„Mehr Gutes als je zuvor in der Geschichte“
Neurowissenschaft. US-Hirnforscher Richard Davidson über Meditation, sinnvolle Förderung des Nachwuchses und seinen größten Wunsch für eine bessere Welt: „Wir müssen erkennen, wie wir unseren Geist transformieren können!“
Die Presse: Was ist das interessanteste Experiment, das Sie je gemacht haben? Richard Davidson: Mit Personen, die schon lange meditiert haben.
Meditieren Sie auch? 45 bis 90 Minuten jeden Tag seit 40 Jahren.
Viele finden es schwer, nichts zu denken. Denken ist ein großes Talent. Natürlich. Es ist auch nicht der Sinn der Meditation, nichts zu denken. Meditation dient nicht dazu, sich von Gedanken zu befreien und den Kopf leer zu räumen. Es geht darum, die wichtige Qualität der Aufmerksamkeit zu erkennen, die wir alle besitzen.
Erholt sich das Gehirn beim Meditieren? Meditation bewirkt, dass wir Gedanken bewusst wahrnehmen, statt dass sie uns überfallen. Und wir können prüfen, wie wir uns zu unseren Gedanken verhalten.
Sie haben geschrieben, sich gut zu fühlen, sei eine Fertigkeit. Wenn man die vielen Unruheherde dieser Welt anschaut, scheint diese Fertigkeit noch gering. Es ist richtig, dass es viele Probleme auf der Welt gibt: Kriege, Terrorismus. Aber tatsächlich sind wir auf dem niedrigsten Stand von Gewalt in der Geschichte der Menschheit. Internet und Medien verstärken vieles. Faktum ist, es schaut nicht so schlecht aus. Klarerweise gibt es immer viel Raum für Verbesserung. Wir sind eingeladen, jeder von uns, Verantwortung zu übernehmen.
Wie? Wir machen Sport. Ebenso sollten wir verstehen, dass es möglich ist, Geist und Hirn mit einfachen Übungen täglich zu trainieren, um gesündere Gewohnheiten anzunehmen.
Meditieren in westlichen Schulen? Ein wichtiges Forschungsgebiet für uns ist derzeit: Wie kann man Kinder von vier Jahren Freundlichkeit und Achtsamkeit lehren? Kinder nehmen das sehr schnell an. Wenn der Nachwuchs früh gewonnen wird, geht es der nächsten Generation besser.
Wirklich? Kinder sind nicht gut von Natur aus. Kinder kämpfen und streiten, sie sind aggressiv, genau wie Erwachsene. Aber so sind sie nicht auf die Welt gekommen. Wir kommen auf die Welt mit einer klar stärkeren Neigung zu Kooperation und sozialem Verhalten als zu Aggressivität und Selbstsucht. Das sind die Erkenntnisse der Wissenschaft.
Auch Wissenschaftler können irren. Aber nicht hier. Wenn ein Kleinkind die Wahl hat dazwischen, selbstsüchtig und gemein zu sein oder warmherzig und konstruktiv, entscheiden sich 95 Prozent der Kinder für die soziale Alternative. Kinder beobachten ihre Umwelt, sie interagieren.
Worüber forschen Sie? In unserem Center for Healthy Minds an der University of Wisconsin-Madison sind 100 Leute beschäftigt. Vor allem erforschen wir Veränderungen im Gehirn und in den Genen und wie diese durch Übungen gefördert werden können. Wir versuchen unsere Erkenntnisse außerdem systematisch zu verbreiten, in den Schulen, bei Lehrern, Athleten, Angestellten, in großen Firmen.
Sie halten demnächst Vorträge in Krems und Wien. Was ist Ihre Botschaft? Dass wir uns erneuern können, indem wir Fertigkeiten und Tugenden entwickeln, die uns zu einem sinnvollen Leben verhelfen. Wir müssen aber täglich üben, das ist wie das Erlernen eines Musikinstrumentes.
Gibt es Geheimnisse, die die Hirnforschung bisher nicht lüften konnte? Viele. Die größte Herausforderung ist: Wie entsteht subjektive Erfahrung? Wie entwickelt sie sich im Gehirn? Wir wissen die Antwort nicht. In den letzten 100 Jahren sind wir ihr allerdings etwas näher gerückt.
Geht das? Menschen entscheiden einmal spontan, dann wieder analytisch. Menschen entscheiden ganz unterschiedlich – und bei einer einzigen Person gibt es Unterschiede darin, wie sie zu welchen Zeiten entscheidet. Wissenschaftler sollten bescheiden sein. Sie wissen eben nicht alles.
Wird künstliche Intelligenz den Menschen bald ersetzen? Was sagen Sie? In manchen Bereichen wird künstliche Intelligenz sehr bedeutend werden und den Menschen übertreffen. Aber Maschinen werden den Menschen zum Beispiel niemals in seiner Fähigkeit, Liebe auszudrücken und zu leben, ersetzen. Was ist Ihr größter Wunsch? Dass die Menschen begreifen, wie wichtig es ist, das Gehirn zu transformieren. Und dass mehr Menschen den Zusammenhang zwischen der Verwandlung ihres Geistes und der Verwandlung der Welt begreifen. Dann wird die Erde ein anderer Ort werden.
Ein Teufel steckt in allem, sagt man. Aber auch Positives geschieht überall. Das interessiert mich mehr als die Defizite des Menschen. Wir sollten uns darauf einigen, unsere guten Gaben zu kultivieren. Diese evolutionäre Veränderung ist im Gange.
(66), Wissenschaftler und Weltverbesserer, hat in Harvard studiert und die Gehirntätigkeit tibetischer Mönche untersucht. Er hat mehrere, auch populärwissenschaftliche Bücher geschrieben („Warum regst du dich so auf?“). Davidson ist Professor für Psychologie und Psychiatrie an der University of Wisconsin-Madison. Beim ersten „Mindfulness-Forum“der Denkwerkstatt Globart wird er Vorträge mit offenen Dialogen halten: 11. 4. in Melk und Wien.