„Eine sehr blutrünstige Wiener Unterwelt“
Neues Buch. Gerade dreht Regisseur David Schalko eine neue Serie, soeben ist sein Roman „Schwere Knochen“erschienen, ein Unterwelt-Epos. Er spricht über die Idee zum Buch, die Wiener Diminutive und Straches Weinerlichkeit.
Die Presse: Wir sitzen in der Aida Neubaugasse, dort, wo sich auch die Protagonisten Ihres neuen Romans, „Schwere Knochen“, treffen. Gehen Sie hier sonst überhaupt herein? David Schalko: Ich bin sogar recht oft in der Aida; bei mir ums Eck gibt es eine Filiale, die noch dazu meistens leer ist. Ich mag diese Pensionistenstille, und die Sachertorte. Mit Schlag.
Die drei Freunde und Unterweltkriminellen, die hier im rosa Punschkrapfen-Himmel sitzen – das hat was von einer Szene aus einer Schalko-Serie. Wie viel Unterschied liegt zwischen Drehbuchschreiben und Romanschreiben? Ein großer. Ein Drehbuch ist für mich eher eine Gebrauchsanweisung, noch kein literarisches Werk. Ein Buch bleibt ein Buch, es muss sich selbst genügen. Und den viel direkteren Kontakt mit dem Leser aufnehmen, ohne dass etwas dazwischensteht.
Zwingt sich der routinierte Drehbuchschreiber beim Romanschreiben mehr dazu, starke Bilder zu erzeugen? Ich versuche das eher zu vermeiden, um nicht zu filmisch zu werden bei Romanen. Das ist die Gefahr, wenn Filmregisseure Romane schreiben, dass es ausformulierte Drehbücher werden. Beim Film ist die Bildsprache das, was die Sprache für ein Buch ist. Je älter ich werde, desto mehr entfernen sich die beiden Dinge voneinander, konzentriere ich mich beim Film immer mehr auf das Bild, gehe weg vom Dialog, und beim Roman setze ich zunehmend auf die Sprache.
Der Roman erzählt die Geschichte Österreichs vom „Anschluss“1938 bis in die späte Nachkriegszeit um 1961 anhand von ein paar Freunden aus der Wiener Unterwelt. Wie kamen Sie auf die Idee, dieses dunkle, verbrecherische Wien zu beleuchten? Ich bin vor zehn Jahren darüber gestolpert, dass Hitler zahlreiche Kleinganoven ins KZ gesteckt hat, die dann 1945 als Kapitalverbrecher wieder herauskamen und eine sehr blutrünstige Wiener Unterwelt gegründet haben, die im gesamten deutschen Sprachraum gefürchtet war. Eine Geschichte, die nie erzählt wurde, aber erzählenswert ist, weil sie auch sehr prägsam ist für Österreich und einen ganz anderen Blickwinkel auf die Nachkriegszeit wirft – aber auch auf die Konzentrationslager. Deren Geschichte ist oft aus Opfer- oder aus Tätersicht erzählt worden, aber nie aus der Kapo-Sicht.
Gab es da viel Material? Wenig, vielleicht zwei, drei Bücher. Aber es gibt Polizeiakten, und ich habe viele Dissertationen über die österreichische Unterwelt und Konzentrationslager gelesen. Die Kriminalität in KZ ist ein großes Tabuthema.
Sie beschreiben den Österreicher als Typus des schlauen, aber g’feansten Unsympathlers, der die Autorität der Deutschen sogar im KZ unterwandert. Das war auch wirklich so. Die großen Deutschen sind an der österreichischen Verkleinerungsform verzweifelt. Man hat schnell gemerkt, dass sich der Österreicher nicht für Arbeit, sondern ausschließlich für Führungspositionen eignet. Der Wiener Schmäh ist ja in der Unterwelt besonders ausgeprägt. Von den Deutschen als Humorform missverstanden, ist er in Wahrheit eine Verhandlungsform. Da werden Dinge ständig über die Bande gespielt. Der Deutsche nimmt meist alles eins zu eins, der Wiener benennt die Dinge aber nie direkt. Ich glaube, dass das aus der k. u. k. Zeit kommt, in der über vieles nicht gesprochen werden konnte, und so hat man sich einen Humor zurechtgelegt, um die Dinge zu umschiffen.
Was dem Österreicher hilft ist der von Ihnen beschriebene Diminutiv, die Verkleinerungsform. Wörter wie „Busserl“, „Bonmontscherl“. Sterben die aus? Ich kenne diese Verkleinerungsform vor allem aus der Großmuttergeneration. Ein Freund von mir hat es einmal als „Diabetiker-Faschismus“bezeichnet, weil man die schlimmsten Dinge im Leben mit dieser Verkleinerungsform versieht, damit sie süßlich daherkommen. So wie das „Fleischerl“.
