Was heißt hier Metrum, was Rhythmus?
Musikverein. Die Philharmoniker unter dem designierten Symphoniker-Chef Orozco-Estrada mit Yefim Bronfman und zweieinhalb Klavierkonzerten: Eine ungleiche Partnerschaft bei Beethoven und Bartok.´
Eine Art Klavierkonzert war in ihrer ursprünglichen Konzeption auch Igor Strawinskys Ballettmusik zu „Petruschka“. Insofern stand dieses Werk vielleicht doch nicht so unlogisch, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte, als Hauptstück nach der Pause auf dem Programm des jüngsten philharmonischen Abonnementkonzerts, das – erstmals jedenfalls in der jüngeren Geschichte des Orchesters – gleich mit zwei Klavierkonzerten begann: Yefim Bronfman spielte Beethovens Drittes und Bartoks´ Zweites; und er spielte so, dass auch exzellente Musiker von ihm noch allerhand hätten lernen können.
Zum Beispiel etwas über die Kunst eines souveränen Rubatospiels, das nicht zur Irritation des Gefühl für den natürlichen Puls eines Tempos führt. Zu studieren beispielsweise an den Oktavgängen des Klaviers in der Durchführung des ersten Beethoven-Satzes. Bronfmans Spiel hob sich – nicht nur hier – erschreckend deutlich von der indifferenten, großflächigen, undeutlich artikulierten Gangart der Philharmoniker ab, zu der Andres´ Orozco-Estrada mit viel launig zur Schau gestellter Energie und nicht ganz so viel präziser Taktvorgabe animierte. Da mochte man noch glauben, es sei bei dem heiklen Programm nicht genügend Zeit für den Klassiker geblieben; doch präsentierte man gleich darauf Bartoks´ Zweites Klavierkonzert in recht ähnlicher Weise, recht großzügig und nonchalant hingeworfen vom Orchester, scharf geschliffen und klar modelliert vom Pianisten. Klangschönheit allein ist bei einem solchen Werk freilich noch kein Kriterium – im allerbesten Fall spielen sich hier die Musiker solistisch und gruppenweise die Pointen zu; am anderen Ende der Skala der Zulässigkeit erreicht man zumindest das jeweilige Ende der einzelnen Blöcke der Komposition gleichzeitig.
Letzteres muss für ein Philharmonisches in Wien vielleicht nicht zum Standardmaß werden. Ein Vergnügen allerdings Bronfmans Zugabe: das „Precipitato“-Finale von Prokofieffs Siebenter Sonate als makellose Studie über die Frage, wie man bei wechselnden Metren das Gefühl für einen Auftakt nicht verliert und rhythmische Exaktheit in swingenden Drive ummünzt. Dieser Pianist steht technisch und musikalisch wahrlich über den Dingen – und zaubert sogar im wenig animierenden Umfeld (und einem kleinen Konzentrationsfehler zum Trotz) in der Kadenz des ersten Satzes von Beethovens c-Moll-Konzert eine Spannung in den großen Musikvereinssaal, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.
Strawinsky dann als Visitenkarte des designierten Symphoniker-Chefs, dem es auf Akkuratesse nicht so sehr anzukommen scheint: Seine darstellerischen Fähigkeiten sind stupend, wirken aber, scheint’s, eher aufs Publikum als auf die Spieler. Der „russische Tanz“am Ende des ersten „Petruschka“-Teils klingt selten so beiläufig und schwammig – dafür gab es gefühlvolle Flötensoli, und es herrschte insgesamt eine Freizügigkeit im Fluss der Musik, die gegen die ästhetischen Überzeugungen Strawinskys quersteht. Er hatte ein Faible für mechanische Instrumente und lässt auf seinem Ballettjahrmarkt eine Drehorgel imitieren, die gefühlvolle Temporückungen, wie OrozcoEstrada sie zelebriert, gar nicht kennt.
Zu feilen gewesen wäre stattdessen an der dynamischen Registrierung: Das Stück, das in einfachem Forte anheben sollte, klang diesmal vom ersten Takt an überlaut . . .