Wie man Amerika groß macht – und wie nicht
IWF. Nur ein hoher Industrieanteil sichert Wachstum und dämpft die Ungleichheit? China stiehlt dem Westen Jobs und Innovationen? Der IWF stellt die Thesen hinter Trumps Handelsstreit auf den Prüfstand – mit verblüffenden Ergebnissen.
Donald Trump agiert mit seinen Strafzöllen als ökonomischer Amokläufer: Da sind sich fast alle Experten einig. Aber wenn es um die Motive für die aggressive Handelspolitik des US-Präsidenten geht, geben ihm viele implizit recht: Die US-Industrie hat durch die Globalisierung an Bedeutung verloren. Das drücke die Produktivität, die bei den Dienstleistungen traditionell schwächer wächst. Und es treibe die Ungleichheit: Schlechter qualifizierte Arbeitnehmer, die früher in Fabriken recht gut verdienten, müssen sich mit mies bezahlten Servicejobs über Wasser halten. Also rufen auch viele Volkswirte nach einer Reindustrialisierung, wenn auch mit weniger brachialen Mitteln. Und der Vorwurf, China stehle dem Westen die Innovationen und verschaffe sich so unfaire Vorteile? Dazu nicken die meisten.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat diese Thesen auf den Prüfstand gestellt, in den „analytischen Kapiteln“, die er seinem Weltwirtschaftsausblick vorausschickt. Er zeigt: Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft ist seit einem halben Jahrhundert ein Megatrend, der Hand in Hand mit wachsendem Wohlstand geht. Er betrifft auch die Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Bewohner direkt von den Äckern in urbane Servicejobs wechseln. In den allermeisten Staaten arbeiten heute viel weniger Menschen in der Industrie; selbst in Südostasien könnte die Spitze nahe sein.
Sicher: Länder wie Österreich, die Schweiz oder Schweden haben es geschafft, den Anteil der industriellen Wertschöpfung weiter zu steigern, durch Automation und hoch ertragreiche Konzernzentralen. Die USA fiel hier erst in jüngeren Jahren zurück: Während China, Deutschland oder Österreich heute mehr Industriegüter produzieren, als die eigene Bevölkerung kauft, ist es in Amerika umgekehrt. Aber ist das wirklich so schlimm? Nein, sagt der IWF. Denn die Produktivität im Servicebereich hat sich seit 2000 jener der Industrie angenähert, vor allem durch das Internet. In einigen großen Teilsektoren – Kommunikation, Transport, Finanz und unternehmensnahe Dienstleistungen wie IT – ist sie sogar schon höher.
Und die wachsende Ungleichheit? Die hat wenig damit zu tun, dass Arbeitnehmer vom Fließband an eine Supermarktkasse wechseln mussten. Die Veränderung der Sektoranteile trug nicht viel bei; rechnet man ein, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Sektoren sinken, bleibt fast nichts übrig. Die wachsende Ungleichheit seit den 1980er-Jahren kommt vielmehr aus Veränderungen innerhalb der Bereiche, Industrie wie Service. Das gilt überall. Wenn also die Kluft in den USA viel stärker wuchs als in europäischen Wohlfahrtsstaaten, hat das wohl andere, politisch hausgemachte Gründe.
Aber wie steht es um den „Diebstahl geistigen Eigentums“durch China? Die fünf Technologieführer (USA, Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich) sorgten von 1995 bis 2014 für drei Viertel aller Patente. Und die Schwellenländer, allen voran China, profitieren weit überproportional vom „Mitnaschen“: 40 Prozent ihres Produktivitätszuwachses verdankt sich fremden Ideen. Ökonomen lesen den Technologiefluss aus ihren Patentanträgen ab: Dabei müssen die Unternehmen anführen, wer die wichtigste Vorarbeit geleistet hat. Ob gestohlen oder nicht, ist eine Frage für Juristen. Diebstahl ist nicht hinzunehmen, betont auch der IWF. Aber worum es dem Fonds geht, sind ökonomische Folgen des Technologieflusses. Und auch hier zeige sich: Alles nicht so schlimm, eher im Gegenteil. Denn große Erfindungen, die einen Produktivitätsschub brächten, hat es schon seit Längerem nicht gegeben. Dass sich die Produktivität global dennoch dynamisch entwickelt, ist nur den Schwellenländern zu verdanken. Damit wächst auch die Weltwirtschaft weiter kräftig. Und das ist wohl der Preis für (legales) Mitnaschen an (gar nicht so genialen) Innovationen. Dazu kommt: In jüngster Zeit emanzipieren sich Länder wie China und Südkorea technologisch, sie tragen immer mehr eigenständige Patente bei. Und vielleicht haben die aufholhungrigen Asiaten ja bald bessere Ideen als der müde Westen.