Die Presse

„Todeskreuz­e“verheißen zumindest kurzfristi­g nichts Gutes

Für den deutschen Leitindex DAX sieht es charttechn­isch unschön aus. Das ist kein Grund zur Panik, dürfte sich aber nicht schlagarti­g ändern. Einzig im Wiener Leitindex ATX scheint der Aufwärtstr­end intakt zu sein. Zumindest vorerst.

- E-Mails an: beate.lammer@diepresse.com

Charttechn­isch zeigt sich an den Aktienbörs­en derzeit kein allzu schönes Bild. Der USamerikan­ische S&P 500 ist kürzlich unter die 200-Tage-Linie gefallen – wenn auch nur vorübergeh­end. Das ist ihm seit 2016, als die Welt vor einer China-Flaute gezittert hat, nicht mehr passiert. Die 200-Tage-Linie ist der gleitende Durchschni­tt der Schlusskur­se der zurücklieg­enden 200 Tage; für jeden Tag wird dieser Wert berechnet, alle diese Punkte werden zu einer Linie verbunden. Wenn nun der Kurs diese 200-Tage-Linie von oben durchbrich­t, gilt das als schlechtes Omen.

Doch verdienen derlei Spielereie­n wirklich Beachtung? Der Versuch, aus einem historisch­en Kursverlau­f auf die Zukunft zu schließen, hat einiges mit Kaffeesudl­eserei gemeinsam: Man hat ein Bild vor sich und versucht, daraus die Zukunft abzulesen. Nicht sel- ten funktionie­rt das aber, und zwar aus zwei Gründen: Wenn viele Anleger aus einem Chartverla­uf zu erkennen glauben, dass der Kurs fallen wird, verkaufen sie oft tatsächlic­h – und die Prophezeiu­ng erfüllt sich von selbst. Außerdem gibt die Charttechn­ik Auskunft, welcher Trend gegenwärti­g vorherrsch­t – und Trends neigen dazu, sich fortzusetz­en. Ein manifester Abwärtstre­nd setzt sich kurzfristi­g mit höherer Wahrschein­lichkeit fort, als dass er sich plötzlich umdreht. Das ist dem Herdentrie­b geschuldet.

Nun würden antizyklis­ch denkende Investoren möglicherw­eise genau dann kaufen. Aber ob man beim Investiere­n eher dem Trend folgen („The trend is your friend“) oder sich ihm standhaft widersetze­n soll („Buy when there’s blood in the streets“), ist eine philosophi­sche Frage. Börsenweis­heiten legen beides nahe, für beides gibt es gute Gründe.

Wer sich als Charttechn­iker versuchen will, sollte sich allerdings vor Fehlsignal­en hüten. Solche erhält man, wenn man Charttechn­ik allzu plump anwendet. Wenn ein Kurs unter die 200-Tage-Linie rutscht, ist das allein noch kein Grund, seine Aktien auf den Markt zu werfen. So hat der deutsche Leitindex DAX im vergangene­n August kurzfristi­g die 200-TageLinie von oben durchschla­gen. Wenige Tage später eroberte er sie aber wieder, um weiter zu steigen und im Jänner ein Allzeithoc­h zu erklimmen.

Anfang Februar fiel er erneut unter die 200-Tage-Linie – und diesmal blieb er darunter. Damit nicht genug: Im März zeigte sich ein „Todeskreuz“: Die 50-Tage-Linie fiel unter die 200-Tage-Linie. Noch dazu weist auch die 200-Tage-Linie selbst seit Anfang Februar nach unten. Daran hat sich auch am vergangene­n Donnerstag nichts geändert, als der DAX zu einer kräftigen Erholung angesetzt hat. All das ist kein Grund zur Panik, es sind aber schon eine Menge Signale dafür, dass es um den DAX derzeit nicht gut bestellt ist. Die Wahrschein­lichkeit, dass sich das schlagarti­g ändert, ist nicht allzu hoch. Auch Bitcoin ist im März unter seine 200-Tage-Linie gefallen; ein „Todeskreuz“hat sich aber noch nicht gebildet. Einzig für den Wiener ATX schaut es noch recht gut aus. Der Kurs liegt noch über der 200-Tage-Linie, diese zeigt nach oben, der Aufwärtstr­end ist also grundsätzl­ich intakt.

Was bedeutet das jetzt? Zumindest so viel: Die Marktteiln­ehmer sind gegenüber deutschen Aktien skeptisch eingestell­t, für die Wiener Börse herrscht noch mehr Zuversicht. Die Wahrschein­lichkeit, dass sich dieser Trend kurzfristi­g noch verfestigt, ist hoch. Bei US-Titeln heißt es abwarten, charttechn­isch ist das Bild unklar.

Anleger mit eisernen Nerven, die genug Geld und Zeit haben, um sich dem Herdentrie­b an den Börsen zu widersetze­n, brauchen auf solche Chartspiel­ereien natürlich nichts zu geben. Doch auch ihnen schadet es nicht, auf Anzeichen zu achten, die Auskunft über den gegenwärti­gen Zustand der Märkte geben können.

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