EU-Kommission will Sammelklagen etablieren
Verbraucherschutz. Neues Rechtsinstrument soll große Unternehmen disziplinieren.
Seit den 1930er-Jahren ist der „New Deal“positiv besetzt – schließlich hat US-Präsident Franklin Roosevelt unter diesem Namen eine Reihe von Gesetzen initiiert, die US-Bürger vor den Konsequenzen der Weltwirtschaftskrise schützen sollten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die EU-Kommission am Mittwoch ausgerechnet diesen Begriff gewählt hat, um den EU-Bürgern ihr Reformpaket im Bereich des Konsumentenschutzes schmackhaft zu machen. Einen New Deal für Verbraucher versprach gestern die für die Materie zuständige Kommissarin, Veraˇ Jourova,´ bei der Präsentation der Initiative.
Neben Maßnahmen zur Verhinderung unterschiedlicher Qualitätsstandards bei Verbraucherprodukten (siehe unten) stand dabei ein Rechtsinstrument im Vordergrund: die Sammelklage zur Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen. Denn bis dato können Organisationen, die im Namen von individuellen Verbrauchern einen Missstand beanstanden, lediglich auf Unterbindung ebendiesen Missstandes klagen – eine EU-weit geltende kollektive Schadenersatzklage gibt es nicht.
Genau daran scheiterte zuletzt der österreichische Datenschutzaktivist Max Schrems. Der Kritiker von Facebook wollte gegen den USInternetkonzern vorgehen (es ging um die Verarbeitung personenbezogener Daten), musste sein Vorhaben allerdings abbrechen, nachdem der Europäische Gerichtshof befunden hatte, dass Schrems als Einzelperson Facebook verklagen könne, aber nicht im Namen anderer Facebook-Nutzer in der EU agieren dürfe. Die neuen Konsumentenschutzbestimmungen, die noch von Rat und Europaparlament abgesegnet werden müssen, könnten in Zukunft allerdings in der Causa Facebook (oder ähnlich gearteten Rechtsstreitigkeiten) Anwendung finden, hat es gestern aus Kommissionskreisen geheißen. Auch in der Dieselgate-Affäre rund um fingierte Pkw-Schadstoff- emissionen könnten Autobesitzer künftig auf Wiedergutmachung pochen.
Dass die Unternehmen mit dem Kommissionsvorschlag alles andere als glücklich sind, liegt auf der Hand. Der Geschäftsführer des Europäischen Unternehmerverbands Business Europe, Markus Beyrer, hat im Vorfeld davor gewarnt, ein System zu etablieren, in dem „Ansprüche ohne Verbrauchermandat vorgebracht werden können“, wie es in den USA üblich sei, wo Sammelklagen ein lukratives Geschäft für Anwaltskanzleien sind. Verbraucherkommissarin Jourova´ bemühte sich gestern, die Unterschiede zwischen dem USModell und ihrem Vorschlag hervorzuheben: So sollen Sammelklagen in der EU ausschließlich von „qualifizierten Institutionen“wie Verbraucherverbänden eingebracht werden, die nicht profitorientiert arbeiten dürfen und ihre Finanzierung offenlegen müssen. Letzteres soll verhindern, dass Unternehmen eine Nichtregierungsorganisation finanzieren, die ihre Konkurrenten vor den Kadi zerrt. Die neuen Sammelklagen sollen auch als rechtliche Basis für Verbraucher dienen, die vom betroffenen Unternehmen direkt Schadenersatz oder Produktumtausch einfordern wollen.
Weiters geplant ist eine Anhebung des Strafausmaßes bei Verstößen gegen EU-Konsumentenrecht. Unternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten die Regeln brechen, sollen Pönalen von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes im betreffenden Land zahlen. Es ist das gleiche Strafvolumen wie bei der Ende Mai in Kraft tretenden EU-Datenschutzverordnung.
Die Reaktionen fielen gespalten aus: Während die Europäische Volkspartei, ÖVP und CSU vor einer Amerikanisierung des europäischen Rechtssystems warnten und Sozialdemokraten sowie Grüne den Vorschlag begrüßten, gab der europäische Konsumentenschutzverband BEUC zu bedenken, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht weitreichend genug seien, da der geplante Instanzenweg für Geschädigte zu lang sei.