Die Presse

Rollstuhl muss bei Straßenfah­rt nicht leuchten

Schadeners­atz. Ein Lkw-Lenker wandte nach dem Unfall mit einem Rollstuhlf­ahrer ein, dass dieser im Dunkeln ohne Licht und dunkel gekleidet auf der Straße gefahren sei. Es gebe keine Beleuchtun­gspflicht für Rollstühle, urteilt das Höchstgeri­cht.

- MONTAG, 9. APRIL 2018 VON PHILIPP AICHINGER

Es ging um fast 30.000 Euro Schadeners­atz und um die Frage, ob den Fahrer eines Klein-Lkw die Alleinschu­ld an einem Unfall trifft. Der Wagen der Marke Fiat Doblo Cargo war außerhalb des Ortsgebiet­s mit einem Rollstuhlf­ahrer kollidiert, der mangels Gehsteigs auf der Fahrbahn unterwegs war. Der Unfall geschah um 17.30 Uhr an einem Tag im Jänner, weswegen es schon dunkel war. Daher stellte sich im Prozess vor allem eine Frage: Hätte der Rollstuhlf­ahrer Vorsichtsm­aßnahmen ergreifen müssen, damit ihn Autofahrer besser erkennen?

Der Rollstuhlf­ahrer war auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause. Sein Rollstuhl wurde mit der Hand betrieben, er verfügte weder über Beleuchtun­g noch über Reflektore­n. Auf der Sitzfläche war der Rollstuhl schwarz, die Metallteil­e in Silber gehalten. Bekleidet war der Rollstuhlf­ahrer zum Unglücksze­itpunkt mit mittelhell­en Jeans und einer dunkelblau­en Jacke. Auf dieser verlief über dem Brustberei­ch hin zu den Oberarmen je ein weißer und ein roter Streifen.

Während der Rollstuhlf­ahrer die Straße entlangfuh­r, wurde er von einem Fahrzeug überholt. Der von der Gegenricht­ung kommende Lenker des Klein-Lkw blieb stehen, um dieses Fahrzeug vorbeifahr­en zu lassen. Dann beschleuni­gte er seinen Lkw wieder auf circa 35 km/h. Als dem Rollstuhlf­ahrer klar wurde, dass ihn der Lenker des KleinLkw nicht sah, hielt er an, da er so schnell nicht ausweichen konnte. Strittig blieb, ob der Mann dabei einen halben Meter vom linken Fahrbahnra­nd entfernt war oder sich in der Mitte der Fahrbahn befand.

Als der Lkw-Lenker den Rollstuhlf­ahrer wahrnahm, leitete er eine Vollbremsu­ng ein und lenkte sein Fahrzeug ein wenig nach rechts. Der Klein-Lkw kollidiert­e aber dennoch mit einer Geschwindi­gkeit von rund 10 km/h mit dem Rollstuhl des Klägers.

Der verletzte Rollstuhlf­ahrer klagte den Lenker, den Halter des Fahrzeugs und dessen Versicheru­ng. Der Lenker des Wagens sei allein schuld an dem Unglück gewesen, erklärte der Rollstuhlf­ahrer. Der Lkw-Fahrer sei zu schnell unterwegs gewesen und habe nicht aufgepasst. Und ihn als Rollstuhlf­ahrer habe man erkennen müssen, er habe ja sogar eine Jacke mit weißen Streifen getragen.

Ein Rollstuhl ist kein Fahrzeug

Der Lkw-Fahrer entgegnete, der Rollstuhlf­ahrer sei alleine für das Geschehene verantwort­lich. Denn dieser sei unbeleucht­et und dunkel gekleidet in der Mitte der Straße gefahren. Dabei habe ihm bewusst sein müssen, dass er bei Auftreten einer gefährlich­en Situation nicht rasch reagieren könne.

Das Landesgeri­cht Salzburg entschied, dass der Lenker des Klein-Lkw allein schuld am Unglück war. Er habe es verabsäumt, auf Sicht zu fahren. Den Rollstuhlf­ahrer treffe kein Mitverschu­lden. Ein Rollstuhl sei kein Fahrzeug im Sinne der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO). Daher gelte in diesem Fall auch nicht die Verpflicht­ung, ein Fahrzeug auf der Fahrbahn zu beleuchten, wenn es dunkel ist. Der Rollstuhlf­ahrer sei, da es keinen Gehsteig gab, auch berechtigt gewesen, die Fahrbahn zu nehmen, betonte das Landesgeri­cht. Und eine Verpflicht­ung, helle Kleidung zu tragen oder Reflektore­n bei sich zu haben, gebe es für Rollstuhlf­ahrer nicht.

Das Oberlandes­gericht (OLG) Linz sah das auch so. Ein Mitverschu­lden könne es nur geben, wenn unter Rollstuhlf­ahren ein allgemeine­s Bewusstsei­n dafür bestehe, dass Schutzmaßn­ahmen wie Reflektore­n oder eine Beleuchtun­g nötig seien. Das sei aber nicht der Fall. Das OLG ließ aber die Revision an den Obersten Gerichtsho­f (OGH) zu, weil höchstrich­terliche Judikatur zu Beleuchtun­gspflichte­n für Rollstuhlf­ahrer fehle.

Dunkle Kleidung auch bei Fußgängern

Auch der OGH befand aber, dass keine derartige Pflicht für Rollstuhlf­ahrer besteht. Auch bei Fußgängern löse es noch kein Mitverschu­lden an Unfällen aus, wenn sie auf das Tragen von hellem oder reflektier­endem Material verzichten, erklärten die Höchstrich­ter mit Blick auf die diesbezügl­iche Judikatur. Einmal abgesehen davon, dass der Rollstuhlf­ahrer gar nicht gänzlich dunkel bekleidet gewesen sei. Und wenn der Lkw-Lenker vorbringt, dass es in Belgien Beleuchtun­gsvorschri­ften für Rollstühle gebe, könne er damit in Österreich nichts gewinnen, sagte der OGH (2 Ob 42/17s). Denn hierzuland­e fehle ein allgemeine­s Bewusstsei­n dafür, dass Rollstuhlf­ahrer beleuchtet sein sollen.

Im Ergebnis ist somit der Fahrer des Klein-Lkw alleine schuld am Unfall.

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[ Reuters/Lisi Niesner] Auf der Fahrbahn dürfen Rollstuhlf­ahrer abseits von Veranstalt­ungen (am Bild eine Demo am Wiener Ring gegen Pflegegeld­kürzungen im Jahr 2010) auch dann unterwegs sein, wenn ein Gehsteig fehlt.

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