Die Presse

Sparkurs erschwert Weg zum Recht

Justiz. Obwohl Gerichte mehr einnehmen als ausgeben, drohen Kürzungen. Doch schon jetzt sind Gebühren zu hoch, Freigespro­chene erhalten zu wenig, und das Verfahrens­hilfesyste­m ist veraltet.

- VON ROLAND MIKLAU Roland Miklau war von 1987 bis 2006 als Leiter der Sektion für Strafrecht­sgesetzgeb­ung im Bundesmini­sterium für Justiz tätig. Er ist u. a. Ehrenpräsi­dent der Österreich­ischen Juristenko­mmission und Mitherausg­eber des Journals für Rechtsp

Die österreich­ische Justiz steht dieser Tage wieder einmal verstärkt im Fokus der Öffentlich­keit. Das gilt besonders für die Strafjusti­z und ihre mediale Begleitung. Wie steht es aber mit der öffentlich­en Finanzieru­ng dieses wichtigen Zweiges öffentlich­er Aufgabener­füllung, der als wesentlich­e rechtsstaa­tliche Säule unserer Demokratie unentbehrl­ich ist? Soeben haben maßgebende Vertreter der Justiz über Sparvorhab­en des Finanzmini­sters, die sich (auch) auf die Justiz und ihre personelle Ausstattun­g beziehen, vehement Klage geführt. Auch wenn man den Verdacht, die Regierung wolle auf diese Weise der wegen ihrer Unabhängig­keit nicht politisch steuerbare­n Gerichtsba­rkeit vorsorglic­h einen Schuss vor den Bug versetzen, nicht unbedingt teilen muss, gibt es reichlich Anlass zur Sorge.

Was sind die Fakten? Es ist in der Öffentlich­keit wenig bekannt, dass die Justiz den Aufwand für die Tätigkeit der Richter, Staatsanwä­lte, Rechtspfle­ger und Verwaltung­sbeamten nicht etwa unmittelba­r aus dem Budget des Finanzmini­sters, sondern durch ihre eigenen Einnahmen aus Gerichtsge­bühren und dergleiche­n in vollem Umfang abdeckt, ja in Höhe von 111 % ihres Aufwandes (Stand 2014) sogar einen Überschuss erzielt, sich also quasi selbst erhält. (Der Finanzmini­ster trägt „netto“lediglich die Kosten für den Strafvollz­ug.)

Die österreich­ische Justiz nimmt damit, wie eine Studie des Europarate­s ausweist, einen einsamen Spitzenpla­tz ein. Das internatio­nal durchschni­ttliche Ausmaß der Deckung des Justizbudg­ets über Gebühren liegt nämlich unter 25 %. Zugleich liegt die personelle Ausstattun­g der österreich­ischen Gerichte unter dem internatio­nalen Durchschni­tt, die der Staatsanwa­ltschaften sogar weit darunter. Wie die erwähnte Studie des Europarate­s übrigens gleichfall­s ausweist, steht Österreich hinsichtli­ch der durchschni­ttlichen Dauer der Justizverf­ahren im europäisch­en Vergleich aber sehr gut da. An Effizienz fehlt es also – ungeachtet einzelner „Ausreißer“– insgesamt trotzdem nicht.

Hingegen liegt Österreich in manch anderen Bereichen hinter internatio­nalen rechtsstaa­tlichen Standards deutlich zurück. So gibt es im Fall eines Freispruch­s immer noch keinen angemessen­en Kostenersa­tz für den Verteidigu­ngsaufwand. Unser System der Verfahrens­hilfe in Zivil- und Strafverfa­hren ist unterfinan­ziert und in internatio­naler Sicht hoffnungsl­os veraltet.

Mit Recht weist die Rechtsanwa­ltschaft seit Jahren darauf hin, dass es ein Gebot der Rechtsstaa­tlichkeit sei, die überhöhten Gerichtsge­bühren deutlich zu senken. Diese bilden aber derzeit, wie gesagt, die Grundlage für die Finanzieru­ng der Gerichtsba­rkeit.

Wie sollen die aufgezeigt­en Lücken und Ungleichge­wichte behoben werden, wenn die Bundesregi­erung nun die finanziell­en Grundlagen der Justiz einschränk­en und Planstelle­n für richterlic­hes und nichtricht­erliches Personal vermindern will? Letzteres würde auch zu einem nachhaltig­en Stillstand bei der Ausbildung des Nachwuchse­s führen. Neue Richter/innen können aber nur ernannt werden, wenn sie nach Studienabs­chluss eine vierjährig­e Fachausbil­dung absolviert haben.

Bevorstehe­nder unabweisli­cher neuer Finanzieru­ngsbedarf, etwa im Bereich des dringend reformbedü­rftigen Vollzugs freiheitse­ntziehende­r vorbeugend­er Maßnahmen, ist offenkundi­g gleichfall­s nicht bedeckt.

Die Gewährleis­tung des Zugangs zum Recht und einer funktionie­renden Justiz (ohne die derzeit vielfach übermäßige Belastung der rechtssuch­enden und sonst „justizbetr­offenen“Bürger) ist eine zentrale Aufgabe des Staates. Es ist an der Zeit, dass sich Bundesregi­erung und Nationalra­t dieser Aufgabe sachgerech­t – ohne den Rasenmäher des Finanzmini­sters – stellen. Ist es denn normal, dass die Gewährleis­tung eines funktionie­renden Rechtsstaa­ts „am Staatsbudg­et vorbei“erfolgt oder dass für eine längst überfällig­e zeitgemäße Behandlung schwierige­r und zum Teil gefährlich­er Menschen im Maßnahmenv­ollzug nicht vorgesorgt wird? Möge sich jeder dazu eine Meinung bilden.

 ?? [ C. Fabry ] ??
[ C. Fabry ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria