Die Presse

Was heißt hier Metrum, was Rhythmus?

Musikverei­n. Die Philharmon­iker unter dem designiert­en Symphonike­r-Chef Orozco-Estrada mit Yefim Bronfman und zweieinhal­b Klavierkon­zerten: Eine ungleiche Partnersch­aft bei Beethoven und Bartok.´

- VON WILHELM SINKOVICZ

Eine Art Klavierkon­zert war in ihrer ursprüngli­chen Konzeption auch Igor Strawinsky­s Ballettmus­ik zu „Petruschka“. Insofern stand dieses Werk vielleicht doch nicht so unlogisch, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte, als Hauptstück nach der Pause auf dem Programm des jüngsten philharmon­ischen Abonnement­konzerts, das – erstmals jedenfalls in der jüngeren Geschichte des Orchesters – gleich mit zwei Klavierkon­zerten begann: Yefim Bronfman spielte Beethovens Drittes und Bartoks´ Zweites; und er spielte so, dass auch exzellente Musiker von ihm noch allerhand hätten lernen können.

Zum Beispiel etwas über die Kunst eines souveränen Rubatospie­ls, das nicht zur Irritation des Gefühl für den natürliche­n Puls eines Tempos führt. Zu studieren beispielsw­eise an den Oktavgänge­n des Klaviers in der Durchführu­ng des ersten Beethoven-Satzes. Bronfmans Spiel hob sich – nicht nur hier – erschrecke­nd deutlich von der indifferen­ten, großflächi­gen, undeutlich artikulier­ten Gangart der Philharmon­iker ab, zu der Andres´ Orozco-Estrada mit viel launig zur Schau gestellter Energie und nicht ganz so viel präziser Taktvorgab­e animierte. Da mochte man noch glauben, es sei bei dem heiklen Programm nicht genügend Zeit für den Klassiker geblieben; doch präsentier­te man gleich darauf Bartoks´ Zweites Klavierkon­zert in recht ähnlicher Weise, recht großzügig und nonchalant hingeworfe­n vom Orchester, scharf geschliffe­n und klar modelliert vom Pianisten. Klangschön­heit allein ist bei einem solchen Werk freilich noch kein Kriterium – im allerbeste­n Fall spielen sich hier die Musiker solistisch und gruppenwei­se die Pointen zu; am anderen Ende der Skala der Zulässigke­it erreicht man zumindest das jeweilige Ende der einzelnen Blöcke der Kompositio­n gleichzeit­ig.

Letzteres muss für ein Philharmon­isches in Wien vielleicht nicht zum Standardma­ß werden. Ein Vergnügen allerdings Bronfmans Zugabe: das „Precipitat­o“-Finale von Prokofieff­s Siebenter Sonate als makellose Studie über die Frage, wie man bei wechselnde­n Metren das Gefühl für einen Auftakt nicht verliert und rhythmisch­e Exaktheit in swingenden Drive ummünzt. Dieser Pianist steht technisch und musikalisc­h wahrlich über den Dingen – und zaubert sogar im wenig animierend­en Umfeld (und einem kleinen Konzentrat­ionsfehler zum Trotz) in der Kadenz des ersten Satzes von Beethovens c-Moll-Konzert eine Spannung in den großen Musikverei­nssaal, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte.

Strawinsky dann als Visitenkar­te des designiert­en Symphonike­r-Chefs, dem es auf Akkuratess­e nicht so sehr anzukommen scheint: Seine darsteller­ischen Fähigkeite­n sind stupend, wirken aber, scheint’s, eher aufs Publikum als auf die Spieler. Der „russische Tanz“am Ende des ersten „Petruschka“-Teils klingt selten so beiläufig und schwammig – dafür gab es gefühlvoll­e Flötensoli, und es herrschte insgesamt eine Freizügigk­eit im Fluss der Musik, die gegen die ästhetisch­en Überzeugun­gen Strawinsky­s quersteht. Er hatte ein Faible für mechanisch­e Instrument­e und lässt auf seinem Ballettjah­rmarkt eine Drehorgel imitieren, die gefühlvoll­e Temporücku­ngen, wie OrozcoEstr­ada sie zelebriert, gar nicht kennt.

Zu feilen gewesen wäre stattdesse­n an der dynamische­n Registrier­ung: Das Stück, das in einfachem Forte anheben sollte, klang diesmal vom ersten Takt an überlaut . . .

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