Machte das AssadRegime gezielt Jagd auf Journalisten?
Syrien-Krieg. Im Februar 2012 starben die bekannte US-Kriegsreporterin Marie Colvin und ein Kollege in der belagerten Rebellenhochburg Homs. Nun veröffentlichte Dokumente sollen belegen, dass die syrische Armee die Reporter gezielt ermordete. Die Familie
Washington/Wien. Man hört Detonationen von Granaten, Schmerzensschreie. Dann den Satz: „Sie ist tot.“
Die syrische Stadt Homs am 22. Februar 2012: Seit Wochen steht die Rebellenhochburg unter Dauerbeschuss des Assad-Regimes. Vor allem das Viertel Baba Amr im Südwesten der Stadt ist ins Visier der Armee geraten. Doch in den frühen Morgenstunden dieses Februartags erleben die Bewohner keine wahllosen Flächenbombardements. Die Angriffe zielen auf ein bestimmtes Haus, in dem die Rebellen westliche Journalisten untergebracht haben.
Die US-Kriegsreporterin Marie Colvin, die für die Londoner „Sunday Times“arbeitet, ihr Kollege Paul Conroy und der französische Fotograf Remi´ Ochlik haben sich von den Rebellen in die belagerte Stadt schmuggeln lassen. Von hier aus hat Colvin über Skype Live-Interviews auf BBC und CNN gegeben und der syrischen Armee vorgeworfen, „eine Stadt voller frierender, hungernder Zivilisten“zu bombardieren. Über die Signa- le ihres Satellitentelefons gelingt es dem Militär, das „Medienzentrum“der Rebellen zu orten. Als eine Granate das Gebäude trifft, wollen Marie Colvin und Ochlik das Haus gerade verlassen. Sie sterben inmitten der Trümmer. Paul Conroy überlebt schwer verletzt.
„Sie ist tot.“Damit ist Colvin gemeint. Die Tonaufnahme stammt von einem Skype-Anruf zum Zeitpunkt des Angriffs und gehört zu einer Sammlung von rund 200 Dokumenten, die beweisen sollen, dass Assads Armee die 56-jährige Kriegsberichterstatterin und ihren Kollegen gezielt getötet hat. Im Juli 2016 bereits hat Colvins Familie Klage gegen die Regierung von Bashar al-Assad beim Bundesgericht in Washington, D.C. eingereicht – nun hat das Gericht einige dieser Akten veröffentlicht, darunter auch das Tondokument, aus dem die „New York Times“zitiert. Die Suche des Militärs nach dem Aufenthaltsort der Journalisten, der gezielte Angriff – all das geht aus den Unterlagen hervor.
Die Anwälte der Colvin-Familie wollen beweisen, dass Assads Regime schon früh während des Bürgerkriegs Journalisten gezielt ins Visier genommen hat. Colvin sei illegal nach Syrien gekommen und habe mit Terroristen gearbeitet, sagte indes Assad in einem Interview 2016. Auf die Klage hat Damaskus bisher nicht reagiert. Die Anwälte fordern deshalb ein Versäumnisurteil gegen die syrische Regierung.
Zu den Dokumenten zählen auch Aussagen von Überläufern. Der kommandierende General der Attacke, Rafiq Shahadah, soll laut diesen Aussagen seinen Männern zu der erfolgreichen Aktion gratuliert haben. „Marie Colvin war eine Hündin, und jetzt ist sie tot“, sagte er. „Lasst die Amerikaner ihr jetzt helfen.“Nach dem Angriff habe es eine Feier gegeben. Wenig später wurde Shahadah zum Chef des Militärgeheimdienstes befördert. Einer seiner Gehilfen soll einen schwarzen Hyundai Genesis zur Belohnung bekommen haben.
„Ulysses“ist der Deckname des Informanten, von dem diese Angaben stammen. Er soll Geheimdienstmitarbeiter gewesen sein. Das Militär habe die Attacke auf Colvin als Teil einer größeren Aktion angeordnet, die auf alle Regimegegner zielte, die in Kontakt mit Journalisten waren. Führender Verantwortlicher für den Angriff: Maher al-Assad, der Bruder des syrischen Machthabers und Chef der berüchtigten 4. Division der Armee. „Ulysses“zufolge war auch der Tod des französischen Journalisten Gilles Jacquier, der im Jänner 2012 als erster westlicher Journalist in Syrien starb, ein geplantes Attentat.
„Größte Bedrohung für das Regime“
Ein weiterer Dissident, Abdel Majid Barakat, der sich selbst als ehemaliger Geheimdienstoffizier beschreibt, gab an, das Assad-Regime habe Journalisten und Medienaktivisten vor Ort als „die größte Bedrohung für das Regime“eingestuft. Sie auszuschalten sei eine der Topprioritäten gewesen. Mehr als 100 Journalisten, die meisten davon Syrer, wurden seit Beginn des Krieges vor sieben Jahren in Syrien getötet.