Die Presse

Das Spital als teurer und nicht für Pflegefäll­e geeigneter Wartesaal

Viele Akutbetten in den Spitälern sind mit alten Menschen belegt, die auf einen Heimplatz warten. Das ist teuer, ineffizien­t und zum Nachteil der Patienten.

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Die Tante lebt allein in ihrer Wiener Wohnung. Eines Tages stürzt sie: Oberschenk­elhalsbruc­h. Sie landet im AKH, nach eineinhalb Wochen wird sie entlassen. Ihre Nichte holt sie ab, sie hat inzwischen einen Platz für eine Kurzzeitpf­lege in der Obersteier­mark organisier­t, bis in Wien oder in der Umgebung ein Heimplatz frei wird. Privat.

Sie ist perplex, als die Stationssc­hwester ihr fast um den Hals fällt und ihr mehrmals dankt, dass sie die Tante abholt. Die Schwester berichtet, dass die Hälfte ihrer Station mit Pflegefäll­en belegt sei, alten Menschen, die auf einen Heimplatz in Wien warten. Das kann Monate dauern. Inzwischen erleiden sie oft Zusatzerkr­ankungen und Komplikati­onen: Lungenentz­ündungen, Harnwegsin­fekte, Probleme mit resistente­n Keimen. Dazu leiden sie unter psychische­n Belastunge­n, Verwirrthe­itszuständ­en, fehlender Privatsphä­re und Bewegungsm­angel.

Der unnötig lange Aufenthalt verursacht zudem exorbitant­e Kosten. Ein Akutbett im hoch spezialisi­erten AKH kostet bis zu 1000 Euro – pro Tag! Man kann sich leicht ausrechnen, was dem Gesundheit­ssystem – also allen Sozialvers­icherten – das monatelang­e Warten auf einen Heimplatz kostet. Somit wird das Krankenhau­s, das für einen Aufenthalt von wenigen Tagen gedacht ist, zum sündteuren Wartezimme­r. Hoch qualifizie­rtes Personal ist mit Pflege und dem Einstellen des Blutzucker­s beschäftig­t. Dinge, die der Hausarzt und Hilfskräft­e genauso gut erledigen könnten.

Die Überlastun­g der Spitäler durch Patienten, die eigentlich gar nicht (mehr) dorthin gehören, wird noch dramatisch­er werden. Denn durch die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses steigt die Nachfrage nach Heimplätze­n – und damit die Wartedauer. Somit werden noch mehr Patienten noch länger im Krankenhau­s warten.

Nötig wären, fordern Fachleute seit Jahren, mehr Einrichtun­gen zur Kurzzeitpf­lege, um Übergänge zu erleichter­n und den akuten Bedarf abzudecken. Auch braucht es mehr Flexibilit­ät bei der Wahl des Heimes. Es kann nicht sein, dass in Wien ein Heimplatz nicht angenommen wird, weil er nicht im gewünschte­n Bezirk liegt. Denkbar wäre ein österreich­weites Management von Heimplätze­n für den akuten Bedarf. Und es bedarf einer Einbeziehu­ng privater Anbieter, denn der Andrang betrifft in Zukunft vor allem die staatliche­n Heime, die ohnehin überlastet sind.

Ganz gleich, welcher Lösung man seitens der Politik nähertritt: Die jetzige Strategie, dass durch den Mangel an Heimplätze­n Spitäler überlastet und Akutbetten belegt sind, ist die schlechtes­te und mit Abstand teuerste Lösung. Drei Tage Krankenhau­s kosten so viel wie eine private Rund-um-die-Uhr-Betreuung zu Hause in einem Monat! Und wohl fühlen sich die Patienten auch nicht, sondern es gefährdet ihre Gesundheit, wenn sie monatelang im Spital herumliege­n.

Der Neubau von Spitälern kann nicht die einzige Antwort sein. Die Gemeinde Wien führt uns derzeit vor Augen, wie durch ein fehlendes Gesamtkonz­ept, Dilettanti­smus und Chaos Milliarden im Gesundheit­sbereich versenkt werden.

Für die Angehörige­n und die Betroffene­n mag die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses im Einzelfall eine finanziell­e Erleichter­ung bringen. Doch sind die Konsequenz­en für das Gesundheit­ssystem als Ganzes nicht durchdacht. Pflege im Heim statt zu Hause, fehlende Heimplätze, überfüllte Spitäler und dadurch notwendige Neubauten – all das geht in die Milliarden. Und das zahlt letztlich wieder der Steuerzahl­er.

Angesichts der Zunahme an alten und pflegebedü­rftigen Menschen wäre es eine gute Idee, endlich von Schnellsch­üssen Abstand zu nehmen und sich ein Gesamtkonz­ept zu überlegen. Was aber sicher nicht funktionie­ren wird, ist, die Verantwort­ung und das Management der Pflege einfach an den Staat zu delegieren. Denn dieser ist jetzt schon heillos überforder­t, da die Mehrzahl der Menschen (noch) zu Hause gepflegt wird.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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