Ruf nach Machtwort Merkels
Deutschland. Eine Klausur auf Schloss Meseberg sollte die Koalition zusammenschweißen. Dynamik strahlte die Regierung aber nicht aus.
Für bahnbrechende Entscheidungen steht das Barockschloss nördlich der Hauptstadt nicht, eher für den viel beschworenen „Geist von Meseberg“. In die Abgeschiedenheit der brandenburgischen Provinz, abseits vom Berliner Getöse, hat Angela Merkel Staatsgäste wie Jacques Chirac oder George W. Bush eingeladen, um Nähe und Wertschätzung zu signalisieren.
Um zwanglose Atmosphäre zwischen den oft neuen Ministern der nur noch nominell Großen Koalition, begleitet von dem einen oder anderen Glas Rotwein, sollte es nach den langwierigen Verhandlungen, den Kalamitäten bei der SPD und der Osterpause auch bei der Regierungsklausur in Meseberg gehen, die nach nicht einmal 24 Stunden Mittwochmittag im Plauderton ausklang. Die Kanzlerin und ihr SPD-Vizekanzler, der Hamburger Ex-Bürgermeister und Finanzminister Olaf Scholz, vermittelten bei ihrer Abschlusspressekonferenz in quasi hanseatischem Understatement eine Unaufgeregtheit, die mit dem Erscheinungsbild der Koalition kontrastiert.
Merkel konstatierte einen „ausgeprägten Willen zur Zusammenarbeit“. „Teambildung gelungen, der Rest kommt jetzt“, resümierte der Finanzminister Olaf Scholz. Er demonstrierte Kontinuität zu seinem CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble. Auch für ihn hat die „schwarze Null“für das Budget der kommenden beiden Jahre Priorität.
Überhaupt dominierte in Meseberg business as usual. Zur Debatte standen die Dieselproblematik, der Ausstieg aus der Kohleproduktion, der Fortbestand der Grenzkontrollen und vieles andere mehr. Gäste wie EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg symbolisierten die weltpolitische Agenda. Von der Hoffnung auf eine „Dynamik für Deutschland“, wie dies auch der Titel des Koalitionsabkommens suggeriert, hat Verkehrsminister Andreas Scheuer gesprochen. Der Ex-CSU-Generalsekretär, ein PR-Profi, bezeichnete die Klausur als Politcamp. Neben dem Atmosphärischen sollte es um die Abstimmung von Vorhaben und Schwerpunkten gehen. Dies hat die Regierung Merkel IV, gerade erst vier Wochen im Amt, dringend nötig. Viele Protagonisten sind bereits jetzt genervt.
Profilierung und Provokation
Bisher ließ die Koalition durch Misstöne und die Profilierungsversuche einzelner Minister in Interviews aufhorchen. Innenminister Horst Seehofer löste neuerlich eine Kontroverse aus, ob der Islam denn nun tatsächlich ein Bestandteil Deutschlands sei. In ihrer Regierungserklärung fuhr Merkel dem CSU-Chef daraufhin sachte in die Parade, der indessen längst die Landtagswahl in Bayern im Herbst im Fokus hat. Auch in der Frage des restriktiveren Familiennachzugs für Flüchtlinge provozierte Seehofer den Koalitionspartner. Für Häme sorgte ein Gruppenfoto Seehofers mit ausschließlich männlichen Spitzenbeamten.
Noch stärker als Reizfigur trat allerdings Gesundheitsminister Jens Spahn auf, Galionsfigur der Merkel-Kritiker in der CDU. Ob er die Abtreibungsregelung infrage stellte, eine Debatte über Sozialhilfe und Armut anzettelte oder nach Gesetz und Ordnung in deutschen Innenstädten rief – Spahn brachte damit auch Parteifreunde auf die Palme. „Flitterwochen sehen anders aus“, höhnte ein hochrangiger SPD-Politiker. Andrea Nahles, die designierte SPDChefin, forderte ein Machtwort der Kanzlerin: „So kann es nicht weitergehen.“Merkel regiert jedoch subtiler. Das müsste Nahles wissen, die zuletzt vier Jahre in ihrem Kabinett als Arbeitsministerin gedient hat. Auch Nahles muss sich nun profilieren – als Fraktionschefin außerhalb der Regierung.