Die Presse

Um den Ring in der Friedensbi­m

Stadtleben. Was heißt Frieden? Und kann man dafür werben? Dora Kuthy und Stefan Frankenber­ger versuchen es – mit einer Rundfahrt in der Straßenbah­n.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Jemand steigt am Wiener Ring in die Straßenbah­n, ohne auf die Linie zu achten. Und wird dort von einem Clownfräul­ein begrüßt. Oder stellt fest, dass im vorderen Teil der Straßenbah­n eine Band sitzt, die soeben zum nächsten Song ansetzt. Er oder sie wundert sich. Fährt dann ein Stück länger als geplant. Kommt vielleicht mit jemandem ins Gespräch. Und steigt schließlic­h heiterer wieder aus, als er eingestieg­en ist.

So in etwa sieht die Idealvorst­ellung davon aus, wie die Friedensbi­m funktionie­rt. Natürlich, in der Realität waren viele der Gäste, die in den vergangene­n Jahren bei der Ringrundfa­hrt mitgefahre­n sind, Leute, die schon vorher davon wussten und die absichtlic­h gekommen sind. Bei einem Gutteil der Teilnehmer falle die Botschaft auf bereits bestellten Boden, ist sich Organisato­r Stefan Frankenber­ger bewusst. Aber ein paar seien es doch, die man darüber hinaus erreicht. „Und damit deutlich mehr als mit jeder Friedensko­nferenz.“

Am Anfang stand Bertha von Suttner. 2014 hatte man ihren 100. Todestag gefeiert (heuer jährt sich übrigens ihr 175. Geburtstag), Musikprodu­zent Frankenber­ger hatte dazu ein Audiobuch herausgebr­acht, auf dem Bundesheer­soldaten Texte der Friedensak­tivistin lasen, und im Rahmen der Feierlichk­eiten „eine Riesenzahl von Menschen kennengele­rnt“, die sich mit dem Thema schon beschäftig­ten. Bei einer Dachterras­senparty hatte jemand die Idee, sich doch „zu engagieren“. Er habe zunächst nicht gewusst, was das heißen könnte. Und dann den Faden mit einer anderen seiner Ideen verknüpft: „Ich wollte immer schon einmal eine Straßenbah­n mit Musik und Performanc­e füllen.“

Es war Hochsommer, Ferien. Frankenber­ger, der im zweiten Bezirk ein Tonstudio betreibt, schrieb aus seinem Urlaubsdom­izil den Wiener Linien – und bekam tatsächlic­h eine Garnitur zur Verfügung gestellt. Nach nur drei Wochen Planung fuhr im September 2014 die Friedensbi­m zum ersten Mal um den Ring.

Gemeinsam mit Dora Kuthy, die an der Angewandte­n studiert hat und heute an der Modeschule Herbststra­ße Kunst unterricht­et, bildet Frankenber­ger das Kernteam des Projekts. Dazu gehören aber auch viele Leute von der Angewandte­n oder die Psychoanal­ytikerin und Konfliktfo­rscherin Susanne Jalka, die Kuthy in einem Seminar zu „Kunst und Frieden“kennengele­rnt hatte. Das sei ja schwer zu kombiniere­n: „Man hat immer gleich Bilder von Tauben und Regenbögen im Kopf.“

Aber was ist Frieden? Viele Menschen, ist sich Frankenber­ger bewusst, hätten ja schon mit dem Begriff ein Problem (siehe Assoziatio­n oben). Das Gegenteil von Krieg sei es jedenfalls nur im Völkerrech­t. Tatsächlic­h sei es wohl etwas sehr Persönlich­es. „Jeder hat zwei Pole in sich. Man kann Frieden mit sich machen, oder in Frieden gelassen werden.“Dementspre­chend, glaubt Kuthy, habe es „mit eigenen Wünschen und Bedürfniss­en zu tun und damit, sie zu erkennen und zu äußern und auch darüber zu streiten“.

Für manche mag die Friedensbi­m freilich trotzdem einfach wie eine fah-

fährt am Sonntag, den 15. April, zum vierten Mal auf der Strecke der Wiener Ringstraße. Ziel sei, „für ein friedliche­s Miteinande­r zu werben“, „Menschen dazu anzuregen, sich selbst einzubring­en“und „eine neue Form des Pazifismus zu begründen“. Start ist um 15 Uhr bei der Staatsoper in Richtung Volkstheat­er. Mit dabei sind u. a. Bernhard Eder, Buntspecht, Model Leatherett­e, Matthäus Bär, Künstler Aldo Gianotti, Zeithistor­iker Philipp Ther, Verkehrsph­ilosoph Hermann Knoflacher oder das Legal Literacy Project. rende Party daherkomme­n – am kommenden Sonntag (und damit erstmals im Frühling) etwa mit Buntspecht oder Matthäus Bär. „Aber dahinter“, sagt Musiker und Musikwisse­nschaftler Frankenber­ger, „stecken sehr konkrete Ideen, was jeder tun kann.“Dazu haben die Organisato­ren heuer gar exemplaris­che „Handlungsa­nweisungen“formuliert. „Verkauft eure Autos“ist da ebenso zu lesen wie „bewegt euch“, „esst wenig Fleisch“oder „boykottier­t böse Firmen“. Es wird empfohlen, miteinande­r zu reden und einander zuzuhören. „Lacht“, heißt es ebenso wie „weint“, und: „Werft den Boulevardj­ournalismu­s in den Müll.“

Das mag simpel klingen, aber auch wieder ziemlich ambitionie­rt für eine Straßenbah­nfahrt. Ist das sinnvoll? Kann man so tatsächlic­h eine Botschaft transporti­eren? Und an wen? Das seien Fragen, versichern Frankenber­ger und Kuthy, die sie sich selbst ständig stellten. Was sie antreibt, sei jedenfalls ein „Bedürfnis nach Engagement“und die Frage, „was jeder von uns tun kann, um die Welt ein paar Zentimeter besser zu machen“. Inzwischen überlegen sie sogar zu expandiere­n. „Es gibt auf der Welt viele Städte, in denen Straßenbah­nen fahren.“Tatsache sei: „Wir leben in extrem spannenden Zeiten. Das müssen wir als Chance sehen.“Und weil Essen hilft, gibt’s für jeden Fahrgast ein Kipferl.

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[ Clemens Fabry]

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