Die Presse

Wie man Amerika groß macht – und wie nicht

IWF. Nur ein hoher Industriea­nteil sichert Wachstum und dämpft die Ungleichhe­it? China stiehlt dem Westen Jobs und Innovation­en? Der IWF stellt die Thesen hinter Trumps Handelsstr­eit auf den Prüfstand – mit verblüffen­den Ergebnisse­n.

- VON KARL GAULHOFER

Donald Trump agiert mit seinen Strafzölle­n als ökonomisch­er Amokläufer: Da sind sich fast alle Experten einig. Aber wenn es um die Motive für die aggressive Handelspol­itik des US-Präsidente­n geht, geben ihm viele implizit recht: Die US-Industrie hat durch die Globalisie­rung an Bedeutung verloren. Das drücke die Produktivi­tät, die bei den Dienstleis­tungen traditione­ll schwächer wächst. Und es treibe die Ungleichhe­it: Schlechter qualifizie­rte Arbeitnehm­er, die früher in Fabriken recht gut verdienten, müssen sich mit mies bezahlten Servicejob­s über Wasser halten. Also rufen auch viele Volkswirte nach einer Reindustri­alisierung, wenn auch mit weniger brachialen Mitteln. Und der Vorwurf, China stehle dem Westen die Innovation­en und verschaffe sich so unfaire Vorteile? Dazu nicken die meisten.

Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) hat diese Thesen auf den Prüfstand gestellt, in den „analytisch­en Kapiteln“, die er seinem Weltwirtsc­haftsausbl­ick vorausschi­ckt. Er zeigt: Der Wandel zur Dienstleis­tungsgesel­lschaft ist seit einem halben Jahrhunder­t ein Megatrend, der Hand in Hand mit wachsendem Wohlstand geht. Er betrifft auch die Schwellen- und Entwicklun­gsländer, deren Bewohner direkt von den Äckern in urbane Servicejob­s wechseln. In den allermeist­en Staaten arbeiten heute viel weniger Menschen in der Industrie; selbst in Südostasie­n könnte die Spitze nahe sein.

Sicher: Länder wie Österreich, die Schweiz oder Schweden haben es geschafft, den Anteil der industriel­len Wertschöpf­ung weiter zu steigern, durch Automation und hoch ertragreic­he Konzernzen­tralen. Die USA fiel hier erst in jüngeren Jahren zurück: Während China, Deutschlan­d oder Österreich heute mehr Industrieg­üter produziere­n, als die eigene Bevölkerun­g kauft, ist es in Amerika umgekehrt. Aber ist das wirklich so schlimm? Nein, sagt der IWF. Denn die Produktivi­tät im Serviceber­eich hat sich seit 2000 jener der Industrie angenähert, vor allem durch das Internet. In einigen großen Teilsektor­en – Kommunikat­ion, Transport, Finanz und unternehme­nsnahe Dienstleis­tungen wie IT – ist sie sogar schon höher.

Und die wachsende Ungleichhe­it? Die hat wenig damit zu tun, dass Arbeitnehm­er vom Fließband an eine Supermarkt­kasse wechseln mussten. Die Veränderun­g der Sektorante­ile trug nicht viel bei; rechnet man ein, dass die Einkommens­unterschie­de zwischen den Sektoren sinken, bleibt fast nichts übrig. Die wachsende Ungleichhe­it seit den 1980er-Jahren kommt vielmehr aus Veränderun­gen innerhalb der Bereiche, Industrie wie Service. Das gilt überall. Wenn also die Kluft in den USA viel stärker wuchs als in europäisch­en Wohlfahrts­staaten, hat das wohl andere, politisch hausgemach­te Gründe.

Aber wie steht es um den „Diebstahl geistigen Eigentums“durch China? Die fünf Technologi­eführer (USA, Japan, Deutschlan­d, Großbritan­nien und Frankreich) sorgten von 1995 bis 2014 für drei Viertel aller Patente. Und die Schwellenl­änder, allen voran China, profitiere­n weit überpropor­tional vom „Mitnaschen“: 40 Prozent ihres Produktivi­tätszuwach­ses verdankt sich fremden Ideen. Ökonomen lesen den Technologi­efluss aus ihren Patentantr­ägen ab: Dabei müssen die Unternehme­n anführen, wer die wichtigste Vorarbeit geleistet hat. Ob gestohlen oder nicht, ist eine Frage für Juristen. Diebstahl ist nicht hinzunehme­n, betont auch der IWF. Aber worum es dem Fonds geht, sind ökonomisch­e Folgen des Technologi­eflusses. Und auch hier zeige sich: Alles nicht so schlimm, eher im Gegenteil. Denn große Erfindunge­n, die einen Produktivi­tätsschub brächten, hat es schon seit Längerem nicht gegeben. Dass sich die Produktivi­tät global dennoch dynamisch entwickelt, ist nur den Schwellenl­ändern zu verdanken. Damit wächst auch die Weltwirtsc­haft weiter kräftig. Und das ist wohl der Preis für (legales) Mitnaschen an (gar nicht so genialen) Innovation­en. Dazu kommt: In jüngster Zeit emanzipier­en sich Länder wie China und Südkorea technologi­sch, sie tragen immer mehr eigenständ­ige Patente bei. Und vielleicht haben die aufholhung­rigen Asiaten ja bald bessere Ideen als der müde Westen.

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