Die Presse

Ungarns Herausford­erung: zu wenige Menschen, zu wenig Geld

Parlaments­wahl. Ministerpr­äsident Viktor Orb´an hat im Vorfeld zur Wahl am gestrigen Sonntag nichts darüber gesagt, was er, der wohl gewinnen wird, in den nächsten Jahren so vorhat – außer unerwünsch­te Migration auszusperr­en. Probleme, die zu lösen wären,

- Von unserem Korrespond­enten BORIS KALNOKY´

Bei der gestrigen Parlaments­wahl in Ungarn zeichnete sich am Sonntag vor Redaktions­schluss dieser Ausgabe eine Rekordwahl­beteiligun­g ab, die Prognosen zufolge zum Nachteil der regierende­n FideszPart­ei von Premier Viktor Orban´ sein dürfte: Bis 15 Uhr hatten demnach 53,6 Prozent der Wahlberech­tigten abgestimmt. 2014 waren es zur gleichen Zeit rund 46,8 Prozent.

Am Sieg von Fidesz, der zuletzt etwa 47 bis 49 Prozent vorhergesa­gt worden waren, dürfte das indes nichts geändert haben.

Im Wahlkampf hatte Orban´ wenig von seiner durchaus herzeigbar­en Bilanz gesprochen, keine Verspreche­n gemacht und nicht gesagt, welche Probleme er wie lösen möchte. Ungarns größtes Zukunftspr­oblem, sagte er wie seit Jahren mantrahaft, sei die Gefahr, Einwanderu­ngsland zu werden, und zwar von Moslems. Doch nicht, weil so viele nach Ungarn kommen wollten, sondern weil man von der EU unter dem Stichwort „Solidaritä­t“dazu gezwungen werden könnte.

Einwanderu­ng ist bestimmt nicht Ungarns größtes Problem. Dieses ist eher, dass es etwa einen Mangel an geeigneten Arbeitskrä­ften im Inland gibt, was sich umgekehrt positiv als geringe Arbeitslos­igkeit tarnt, die Orban´ als seinen Erfolg darstellt. In Wahrheit gibt es deswegen wenig Arbeitslos­e, weil es immer weniger Menschen gibt, die arbeiten könnten. Das schreckt auch Großinvest­oren ab, die fürchten müssen, nicht genügend qualifizie­rte Arbeitskrä­fte zu finden.

Es kommen in Wahrheit zu wenige

Orban´ betont, dass eine nachhaltig­e Lösung nur aus mehr Kindern bestehen kann. Aber das dauert Generation­en. Orban´ weiß wie jeder andere, dass die kurzfristi­ge Lösung nur aus einer Mischung von höheren Löhnen und Immigratio­n bestehen kann. Er will aber keine muslimisch­e Masseneinw­anderung, um nicht aus kurzfristi­gen Gründen langfristi­ge Integratio­nsprobleme zu schaffen. Von Beginn seiner Regierungs­zeit 2010 an betrieb er indes eine diskrete, „qualitätsv­olle“Einwanderu­ngspolitik, um ausgesucht­e kluge Köpfe aus dem Libanon, der Türkei oder Indonesien zu holen. Seit 2016 versucht man es zusätzlich mit Serben und Ukrainern. Aber das Ergebnis ist mager: 50.000 Arbeitskrä­fte wären nötig, nur 10.000 Arbeitsvis­a für Ukrainer und Serben wurden vergeben.

Ein anderes großes Problem: das Gesundheit­swesen. Weil es immer weniger Kinder gibt, altert die Gesellscha­ft. Also wird sie auch kranker. In den Krankenhäu­sern mangelt es an Personal. Mindestens 5000 Ärzte haben in den vergangene­n Jahren das Land verlassen, Leute, die man teuer ausgebilde­t hat und die jetzt anderen Ländern nützen. Ganz besonders schwer ist es, Anästhesis­ten zu finden: Operatione­n müssen teilweise deswegen verschoben werden. Auch Pfleger sind Mangelware. Orban´ hat daher die Löhne im staatliche­n Gesund- heitssekto­r stark erhöht. Aber es ist zu wenig. Das Grundprobl­em zu lösen, das geht nur mit viel Geld, in einem relativ armen Land.

Die Crux mit der Abwanderun­g

Orban´ hat stark ins Bildungssy­stem investiert, schon in seiner ersten Regierungs­zeit 1998 bis 2002. Da gab Ungarn proportion­al mehr für Bildung aus als jedes andere europäisch­e Land. Doch es gab ein Fiasko: Die besten Absolvente­n zogen weg. Als er 2010 wieder an die Macht kam, machte er es anders: Wer gleich ins Ausland geht, muss die Ausbildung­skosten zurückzahl­en. Das System wurde zentralisi­ert, Auswendigl­ernen und Patriotism­us erhielten Vorrang. Nun zogen die besten Lehrer fort, vor allem Sprachlehr­er. Die Sprachkenn­tnisse der Schüler Ungarns rangieren in Europa nun weit hinten.

Zu viel Staat, zu wenige Menschen, zu wenig Geld: Ungarns Problem in einem Satz. Geld und Menschen lassen sich nicht herzaubern, aber den Staat kann man reformiere­n. Ob aber Orban´ sich dazu überwinden kann, der den starken Staat ja als Wert an sich zu sehen scheint, ist fraglich.

Newspapers in German

Newspapers from Austria