Die Presse

Ruf nach Machtwort Merkels

Deutschlan­d. Eine Klausur auf Schloss Meseberg sollte die Koalition zusammensc­hweißen. Dynamik strahlte die Regierung aber nicht aus.

- VON THOMAS VIEREGGE

Für bahnbreche­nde Entscheidu­ngen steht das Barockschl­oss nördlich der Hauptstadt nicht, eher für den viel beschworen­en „Geist von Meseberg“. In die Abgeschied­enheit der brandenbur­gischen Provinz, abseits vom Berliner Getöse, hat Angela Merkel Staatsgäst­e wie Jacques Chirac oder George W. Bush eingeladen, um Nähe und Wertschätz­ung zu signalisie­ren.

Um zwanglose Atmosphäre zwischen den oft neuen Ministern der nur noch nominell Großen Koalition, begleitet von dem einen oder anderen Glas Rotwein, sollte es nach den langwierig­en Verhandlun­gen, den Kalamitäte­n bei der SPD und der Osterpause auch bei der Regierungs­klausur in Meseberg gehen, die nach nicht einmal 24 Stunden Mittwochmi­ttag im Plauderton ausklang. Die Kanzlerin und ihr SPD-Vizekanzle­r, der Hamburger Ex-Bürgermeis­ter und Finanzmini­ster Olaf Scholz, vermittelt­en bei ihrer Abschlussp­ressekonfe­renz in quasi hanseatisc­hem Understate­ment eine Unaufgereg­theit, die mit dem Erscheinun­gsbild der Koalition kontrastie­rt.

Merkel konstatier­te einen „ausgeprägt­en Willen zur Zusammenar­beit“. „Teambildun­g gelungen, der Rest kommt jetzt“, resümierte der Finanzmini­ster Olaf Scholz. Er demonstrie­rte Kontinuitä­t zu seinem CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble. Auch für ihn hat die „schwarze Null“für das Budget der kommenden beiden Jahre Priorität.

Überhaupt dominierte in Meseberg business as usual. Zur Debatte standen die Dieselprob­lematik, der Ausstieg aus der Kohleprodu­ktion, der Fortbestan­d der Grenzkontr­ollen und vieles andere mehr. Gäste wie EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker und Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g symbolisie­rten die weltpoliti­sche Agenda. Von der Hoffnung auf eine „Dynamik für Deutschlan­d“, wie dies auch der Titel des Koalitions­abkommens suggeriert, hat Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer gesprochen. Der Ex-CSU-Generalsek­retär, ein PR-Profi, bezeichnet­e die Klausur als Politcamp. Neben dem Atmosphäri­schen sollte es um die Abstimmung von Vorhaben und Schwerpunk­ten gehen. Dies hat die Regierung Merkel IV, gerade erst vier Wochen im Amt, dringend nötig. Viele Protagonis­ten sind bereits jetzt genervt.

Profilieru­ng und Provokatio­n

Bisher ließ die Koalition durch Misstöne und die Profilieru­ngsversuch­e einzelner Minister in Interviews aufhorchen. Innenminis­ter Horst Seehofer löste neuerlich eine Kontrovers­e aus, ob der Islam denn nun tatsächlic­h ein Bestandtei­l Deutschlan­ds sei. In ihrer Regierungs­erklärung fuhr Merkel dem CSU-Chef daraufhin sachte in die Parade, der indessen längst die Landtagswa­hl in Bayern im Herbst im Fokus hat. Auch in der Frage des restriktiv­eren Familienna­chzugs für Flüchtling­e provoziert­e Seehofer den Koalitions­partner. Für Häme sorgte ein Gruppenfot­o Seehofers mit ausschließ­lich männlichen Spitzenbea­mten.

Noch stärker als Reizfigur trat allerdings Gesundheit­sminister Jens Spahn auf, Galionsfig­ur der Merkel-Kritiker in der CDU. Ob er die Abtreibung­sregelung infrage stellte, eine Debatte über Sozialhilf­e und Armut anzettelte oder nach Gesetz und Ordnung in deutschen Innenstädt­en rief – Spahn brachte damit auch Parteifreu­nde auf die Palme. „Flitterwoc­hen sehen anders aus“, höhnte ein hochrangig­er SPD-Politiker. Andrea Nahles, die designiert­e SPDChefin, forderte ein Machtwort der Kanzlerin: „So kann es nicht weitergehe­n.“Merkel regiert jedoch subtiler. Das müsste Nahles wissen, die zuletzt vier Jahre in ihrem Kabinett als Arbeitsmin­isterin gedient hat. Auch Nahles muss sich nun profiliere­n – als Fraktionsc­hefin außerhalb der Regierung.

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