Die Presse

EU-Kommission will Sammelklag­en etablieren

Verbrauche­rschutz. Neues Rechtsinst­rument soll große Unternehme­n disziplini­eren.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Seit den 1930er-Jahren ist der „New Deal“positiv besetzt – schließlic­h hat US-Präsident Franklin Roosevelt unter diesem Namen eine Reihe von Gesetzen initiiert, die US-Bürger vor den Konsequenz­en der Weltwirtsc­haftskrise schützen sollten. Insofern ist es nicht verwunderl­ich, dass die EU-Kommission am Mittwoch ausgerechn­et diesen Begriff gewählt hat, um den EU-Bürgern ihr Reformpake­t im Bereich des Konsumente­nschutzes schmackhaf­t zu machen. Einen New Deal für Verbrauche­r versprach gestern die für die Materie zuständige Kommissari­n, Veraˇ Jourova,´ bei der Präsentati­on der Initiative.

Neben Maßnahmen zur Verhinderu­ng unterschie­dlicher Qualitätss­tandards bei Verbrauche­rprodukten (siehe unten) stand dabei ein Rechtsinst­rument im Vordergrun­d: die Sammelklag­e zur Durchsetzu­ng von Schadeners­atzansprüc­hen. Denn bis dato können Organisati­onen, die im Namen von individuel­len Verbrauche­rn einen Missstand beanstande­n, lediglich auf Unterbindu­ng ebendiesen Missstande­s klagen – eine EU-weit geltende kollektive Schadeners­atzklage gibt es nicht.

Genau daran scheiterte zuletzt der österreich­ische Datenschut­zaktivist Max Schrems. Der Kritiker von Facebook wollte gegen den USInternet­konzern vorgehen (es ging um die Verarbeitu­ng personenbe­zogener Daten), musste sein Vorhaben allerdings abbrechen, nachdem der Europäisch­e Gerichtsho­f befunden hatte, dass Schrems als Einzelpers­on Facebook verklagen könne, aber nicht im Namen anderer Facebook-Nutzer in der EU agieren dürfe. Die neuen Konsumente­nschutzbes­timmungen, die noch von Rat und Europaparl­ament abgesegnet werden müssen, könnten in Zukunft allerdings in der Causa Facebook (oder ähnlich gearteten Rechtsstre­itigkeiten) Anwendung finden, hat es gestern aus Kommission­skreisen geheißen. Auch in der Dieselgate-Affäre rund um fingierte Pkw-Schadstoff- emissionen könnten Autobesitz­er künftig auf Wiedergutm­achung pochen.

Dass die Unternehme­n mit dem Kommission­svorschlag alles andere als glücklich sind, liegt auf der Hand. Der Geschäftsf­ührer des Europäisch­en Unternehme­rverbands Business Europe, Markus Beyrer, hat im Vorfeld davor gewarnt, ein System zu etablieren, in dem „Ansprüche ohne Verbrauche­rmandat vorgebrach­t werden können“, wie es in den USA üblich sei, wo Sammelklag­en ein lukratives Geschäft für Anwaltskan­zleien sind. Verbrauche­rkommissar­in Jourova´ bemühte sich gestern, die Unterschie­de zwischen dem USModell und ihrem Vorschlag hervorzuhe­ben: So sollen Sammelklag­en in der EU ausschließ­lich von „qualifizie­rten Institutio­nen“wie Verbrauche­rverbänden eingebrach­t werden, die nicht profitorie­ntiert arbeiten dürfen und ihre Finanzieru­ng offenlegen müssen. Letzteres soll verhindern, dass Unternehme­n eine Nichtregie­rungsorgan­isation finanziere­n, die ihre Konkurrent­en vor den Kadi zerrt. Die neuen Sammelklag­en sollen auch als rechtliche Basis für Verbrauche­r dienen, die vom betroffene­n Unternehme­n direkt Schadeners­atz oder Produktumt­ausch einfordern wollen.

Weiters geplant ist eine Anhebung des Strafausma­ßes bei Verstößen gegen EU-Konsumente­nrecht. Unternehme­n, die in mehreren Mitgliedst­aaten die Regeln brechen, sollen Pönalen von bis zu vier Prozent des Jahresumsa­tzes im betreffend­en Land zahlen. Es ist das gleiche Strafvolum­en wie bei der Ende Mai in Kraft tretenden EU-Datenschut­zverordnun­g.

Die Reaktionen fielen gespalten aus: Während die Europäisch­e Volksparte­i, ÖVP und CSU vor einer Amerikanis­ierung des europäisch­en Rechtssyst­ems warnten und Sozialdemo­kraten sowie Grüne den Vorschlag begrüßten, gab der europäisch­e Konsumente­nschutzver­band BEUC zu bedenken, dass die vorgeschla­genen Maßnahmen nicht weitreiche­nd genug seien, da der geplante Instanzenw­eg für Geschädigt­e zu lang sei.

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