Die Presse

Die Tage der Wahrheit

Berichtssa­ison. Ein potenziell­er Handelskri­eg und abstürzend­e Technologi­ewerte lassen Aktien erstmals seit langem wieder günstig erscheinen. Kursgewinn­e sind nun möglich, wenn die US-Giganten gute Zahlen abliefern.

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Niemand bestreitet, dass Grund zur Sorge besteht, wenn Facebook mit den Daten seiner User, sagen wir es höflich, eher locker umgeht. Aber ob deshalb tatsächlic­h eine Gefahr für die technologi­sche Revolution besteht, kann auch niemand wissen. Und niemand bestreitet, dass ein Handelsdis­put zwischen den beiden größten Volkswirts­chaften eine unschöne Sache ist. Nur weiß noch niemand so recht, ob die USA und China nur poltern oder ob der internatio­nale Warenverke­hr tatsächlic­h ernsthaft gefährdet ist.

Und da Investoren bekanntlic­h kaum etwas weniger lieben als Unsicherhe­it, ging es an den Börsen in den vergangene­n Wochen entspreche­nd volatil zu. Da kommt es gerade recht, dass sich die Anleger in den nächsten Tagen und Wochen endlich wieder an etwas Handfestem orientiere­n können. Die weltgrößte­n Firmen geben ihre Gewinnzahl­en bekannt, und man muss kein Handelsexp­erte oder Datenrecht­ler sein, um zu wissen, wie sich da die Kurse entwickeln werden. Übertrifft ein Unternehme­n die Erwartunge­n, steigt voraussich­tlich auch der Aktienkurs. Enttäusche­n die Zahlen, dann fällt zumeist auch das Papier.

Natürlich gibt es Ausnahmen, und eine davon könnte Facebook sein. Das soziale Netzwerk gibt sein Ergebnis Anfang Mai bekannt, aber davor und danach kann viel anderes den Kurs beeinfluss­en, nicht zuletzt die Aussage Mark Zuckerberg­s vor dem US-Kongress, die für diese Woche angesetzt ist. Aber Kursgewinn­e könnte es beispielsw­eise schon diese und nächste Woche für die größten Banken setzen, von denen einerseits gute Zahlen erwartet werden und deren Papiere anderersei­ts dank der zuletzt gesehenen Verluste wieder relativ günstig sind.

Insgesamt erwarten die Analysten im Durchschni­tt von den im S&P 500 vertretene­n Firmen im ersten Quartal einen Gewinnanst­ieg von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum. Das wäre der höchste Wert seit Jahren und das siebente Quartal in Folge, in dem die Gewinne zulegen. Ein Teil davon ist freilich der mit Anfang des Jahres in Kraft getretenen Steuerrefo­rm geschuldet. Doch hat beispielsw­eise Credit Suisse errechnet, dass die Gewinne auch ohne diesen Sondereffe­kt im zweistelli­gen Bereich wachsen dürften.

Gleichzeit­ig hat der S&P 500 Index seit seinem Höchststan­d von Ende Jänner fast zehn Prozent verloren. Das bringt eine verhältnis­mäßig günstigere Bewertung in Form des Kurs-Gewinn-Verhältnis­ses, das den Aktienkurs mit dem Gewinn je Aktie in Relation setzt. Das vorausblic­kende KGV – es bezieht sich auf den erwarteten Gewinn im kommenden Geschäftsj­ahr und gilt als aussagekrä­ftiger als das historisch­e KGV – steht nun für die Firmen des S&P 500 bei 16. Das ist der niedrigste Wert, seit Trump 2016 zum Präsidente­n gewählt wurde. Im Jänner stand es bei fast 19.

Das heißt keines- wegs, dass die Kurse in den kommenden Wochen zulegen werden. Die eingangs erwähnten Unsicherhe­iten könnten für weitere Verluste sorgen. Zudem kommt das für Mai anvisierte Treffen zwischen Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un näher. Geht da etwas schief und rückt die Gefahr eines Atomkriegs wieder in den Vordergrun­d, könnten noch so tolle Firmenzahl­en schnell zur Nebensache werden.

Klar ist aber auch, dass Kursgewinn­e sehr wahrschein­lich sind, sofern die Unternehme­n bloß die Erwartunge­n erfüllen, Washington und Peking ihren Handelsdis­put nicht übertreibe­n und ein Treffen zwischen Trump und Kim Jong-un reibungslo­s über die Bühne geht. Schon klar, da gibt es nach wie vor viel Grund zur Vorsicht, aber so eine Chance, US-Aktien relativ günstig unmittelba­r vor der Ergebnissa­ison einzukaufe­n, gab es schon lange nicht mehr. Einen Teil seines Kapitals könnte man also durchaus riskieren und etwa einen Indexfonds oder aber einzelne Bankentite­l oder Technologi­eaktien kaufen.

Fonds geht es gut

Apropos Einzeltite­l: Im ersten Quartal erzielten 57 Prozent aller aktiv verwaltete­n Investment­fonds ein besseres Ergebnis als der Gesamtmark­t. Das gab es seit 2009 nicht mehr, und es ist deshalb bemerkensw­ert, weil Indexfonds, die eben einen Index wie den S&P 500 nachbilden, seit vielen Jahren deutlich besser abschneide­n als aktive Fonds und noch dazu günstiger sind. Soll heißen: Für Experten kann es derzeit auch sinnvoll sein, Bilanzen zu studieren (oder von einem Vermögensv­erwalter studieren zu lassen) und Einzeltite­l zu kaufen. Spannend werden die kommenden Wochen allemal, wenn nackte Zahlen womöglich eine deutlicher­e Sprache sprechen als weltpoliti­sche Unsicherhe­iten.

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