Was Diess an der VW-Spitze bedeutet
Autoindustrie. Eigentlich wollte er ja BMW-Chef werden, jetzt dürfte er an die Spitze von Volkswagen rücken. Dort warten große Herausforderungen auf Herbert Diess.
Es war hoher Besuch, den kaum jemand erkannte. „Sehr schönes Auto“, meinte Herbert Diess beim GTI-Treffen am Wörthersee zu einem Jugendlichen. „Danke“, kam die knappe Antwort des fast ein wenig genervt wirkenden Besitzers. Hätte er gewusst, wer hier seinen aufgemotzten Golf lobt, hätte er wahrscheinlich anders reagiert.
Aber damals, im Mai 2017, kannte noch kaum jemand den Markenchef von VW, der an jenem Tag völlig ungestört mit drei Mitarbeitern über das Areal flanieren konnte. Das wird sich vermutlich bald ändern: Diess dürfte morgen, Freitag, als neuer Konzernchef von Volkswagen vorgestellt werden. Er löst Matthias Müller ab, dessen Vertrag eigentlich bis 2020 läuft. Diess soll, hoffen die Eigentümerfamilien Porsche und Piech,¨ den Konzern schneller auf die neuen Herausforderungen umstellen.
30 E-Autos bis 2025
Dass er das kann, hat der Bayer mit österreichischem Pass (sein Vater war laut Konzern Österreicher) seit Juli 2015 als „Vorsitzender des Markenvorstands VolkswagenPkw“bewiesen. Der Dieselskandal scheint vergessen, die Marke verdient wieder gut und verkaufte im ersten Quartal 2018 so viele Autos (1,5 Millionen) wie noch nie in einem Auftaktquartal.
Diess war Ende 2014 zu VW gekommen, nachdem sein beruflicher Traum geplatzt war: Eigentlich wollte er Chef von BMW werden, hatte gezielt darauf hingearbeitet, agierte zum Schluss in München als Entwicklungsvorstand und verantwortete unter anderem das Elektroauto i3. Doch dann wurde Produktionsvorstand Harald Krüger Herr von BMW, Fer- dinand Piech¨ persönlich, damals noch allmächtiger VW-Aufsichtsratschef, holte den Enttäuschten zu Volkswagen.
Kaum angekommen, legte sich der begeisterte Skitourengeher und Radfahrer mit den Gewerkschaftsvertretern an, denen die Spar- und Optimierungspläne des Bayern überhaupt nicht gefielen. Manche schrieben schon Nachrufe auf Diess. Dass jemand einen solchen Konflikt mit dem mächtigen Betriebsratschef Bernd Osterloh beruflich überlebt, hielt man für ausgeschlossen.
Doch die Eigentümerfamilien Porsche und Piech¨ gaben Rückendeckung, und Diess und Osterloh arrangierten sich. Wie sehr, kann man daran ahnen, dass laut Gerüchten auch VW-Personalchef Karlheinz Blessing ausgetauscht wird – gegen Gunnar Kilian, der bisher Generalsekretär bei Osterloh im Betriebsrat ist.
Diess bewies jedenfalls, dass er Konflikte nicht scheut und sie erfolgreich ausfechten kann. Das wird in den kommenden Jahren wichtig, wenn der bald 60-Jährige den größten Autokonzern der Welt neu aufstellen muss. Zwar hat der Konzern eine „Roadmap E“, laut der bis 2025 30 Elektroautos auf den Markt kommen sollen (zusätzlich zu 50 Plug-in-hybrid-Fahrzeugen). Doch dieses Ziel muss man erst einmal umsetzen, schon jetzt kämpft VW mit Lieferproblemen bei seinen E-Autos.
Dazu kommen die neuen Autokäufer – oder eher die NichtKäufer. Besitz wird immer weniger wichtig, die Jungen setzen auf CarSharing, wenn sie denn überhaupt einen Führerschein haben. VW will daher bis 2025 nach dem Vor- bild von Uber einer der drei größten sogenannten Ride-Hailing-Anbieter der Welt sein, in Europa strebt man Platz eins an.
Dieselskandal: ohne Wissen
Ein Vorteil von Diess ist, dass er erst knapp vor dem Dieselskandal zu Volkswagen kam und damit im Gegensatz zu aktuellen VW-Spitzenmanagern unverdächtig ist, was das Wissen um Manipulationen betrifft. Ein nicht zu unterschätzendes Plus bei all den Verfahren, die gegen VW laufen.
Möglicherweise, wurde gestern spekuliert, steigt Diess zwar zum Konzernchef auf, behält aber seinen Job als Markenchef. Zu dieser Funktion gehört als Pflichtprogramm der Besuch beim GTI-Treffen am Wörthersee – das nächste Mal wahrscheinlich mit etwas mehr Aufmerksamkeit.