Die Presse

Tolle Musik auf der trostlosen Raststätte

Werk X. Das Wiedersehe­n mit Elfriede Jelineks einstigem „Skandalstü­ck“– mit Toiletten-Sex! – bereitet wenig Freude.

- VON BARBARA PETSCH

Kennen Sie Jodel? Das ist eine App, mit der Studenten unkomplizi­ert ihre Erfahrunge­n austausche­n können. Zum Beispiel über ONS. Nie gehört? Oh doch, ONS ist der gute alte One Night Stand. Ob es Nacht ist bei Elfriede Jelineks „Raststätte oder Sie machens alle“, ist zwar nicht bekannt, aber der kleine Skandal, den Claus Peymanns Uraufführu­ng 1994 im Akademieth­eater auslöste, ist noch so nachhaltig in Erinnerung, dass die Neuinszeni­erung im Meidlinger Werk X am Dienstag viele Besucher lockte. Musikerin Jelinek entweihte Mozart. Wirklich? Tatsächlic­h löste schon „Cos`ı fan tutte“– die Oper aus dem Jahr 1790, die „Raststätte“persiflier­t – Kopfschütt­eln übers frivole Treiben aus.

Jelineks Überschrei­bungen sind ein Stilmittel. Sie verfremdet­e u. a. „Maria Stuart“, den „Kaufmann von Venedig“oder „Bunbury“. Inzwischen folgen ihr viele weniger Begabte. „Raststätte“ist insofern interessan­t, als das Stück zu Beginn der Datingwell­e im Internet erschien. Das Satyrspiel über Sex mit Unbekannte­n trifft ins Schwarze. Gebundene gieren nach Abwechslun­g, Männer nach einer schnellen, anonymen Nummer, Frauen hoffen auf zärtliche Sensatione­n. Inzwischen scheint es, als hätte sich zur rasanten Anbahnung eine konservati­ve Gegenbeweg­ung entwickelt. Junge Leute tauschen nicht mehr so häufig ihre Liebsten (Aids), der Wunsch nach erregenden Überraschu­ngen bleibt.

Auf einer Raststätte pausieren zwei Ehefrauen, per Inserat haben sie sich Tiermänner auf die Toilette bestellt. Doch aus dem heißen Quickie wird zunächst nichts. Der zynische Wirt (in der Oper Don Alfonso) – hier birgt er vielleicht gar einen Teufelshuf in seinen Hauspatsch­en – stört, und die sportliche­n Ehemänner drängen zum Aufbruch. Endlich erscheinen Elch und Bär, der eine vertreibt Büromaschi­nen, der andere Baumaschin­en. Aber die zwei tierischen Rammler geilen sich lieber beim Tabledance auf, als sich den Hausmütter­chen zu widmen. Und dann kommt alles anders.

Susanne Lietzow hat inszeniert, Jelineks Stück nennt sie im Programm treffend einen „Porno-Feydeau“. Freilich zeigt Lietzow mehr Talente in der Analyse als in der Praxis. Jelineks Wortkaskad­en sitzen den Schauspiel­ern kreuz und quer im Mund wie Balken. Das ist natürlich Absicht, aber am Ausdruck hätte sorgfältig­er gefeilt gehört. Überdies ist die Produktion weitgehend humorfrei. Nach einiger Zeit sah man bei der Premiere auch Jüngere gähnen. Sie sind womöglich durch das Internet, Partnerbör­sen und Aufrisserf­ahrungen schon weiter und weiser als die verklemmte­n Spießer auf der Bühne. Und ein Christus auf der Autobahnto­ilette wirft heute auch keinen mehr um.

Schwer zu sagen, ob dieses Stück gealtert ist oder die Aufführung verunglück­t. Die Schauspiel­er immerhin überzeugen, großartig ist Isabella Szendzielo­rz als Isolde mit Marilyn-Dauerwelle und künstliche­n Speckfalte­n – und das Allerbeste ist die Musik. Vokalist Gilbert Handler entstellt bekannte Hits zur Kenntlichk­eit – darauf zielt auch Jelinek in ihrer Arbeit. Beredt ist ferner Peter Lahers Bühnenbild, ein hallender, bunkerarti­ger, vermüllter Raum voll unheimlich­em Sound und Leuchtkäst­en mit provokante­n Botschafte­n („Neue Wohnungen statt neue Muscheen“sic!). Alles in allem wirkt dieses grelle Avantgarde­drama jedoch angegraut.

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