Die Presse

Opposition­szeitung stellt Betrieb ein

Analyse. Einen Tag nach Viktor Orb´ans Wahlsieg schließt die regierungs­kritische Zeitung „Magyar Nemzet“, die zuletzt Korruption­sskandale e aufdeckte. Der Premier kündigt eine „ ganz neue Politik“an

- [ AFP ]

Die opposition­elle ungarische Traditions­zeitung „Magyar Nemzet“stellt am heutigen Mittwoch ihren Betrieb ein. Als Begründung gab das Medienunte­rnehmen Finanzieru­ngsproblem­e an. „Magyar Nemzet“gehört dem Oligarchen Lajos Simicska, der früher ein enger Vertrauter des rechtsnati­onalen Ministerpr­äsidenten Viktor Orban´ war. Im Wahlkampf vor der Parlaments­wahl am Sonntag berichtete die Zeitung noch über massive mutmaßlich­e Korruption­sfälle im Umfeld Orbans.´

Am Mittwoch erscheint die letzte Ausgabe der 1938 gegründete­n ungarische­n Traditions­zeitung „Magyar Nemzet“, die sich seit 2014 zu einer der kritischst­en Stimmen gegen die Regierung von Ministerpr­äsident Viktor Orban´ entwickelt hatte. Mit zahlreiche­n Investigat­ivberichte­n über fragwürdig­e Praktiken – unter anderem bei der Vergabe von Staatsauft­rägen und der Verwendung von EU-Fördermitt­eln – war die Zeitung eine Stütze der Opposition im Wahlkampf und hatte tendenziel­l die rechte Jobbik in ihrer Berichters­tattung bevorzugt.

Der Eigentümer, Lajos Simicska, war bis 2014 einer der engsten Weggefährt­en Orbans´ gewesen. Dann aber überwarfen sie sich. Simicska hatte für Orban´ ein Medienimpe­rium aufgebaut, das zu einem erhebliche­n Teil über staatliche Anzeigen finanziert wurde. Diese Anzeigen entfielen nach dem Bruch. Mitarbeite­r hatten seit gut zwei Jahren spekuliert, dass Simicska das Blatt nur bis zu den Wahlen 2018 halten würde, falls Orban´ wieder siegen sollte.

Orban´ hatte im Wahlkampf zudem rechtliche Maßnahmen angekündig­t gegen namentlich nicht genannte Gegner. Das mag Simicska als Warnung aufgefasst haben. Er ließ auch andere Medien fallen wie heiße Kartoffeln. Sein Radiosende­r Lanchid´ Radio´ stellt ebenfalls ab sofort den Betrieb ein. Die Sendelizen­z hätte noch bis Oktober gegolten. Der ebenfalls Simcska gehörende Fernsehsen­der Hir TV darf vorerst weitermach­en, dort ist aber mit Entlassung­en zu rechnen. Das bürgerlich­e Nachrichte­nmagazin „Heti Valasz“bleibt vorerst auch bestehen, muss

sich aber nach einem Käufer umsehen. Simicska will es nicht behalten.

Anfang 2017 war bereits die linke Tageszeitu­ng „Nepszabads´ag“´ von ihrem österreich­ischen Eigentümer von einem Tag auf den anderen geschlosse­n worden. Danach wurden alle Regionalbl­ätter an Firmen verkauft, deren Eigentümer als regierungs­freundlich gelten. Mit dem Ende von „Magyar Nemzet“und Lanchid´ Radio´ schrumpft der Marktantei­l regierungs­kritischer Medien in Ungarn einmal mehr. Und die Frage ist, wer wohl „Heti Valasz“´ kaufen wird.

Orban will neue Regierungs­struktur

Nun wird viel spekuliert, ob politische­r Druck auf Simcska ausgeübt wurde, sich aus dem Medienmark­t zurückzuzi­ehen. Seine Entscheidu­ngen folgen aber auch einer wirtschaft­lichen Logik: „Magyar Nemzet“war defizitär und teuer. Hir TV kann sich finanziere­n, wenn es Kosten reduziert. Das große, sehr regierungs­kritische Nachrichte­nportal Index ist wirtschaft­lich gut aufgestell­t und kann bleiben. Politik spielte sicher eine Rolle, Simicska ist aber Geschäftsm­ann, kann rechnen und behält mit Index und Hir TV seine zwei größten Trümpfe in der Hand.

Die verbleiben­den kritischen Medien sind neben diesen beiden vor allem das Wochenmaga­zin „HVG“und die linke Tageszeitu­ng „Nepszava“´ sowie der TV-Sender RTL.

Noch bevor die Nachricht über die „Magyar Nemzet“publik wurde, erhielten Korrespond­enten in Budapest gegen neun Uhr Telefonanr­ufe: Sie möchten sich bitte um Mittag im Parlament einfinden für eine wichtige Pressekonf­erenz. Mehr wurde nicht mitgeteilt. Es war dann Orban´ selbst, der erschien: Er werde nach seinem klaren Wahl- sieg eine ganz neue Politik einleiten, die sich deutlich von der vorherigen unterschei­den werde. Wie, das sagte er nicht. Der Neuanfang werde mit einer neuen „Regierungs­struktur“einhergehe­n, und einer ebenso neuen Regierungs­mannschaft. „Alle bisherigen Minister und Staatssekr­etäre haben ihre Arbeit beendet, und ich danke ihnen dafür“, sagte Orban.´ Er schloss jedoch aus, dass er ein Präsidials­ystem anstrebe.

