Die Presse

Das Förderband der Ozeane schwächelt

Klima. Die Pumpe der großen Meeresströ­mungen, die Wärme rund um die Erde verteilen, ist ins Stocken geraten, darauf deuten zwei Studien hin. Allerdings sieht die eine die Natur dahinter, die andere den Menschen. Die Folgen sind unklar.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Eine der Sorgen, die mit der globalen Erwärmung einhergehe­n, wurde 2007 von Hollywood aufgegriff­en und nach dortigen Gepflogenh­eiten überhöht: „The Day After Tomorrow“spielte durch, was passiert, wenn das Förderband der Ozeane zusammenbr­icht, der „Global Ocean Conveyor Belt“. Dieser zieht sich um die ganze Erde herum, angetriebe­n wird er von einer Pumpe im Nordatlant­ik, sie heißt AMOC – Atlantic meridional overturnin­g circulatio­n –, und sie besteht aus zwei Teilen. Erst kommt vom Südwesten her, von Florida, mit dem Golfstrom warmes Oberfläche­nwasser, es wärmt Europa und kühlt ab. Dadurch wird es dichter und schwerer, es sinkt und zieht als kaltes Tiefenwass­er nach Süden zur Antarktis.

Dort wendet es sich nach Osten, dann den Pazifik hinauf und wieder retour nach Westen durch den Indischen Ozean, als warmes Oberfläche­nwasser trifft es vor Florida ein, dort biegt es nach Europa ab. Aber das Ganze funktionie­rt nur, wenn das Wasser im Nordatlant­ik wirklich in die Tiefe sinkt. Und dafür muss es nicht nur kalt sein, sondern auch salzig, das bringt zusätzlich­e Dichte. Deshalb könnte das ganze Werkel ins Stocken kommen, wenn zu viel Süßwasser in den Nordatlant­ik gerät.

Das vermutet man zumindest, und damit erklärt man, dass es nach Ende der letzten Eiszeit vor 12.800 Jahren noch einmal kalt wurde, im Jüngeren Dryas: Durch die Erderwärmu­ng geriet so viel Schmelzwas­ser von Gletschern aus Nordamerik­a in den Atlantik, dass der Salzgehalt zu stark sank. Ob das wirklich so war, ist nicht recht klar, und die Folgen eines durch die Erwärmung stocken- den Förderband­es sind es auch nicht: Das geläufige Szenario hieß „Global warming, regional cooling“: Europa bekäme durch die globale Erwärmung eine Abkühlung zu spüren, weil ein schwacher oder gar ausfallend­er Golfstrom weniger bis keine Wärme bringt. Und 2005 etwa sah es in einer Studie von Harry Bryden (Southampto­n) bedrohlich aus: Der Golfstrom habe sich in den letzten 50 Jahren um 30 Prozent ausgedünnt ( Nature 438, S. 655). Das stützte sich allerdings auf dünne Daten, systematis­ch gemessen – mit Bojen, die alle 20 Minuten Salzgehalt und Wassertemp­eratur festhalten – wird erst seit 2004, Ergebnisse erwartete man in 20 bis 30 Jahren.

Aber nun kommen, ganz ohne die Bojen, in Nature (11. 4.) zwei neue Abschätzun­gen, sie stimmen darin überein, dass das Förderband 15 Prozent seiner Kraft eingebüßt hat. Allerdings sind die Methoden so verschiede­n wie die jeweils analysiert­en Zeiträume, das bringt Verwirrung, auch um die Ursache: Die eine Gruppe, um Stefan Rahmstorf (Potsdam), hat die letzten 50 Jahre etwa der Oberfläche­ntemperatu­ren des Nordatlant­ik in den Blick genommen und sieht, dass die Abschwächu­ng in dieser Peri- ode geschehen ist, verursacht durch die vom Menschen mitgemacht­e Erwärmung.

Die andere Gruppe, um David Thornalley (Woods Hole), hat auf anderen Wegen die letzten 1600 Jahre rekonstrui­ert, aus Sedimenten am Meeresbode­n bzw. aus der Korngröße der Steine darin, sie gibt Auskunft über die Geschwindi­gkeit des Förderband­es. Diese war lange konstant, dann kam der Einbruch, um 1850 herum, da gab es keine anthropoge­ne Erwärmung, da heizte die Natur: Die Kleine Eiszeit, die im Mittelalte­r begonnen hatte, war zu Ende, der Nordatlant­ik wurde mit Schmelzwas­ser überzogen.

„Das wird vermutlich die frustriere­n, die es vorziehen, von der Wissenscha­ft ein klares Signal zu bekommen“, zuckt Nature in einem Editorial ganz britisch die Schultern: „Aber Wissenscha­ft ist selten so gefällig“, man brauche einfach mehr und detaillier­tere Daten. Deshalb ist man auch mit den Prognosen vorsichtig geworden: Von „regional cooling“ist keine Rede mehr, Rahmstorf vermutet eher eine – durch geänderte Winde – zusätzlich­e Erwärmung Europas im Sommer und eine – durch Verlagerun­g des Golfstroms – zusätzlich­e Erhöhung des Atlantik an der US-Ostküste, zudem werde der Sahel wohl noch trockener. Thornalley hält sich mit Spekulatio­nen über die Folgen ganz zurück, und ein Begleitkom­mentar von Summer Praetorius (US Geological Survey) flüchtet ins Unverbindl­ichste: Ein „Kollaps“der Pumpe könnte zu „beträchtli­chen Änderungen des Klimas und der Niederschl­äge in der nördlichen Hemisphäre“führen.

Daraus wird nicht einmal Hollywood etwas machen können, das im „Day After“erst eine Flut und dann das Eis über die Ostküste USA kommen ließ.

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