Stimmt der Eindruck, dass Sie zuletzt ruhiger waren, wenn es um das Kommentieren politischer Vorgänge ging? Ich bin vor eineinhalb Jahren aus Facebook ausgestiegen, weil mir dieses ständige Meinung-Rauskotzen von mir und anderen auf die Nerven geht. Das ist nicht hilfreich für einen politischen Diskurs, das ist eher wie eine Toilette, in die jeder etwas hineinwirft und man lässt runter. Ich habe stattdessen begonnen, so eine Art politisches Tagebuch zu führen, in dem ich nur für mich meine Gedanken notiere.
Man kann sich auch abseits der digitalen Kanäle politisch äußern. Die Kunst- und Kulturszene ist eher still in jüngster Zeit. Warum? Das ist mir auch aufgefallen. Die Generation, die ein sehr politisches Kunstverständnis hat, ist jetzt um die 60 – und ich glaube, dass die nach 20, 30 Jahren FPÖ müde sind und ihre Ruhe haben wollen. Die Generation um die 40 ist viel weniger politisch und ideologisch. Wenn ich politisch etwas sagen will, dann will ich das mit meiner Arbeit machen und nicht mit halb überlegten Postings. Meine neue Serie, „M“, ist auch sehr politisch.
Inwiefern? Es bedient neben vielen anderen Genres auch das des politischen Milieus. Dabei geht es nicht um links oder rechts, sondern vor allem um Demokratie. Es kommt natürlich auch dieser junge, gutaussehende Politikertypus vor, der durch Kanzler Kurz oder Emmanuel Macron repräsentiert wird. Bei dem es inhaltlich dünn wird, aber die Marketingmaschinerie läuft. Dieser neoliberale, erfolgreiche Typus, der eigentlich weit rechts steht und alle alten Ressentiments wie Migration bedient. Das Problem an diesen Leuten ist, dass sie der Politik nichts Neues hinzusetzen. Und die anderen sind so schwach, dass ein seltsames Vakuum entsteht.
geboren 1973 in Waidhofen an der Thaya, ist einer der erfolgreichsten Regisseure Österreichs. Bekannt gemacht haben ihn einige ORF-Produktionen ab den frühen Nullerjahren, etwa die pointierte Archiv-Collage „Sendung ohne Namen“, „Die 4 da“und „Willkommen Österreich“. Der große Durchbruch mit einem fiktionalen Stoff gelang ihm 2011 mit der – in einer fiktiven Waldviertler Gemeinde spielenden – Serie „Braunschlag“, deren Rechte auch in die USA verkauft wurden. Weniger erfolgreich war die Miniserie „Altes Geld“. Ende 2018 soll die neue Serie, „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, im ORF laufen. Heute erscheint sein vierter Roman, „Schwere Knochen“. Wieso ist die Linke derzeit so schwach? Weil sie seit Jahrzehnten keine Antwort auf brennende Fragen wie Migration gefunden hat, zumindest keine realistische. Und weil die Wähler spüren, dass die vordergründige Moral von Grünen oder Linken oft nur eine Behauptung ist. Eigentlich geht es um den Schutz der westlichen Gesellschaft, die auf Kosten der Dritten Welt lebt. Niemand traut sich das laut zu sagen, aber natürlich will man die Leute draußen lassen, damit sich hier nichts ändert. Kurz spricht das indirekt an, ohne dabei unmoralisch zu wirken. Die Menschen haben mehr Angst davor, dass sie ihr H&M-Jackerl nicht mehr um 20 Euro kaufen können, als dass irgendwer im Mittelmeer ertrinkt. Deswegen sind die Rechten so erfolgreich, weil sie die Auftragsausführer dieses Gedankens sind. Das ist eine zutiefst unmoralische Gesellschaft, die sich nicht dazu bekennen will, dass sie unmoralisch ist.
Wie hat sich Österreich jüngst bei den Erinnerungswochen an den „Anschluss“vor 80 Jahren gemacht? Ich habe das nicht so verfolgt. Bizarr fand ich, wie pathetisch sich FPÖ-Chef Strache aufgespielt hat, obwohl sich seine Partei doch über den Antisemitismus definiert. Die schlagenden Burschenschaften waren schon Antriebsmotor des Antisemitismus, bevor es den Nationalsozialismus überhaupt gab. Lächerlich sind vor allem seine weinerlichen Versöhnungsgesten, mit denen er sich als Vizekanzler der Herzen zu inszenieren versucht, nur um geliebt zu werden. Das glaubt ihm doch keiner. Strache ist ein zutiefst primitiver Politiker und die FPÖ so meilenweit von einer Regierungsfähigkeit entfernt, dass es erschütternd ist, mit welchem Schweigen das hingenommen wird. Ich weiß nicht, worauf man wartet? Dass es besser wird? Es wirkt wie eine Lähmungsstarre.