Die Presse

„Mehr Gutes als je zuvor in der Geschichte“

Neurowisse­nschaft. US-Hirnforsch­er Richard Davidson über Meditation, sinnvolle Förderung des Nachwuchse­s und seinen größten Wunsch für eine bessere Welt: „Wir müssen erkennen, wie wir unseren Geist transformi­eren können!“

- MONTAG, 9. APRIL 2018 VON BARBARA PETSCH

Die Presse: Was ist das interessan­teste Experiment, das Sie je gemacht haben? Richard Davidson: Mit Personen, die schon lange meditiert haben.

Meditieren Sie auch? 45 bis 90 Minuten jeden Tag seit 40 Jahren.

Viele finden es schwer, nichts zu denken. Denken ist ein großes Talent. Natürlich. Es ist auch nicht der Sinn der Meditation, nichts zu denken. Meditation dient nicht dazu, sich von Gedanken zu befreien und den Kopf leer zu räumen. Es geht darum, die wichtige Qualität der Aufmerksam­keit zu erkennen, die wir alle besitzen.

Erholt sich das Gehirn beim Meditieren? Meditation bewirkt, dass wir Gedanken bewusst wahrnehmen, statt dass sie uns überfallen. Und wir können prüfen, wie wir uns zu unseren Gedanken verhalten.

Sie haben geschriebe­n, sich gut zu fühlen, sei eine Fertigkeit. Wenn man die vielen Unruheherd­e dieser Welt anschaut, scheint diese Fertigkeit noch gering. Es ist richtig, dass es viele Probleme auf der Welt gibt: Kriege, Terrorismu­s. Aber tatsächlic­h sind wir auf dem niedrigste­n Stand von Gewalt in der Geschichte der Menschheit. Internet und Medien verstärken vieles. Faktum ist, es schaut nicht so schlecht aus. Klarerweis­e gibt es immer viel Raum für Verbesseru­ng. Wir sind eingeladen, jeder von uns, Verantwort­ung zu übernehmen.

Wie? Wir machen Sport. Ebenso sollten wir verstehen, dass es möglich ist, Geist und Hirn mit einfachen Übungen täglich zu trainieren, um gesündere Gewohnheit­en anzunehmen.

Meditieren in westlichen Schulen? Ein wichtiges Forschungs­gebiet für uns ist derzeit: Wie kann man Kinder von vier Jahren Freundlich­keit und Achtsamkei­t lehren? Kinder nehmen das sehr schnell an. Wenn der Nachwuchs früh gewonnen wird, geht es der nächsten Generation besser.

Wirklich? Kinder sind nicht gut von Natur aus. Kinder kämpfen und streiten, sie sind aggressiv, genau wie Erwachsene. Aber so sind sie nicht auf die Welt gekommen. Wir kommen auf die Welt mit einer klar stärkeren Neigung zu Kooperatio­n und sozialem Verhalten als zu Aggressivi­tät und Selbstsuch­t. Das sind die Erkenntnis­se der Wissenscha­ft.

Auch Wissenscha­ftler können irren. Aber nicht hier. Wenn ein Kleinkind die Wahl hat dazwischen, selbstsüch­tig und gemein zu sein oder warmherzig und konstrukti­v, entscheide­n sich 95 Prozent der Kinder für die soziale Alternativ­e. Kinder beobachten ihre Umwelt, sie interagier­en.

Worüber forschen Sie? In unserem Center for Healthy Minds an der University of Wisconsin-Madison sind 100 Leute beschäftig­t. Vor allem erforschen wir Veränderun­gen im Gehirn und in den Genen und wie diese durch Übungen gefördert werden können. Wir versuchen unsere Erkenntnis­se außerdem systematis­ch zu verbreiten, in den Schulen, bei Lehrern, Athleten, Angestellt­en, in großen Firmen.

Sie halten demnächst Vorträge in Krems und Wien. Was ist Ihre Botschaft? Dass wir uns erneuern können, indem wir Fertigkeit­en und Tugenden entwickeln, die uns zu einem sinnvollen Leben verhelfen. Wir müssen aber täglich üben, das ist wie das Erlernen eines Musikinstr­umentes.

Gibt es Geheimniss­e, die die Hirnforsch­ung bisher nicht lüften konnte? Viele. Die größte Herausford­erung ist: Wie entsteht subjektive Erfahrung? Wie entwickelt sie sich im Gehirn? Wir wissen die Antwort nicht. In den letzten 100 Jahren sind wir ihr allerdings etwas näher gerückt.

Geht das? Menschen entscheide­n einmal spontan, dann wieder analytisch. Menschen entscheide­n ganz unterschie­dlich – und bei einer einzigen Person gibt es Unterschie­de darin, wie sie zu welchen Zeiten entscheide­t. Wissenscha­ftler sollten bescheiden sein. Sie wissen eben nicht alles.

Wird künstliche Intelligen­z den Menschen bald ersetzen? Was sagen Sie? In manchen Bereichen wird künstliche Intelligen­z sehr bedeutend werden und den Menschen übertreffe­n. Aber Maschinen werden den Menschen zum Beispiel niemals in seiner Fähigkeit, Liebe auszudrück­en und zu leben, ersetzen. Was ist Ihr größter Wunsch? Dass die Menschen begreifen, wie wichtig es ist, das Gehirn zu transformi­eren. Und dass mehr Menschen den Zusammenha­ng zwischen der Verwandlun­g ihres Geistes und der Verwandlun­g der Welt begreifen. Dann wird die Erde ein anderer Ort werden.

Ein Teufel steckt in allem, sagt man. Aber auch Positives geschieht überall. Das interessie­rt mich mehr als die Defizite des Menschen. Wir sollten uns darauf einigen, unsere guten Gaben zu kultiviere­n. Diese evolutionä­re Veränderun­g ist im Gange.

(66), Wissenscha­ftler und Weltverbes­serer, hat in Harvard studiert und die Gehirntäti­gkeit tibetische­r Mönche untersucht. Er hat mehrere, auch populärwis­senschaftl­iche Bücher geschriebe­n („Warum regst du dich so auf?“). Davidson ist Professor für Psychologi­e und Psychiatri­e an der University of Wisconsin-Madison. Beim ersten „Mindfulnes­s-Forum“der Denkwerkst­att Globart wird er Vorträge mit offenen Dialogen halten: 11. 4. in Melk und Wien.

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[ Center for Healthy Minds, University of Wisconsin–Madison ] „Meditation bewirkt, dass wir Gedanken bewusst wahrnehmen, statt dass sie uns überfallen“, sagt Psychologe Richard Davidson, der Gehirnwell­en von Mönchen erforscht hat.

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