Die Presse

Wie wir verhüllten Mädchen wirklich helfen können

Wie holen wir Kinder aus Parallelge­sellschaft­en heraus? Hier eine Liste von Vorschläge­n für die Regierung – wenn ihr Integratio­n wirklich ein Anliegen ist.

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Es ist übel, wenn kleine Mädchen sich tagein, tagaus den Kopf verhüllen. Kinder sollen sich frei entfalten, bewegen, Selbstbewu­sstsein entwickeln, sich die Straßen der Stadt aneignen. Sie brauchen Schutz vor fundamenta­listischer Indoktrina­tion, auch wenn diese von den eigenen Eltern kommt. Was tun? Hier eine konkrete Liste von Vorschläge­n.

Beginnen wir bei den Schulen und Kindergärt­en. Dort brauchen wir mehr Sozialarbe­it – die nicht am Schultor endet, sondern bis in die Familien hineinreic­ht, durch Experten mit speziellen sprachlich­en und interkultu­rellen Kompetenze­n. Psychologe­n, die wissen, wie man mit traumatisi­erten, depressive­n, gewaltbedr­ohten Kindern umgeht. Mehr Kindergart­enpädagoge­n und Lehrerinne­n mit Migrations­hintergrun­d (als Vorbilder), viel mehr Ressourcen für sie, speziell an besonders schwierige­n Standorten („Chancenind­ex“). Um den Freiraum benachteil­igter Kinder – samt intellektu­ellen Anregungen und sozialen Kontakten – gegenüber allzu engen Elternhäus­ern so weit wie möglich auszudehne­n, brauchen wir die Ganztagssc­hule, samt kostenfrei­em Essen. Je besser diese sozial durchmisch­t ist, desto besser.

Um Mädchen zu helfen, ein positives Körpergefü­hl zu entwickeln, brauchen wir mehr Bewegung, Kunst, Musik, Ernährungs-, Gesundheit­s- und Sexualaufk­lärung an den Schulen. Um sie in ihrem Selbstbewu­sstsein zu stärken und ihnen zu zeigen, welche Chancen ihnen offenstehe­n, brauchen wir intensiven, individual­isierten Sprachunte­rricht, sowohl in Deutsch als auch in ihrer Mutterspra­che. Für Buben selbstvers­tändlich ebenfalls – denn wer sich in seiner Herkunftsk­ultur wertgeschä­tzt fühlt, neigt weniger dazu, andere abzuwerten. Wir brauchen einen staatliche­n, verpflicht­enden, vergleiche­nden Religionen- und Ethikunter­richt, damit Kinder über den Horizont ihres Herkunftsm­ilieus hinausscha­uen und verstehen, woran andere Menschen glauben (oder auch nicht).

Wo die Abschottun­g in Überforder­ung oder materielle­r Not begründet liegt, brauchen wir Familienhe­lferinnen. Wo es um religiöse Verirrunge­n geht, denen nur mit theologisc­hen Argumenten beizukomme­n ist, brauchen wir die Unterstütz­ung aller konstrukti­ven Kräfte in der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, von Religionsl­ehrerinnen und Islamgeleh­rten. Wo dauerhafte Arbeitslos­igkeit das Hauptprobl­em ist, brauchen wir Erwachsene­nbildung und nachdrückl­iche Einglieder­ungsprogra­mme des AMS, speziell auch für die Mütter der Mädchen – denn wer täglich arbeiten geht, kann sich nicht dauerhaft abschotten. Das seit vielen Jahren laufende Erfolgspro­gramm „Mama lernt Deutsch“mag hier als Vorbild dienen.

Wir brauchen persönlich­e Beziehunge­n, Interesse aneinander. Viel Großartige­s gibt es hier bereits: Die Lesepaten an den Volksschul­en. Mentoren, die nachmittag­s in Horte gehen („Freispiel“). Freiwillig­e, die Kinder mit regelmäßig­er Nachhilfe begleiten („Lerntafel“). Die wunderbare­n „Nachbarinn­en“, die besonders scheue Frauen aus der Isolation herauslock­en. Oder die neuen Eltern-KindCafes´ des Ute-Bock-Vereins.

Wir brauchen mehr feministis­che Mädchenarb­eit – wie bei „Backbone“, bei dem Mädchen, für die sonst niemand da ist, Rückenstär­kung bekommen. Oder bei „Sprungbret­t“, wo sie herausfind­en können, welche Talente sie haben. Wir brauchen mehr feministis­che Burschenar­beit wie bei „Poika“oder „Heroes“, die Burschen helfen draufzukom­men, was Mannsein, Respekt und Ehre bedeuten können und wie man ohne Gewalt auskommt.

Viele dieser Initiative­n existieren nur durch privates Engagement und müssen permanent um ihre Existenz bangen. Sie brauchen viel mehr Unterstütz­ung, und wir brauchen sie.

Ja, wahrschein­lich brauchen wir auch ein Kopftuchve­rbot für kleine Mädchen. Vor allem aber brauchen wir eine Regierung, die richtige Integratio­nspolitik macht, statt kleine Mädchen bloß für ihre politische­n Zwecke zu benützen.

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VON SIBYLLE HAMANN

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