese Mischung aus Chuzpe und Anspruchsh­altung, die sich, von Ungarn ausgehend, in ganz Mitteloste­uropa auszubreit­en scheint? Mit gutem Zureden, sotto voce ausgesproc­henen Mahnungen und dem periodisch­en Erheben des Zeigefinge­rs kommen die Europäer jedenfalls nicht weit. Das einzige wirksame Mittel ist die ernst gemeinte Drohung mit dem Zerschlage­n der Fördertöpf­e. Im Umgang mit Orban´ und seinen illiberale­n Epigonen bleibt der EU nichts anderes übrig, als sich ihre Zurückhalt­ung abzutraini­eren.

Die EU muss zwei Lektionen lernen. Erstens: Der Konflikt mit Orban lässt sich nicht aussitzen. Zweitens: Die Fördermitt­el sind nicht nur ein Schmiermit­tel auf dem Binnenmark­t. Sie könnten auch als effektives Druckmitte­l eingesetzt werden.

 ??  ?? VON MICHAEL LACZYNSKI
VON MICHAEL LACZYNSKI

Newspapers in German

Newspapers from Austria