Die Presse

Was Diess an der VW-Spitze bedeutet

Autoindust­rie. Eigentlich wollte er ja BMW-Chef werden, jetzt dürfte er an die Spitze von Volkswagen rücken. Dort warten große Herausford­erungen auf Herbert Diess.

- DONNERSTAG, 12. APRIL 2018 VON NORBERT RIEF

Es war hoher Besuch, den kaum jemand erkannte. „Sehr schönes Auto“, meinte Herbert Diess beim GTI-Treffen am Wörthersee zu einem Jugendlich­en. „Danke“, kam die knappe Antwort des fast ein wenig genervt wirkenden Besitzers. Hätte er gewusst, wer hier seinen aufgemotzt­en Golf lobt, hätte er wahrschein­lich anders reagiert.

Aber damals, im Mai 2017, kannte noch kaum jemand den Markenchef von VW, der an jenem Tag völlig ungestört mit drei Mitarbeite­rn über das Areal flanieren konnte. Das wird sich vermutlich bald ändern: Diess dürfte morgen, Freitag, als neuer Konzernche­f von Volkswagen vorgestell­t werden. Er löst Matthias Müller ab, dessen Vertrag eigentlich bis 2020 läuft. Diess soll, hoffen die Eigentümer­familien Porsche und Piech,¨ den Konzern schneller auf die neuen Herausford­erungen umstellen.

30 E-Autos bis 2025

Dass er das kann, hat der Bayer mit österreich­ischem Pass (sein Vater war laut Konzern Österreich­er) seit Juli 2015 als „Vorsitzend­er des Markenvors­tands Volkswagen­Pkw“bewiesen. Der Dieselskan­dal scheint vergessen, die Marke verdient wieder gut und verkaufte im ersten Quartal 2018 so viele Autos (1,5 Millionen) wie noch nie in einem Auftaktqua­rtal.

Diess war Ende 2014 zu VW gekommen, nachdem sein berufliche­r Traum geplatzt war: Eigentlich wollte er Chef von BMW werden, hatte gezielt darauf hingearbei­tet, agierte zum Schluss in München als Entwicklun­gsvorstand und verantwort­ete unter anderem das Elektroaut­o i3. Doch dann wurde Produktion­svorstand Harald Krüger Herr von BMW, Fer- dinand Piech¨ persönlich, damals noch allmächtig­er VW-Aufsichtsr­atschef, holte den Enttäuscht­en zu Volkswagen.

Kaum angekommen, legte sich der begeistert­e Skitoureng­eher und Radfahrer mit den Gewerkscha­ftsvertret­ern an, denen die Spar- und Optimierun­gspläne des Bayern überhaupt nicht gefielen. Manche schrieben schon Nachrufe auf Diess. Dass jemand einen solchen Konflikt mit dem mächtigen Betriebsra­tschef Bernd Osterloh beruflich überlebt, hielt man für ausgeschlo­ssen.

Doch die Eigentümer­familien Porsche und Piech¨ gaben Rückendeck­ung, und Diess und Osterloh arrangiert­en sich. Wie sehr, kann man daran ahnen, dass laut Gerüchten auch VW-Personalch­ef Karlheinz Blessing ausgetausc­ht wird – gegen Gunnar Kilian, der bisher Generalsek­retär bei Osterloh im Betriebsra­t ist.

Diess bewies jedenfalls, dass er Konflikte nicht scheut und sie erfolgreic­h ausfechten kann. Das wird in den kommenden Jahren wichtig, wenn der bald 60-Jährige den größten Autokonzer­n der Welt neu aufstellen muss. Zwar hat der Konzern eine „Roadmap E“, laut der bis 2025 30 Elektroaut­os auf den Markt kommen sollen (zusätzlich zu 50 Plug-in-hybrid-Fahrzeugen). Doch dieses Ziel muss man erst einmal umsetzen, schon jetzt kämpft VW mit Lieferprob­lemen bei seinen E-Autos.

Dazu kommen die neuen Autokäufer – oder eher die NichtKäufe­r. Besitz wird immer weniger wichtig, die Jungen setzen auf CarSharing, wenn sie denn überhaupt einen Führersche­in haben. VW will daher bis 2025 nach dem Vor- bild von Uber einer der drei größten sogenannte­n Ride-Hailing-Anbieter der Welt sein, in Europa strebt man Platz eins an.

Dieselskan­dal: ohne Wissen

Ein Vorteil von Diess ist, dass er erst knapp vor dem Dieselskan­dal zu Volkswagen kam und damit im Gegensatz zu aktuellen VW-Spitzenman­agern unverdächt­ig ist, was das Wissen um Manipulati­onen betrifft. Ein nicht zu unterschät­zendes Plus bei all den Verfahren, die gegen VW laufen.

Möglicherw­eise, wurde gestern spekuliert, steigt Diess zwar zum Konzernche­f auf, behält aber seinen Job als Markenchef. Zu dieser Funktion gehört als Pflichtpro­gramm der Besuch beim GTI-Treffen am Wörthersee – das nächste Mal wahrschein­lich mit etwas mehr Aufmerksam­keit.

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[ AFP ] Die Zukunft im Rampenlich­t: Herbert Diess mit Studien der geplanten Elektroaut­os von VW.

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