Und die EU? Orban´ kündigte eine Vertiefung der Beziehunge­n zu Polen und zum Freistaat Bayern an. Die Ungarn hätten bei der Wahl ein klares Votum für ein „Europa der Nationen“und gegen „Vereinigte Staaten von Europa“abgegeben. Demnächst, so verriet der Premier, werde EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker zu Besuch nach Budapest kommen. Ein Berater Orbans´ ergänzte gegenüber der „Presse“, dass Mitteleuro­pa und die Rolle der Visegrad-´Gruppe in der EU im Zentrum der ungarische­n Außenpolit­ik stehen würden.

Jobbik verlangt Neuauszähl­ung

Derweil kocht die Wut in den Reihen der Opposition über die verlorene Wahl. Die rechte Jobbik, deren Chef Gabor´ Vona zurücktrat und nicht einmal sein Parlaments­mandat annahm, lässt Juristen einen Antrag auf Neuauszähl­ung der Stimmen prüfen. Es gebe eine Reihe verdächtig­er Fälle. So seien im vierten Wahlkreis in Budapest Stimmen für Jobbik auf einmal bei einer „Fake-Partei“namens Netpart´ verzeichne­t worden.

Für Sonntag wurde eine Jugenddemo­nstration – nicht von Jobbik – in Budapest angekündig­t. Die Organisato­ren wollen das Wahlergebn­is ebenfalls nicht akzeptiere­n und schlagen revolution­äre Töne an.

Nach einer Wahl ist nicht die Zahl an Gratulatio­nen für den Sieger von Bedeutung, sondern die Nuancen in den einzelnen Statements. Sie sagen oft mehr über wahre Freude oder Sorge aus als die gewahrte Form. Nach dem klaren Erfolg von Viktor Orbans´ Partei Fidesz bei den Parlaments­wahlen am vergangene­n Sonntag ließ beispielsw­eise die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) verkünden, dass sie eine „schriftlic­he Gratulatio­n“versenden werde. Gleichzeit­ig wies ihr Sprecher Steffen Seibert darauf hin, dass es schon in der Vergangenh­eit Kontrovers­en mit Orban´ gegeben habe. Ganz anders reagierte Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU). Er machte aus seiner Begeisteru­ng kein Hehl und kündigte eine noch engere Partnersch­aft mit Fidesz an. Auf die Kritik an der mangelnden Solidaritä­t der ungarische­n Regierung in der Migrations­krise und an ihrem Anti-EU-Kurs ging Seehofer nicht ein. Die „Politik des Hochmuts und der Bevormundu­ng gegenüber einzelnen Mitgliedst­aaten“habe er immer für falsch gehalten, so der CSU-Politiker. Merkel war zuletzt immer deutlicher auf Distanz zu Orban´ gegangen, Seehofer sympathisi­erte hingegen mit dessen restriktiv­er Einwanderu­ngspolitik.

Der klare Sieg von Orbans´ Fidesz macht nicht nur Risse zwischen West- und Osteuropa, sondern auch innerhalb der christdemo­kratischen Parteienfa­milie deutlich. Die ÖVP ist dabei keine Ausnahme: Während Bundeskanz­ler Sebastian Kurz seinem Amtskolleg­en ohne Zwischentö­ne zum Erfolg gratuliert­e und darauf hinwies, dass er sich „auf eine weitere Zusammenar­beit“freue, ging Othmar Karas, Leiter der ÖVP-Delegation im Europaparl­ament, deutlich auf Distanz. Er wolle das demokratis­che Ergebnis zwar akzeptiere­n, so Karas. Aber der Weg dorthin müsste hinterfrag­t werden, sagte er gegenüber der „Presse“.

Warnung vor Gratulatio­nsbotschaf­ten

Karas verwies auf antisemiti­sche Anspielung­en, den umstritten­en Anti-Migrations- und Anti-EU-Kurs von Fidesz sowie auf jüngste Korruption­svorwürfe gegen Orbans´ Umfeld: „Der Wahlerfolg rechtferti­gt diese Politik, die Sprache, den Antisemiti­smus, die Korruption und den Nationalis­mus nicht.“Schon vor Bekanntgab­e des Wahlergebn­isses hatte Karas dazu aufgerufen, vor dem Abschicken von Gratulatio­nsbotschaf­ten an Orban´ sich dessen Politiksti­l genau anzuschaue­n.

In der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) gibt es seit Jahren eine Debatte über einen

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[ Reuters ] Ungarns Premier Viktor Orban´ will nach seinem Wahlsieg sein Regierungs­team umkrempeln – und am liebsten die EU auch.

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