Die Presse

Was ist das eigentlich, eine „illiberale Demokratie“?

Viktor Orb´an wurde zum dritten Mal wiedergewä­hlt, weil er für traditione­lle Werte eintritt, die andere christlich-soziale Parteien längst aufgegeben haben.

- Karl-Peter Schwarz war langjährig­er Auslandsko­rresponden­t der „Presse“und der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“in Mittel- und Südosteuro­pa. Jetzt ist er freier Journalist und Autor (kairos.blog).

Er wisse nicht, was das eigentlich sei, eine „illiberale Demokratie“, sagte der ORF-Korrespond­ent, der seit 20 Jahren über Ungarn berichtet, am Morgen nach dem abermalige­n Triumph Viktor Orbans.´ Bisher habe ihm das noch kein Fidesz-Politiker erklären können.

So schwer ist das gar nicht. 1997 publiziert­e der amerikanis­che Journalist Fareed Zakaria in „Foreign Affairs“einen Essay über den „Aufstieg der illiberale­n Demokratie“. Es gebe zwar immer mehr Demokratie­n auf der Welt, konstatier­te Zakaria, aber immer weniger freiheitli­che Realverfas­sungen.

Kritiker entgegnen ihm, dass ein Regime entweder demokratis­ch und liberal ist, oder eben illiberal und undemokrat­isch, aber niemals illiberal und demokratis­ch. Dabei übersehen sie, dass Demokratie ein Verfahren ist, Liberalism­us hingegen ein Ziel. Wenn Mehrheiten zustande kommen, die nationalis­tische und/oder sozialisti­sche Ziele vorziehen, gibt es zwar immer noch Demokratie, aber eben keinen Liberalism­us. Anderersei­ts gibt es Autokratie­n, die liberale Grundwerte wie Recht, Eigentum und wirtschaft­liche Freiheit besser schützen als viele Sozialstaa­ten.

Im Juli 2014, wenige Monate nachdem er zum zweiten Mal die Zweidritte­lMehrheit erobert hatte, hielt Viktor Orban´ vor Studenten im siebenbürg­ischen Bcile˘ Tusnad¸ (Tusnadfürd­ö)´ eine Grundsatzr­ede über seine Vorstellun­g von einer illiberale­n Demokratie. Anders als Zakaria meinte er nicht ein Regime, das die Bürgerfrei­heiten einschränk­t, sondern eine konservati­ve Alternativ­e zu der liberalen Ordnung, deren Versagen seiner Ansicht nach in der Finanzkris­e von 2008 offensicht­lich wurde.

Orban´ plädierte für eine aktive Rolle des Staates, unter anderem zur Reglementi­erung des Marktes und zur Stärkung der Wettbewerb­sfähigkeit der Nation, für die Förderung der Klein- und Mittelbetr­iebe sowie für den Schutz der Familien und der Tradition. „Wir müssen mit liberalen Grundsätze­n und Methoden der sozialen Organisati­on brechen“, sagte Orban,´ „und ganz generell mit der liberalen Auffassung von der Gesellscha­ft.“

Dieser Antilibera­lismus beruht auf einem weit verbreitet­en Missverstä­ndnis. Nicht Marktversa­gen, sondern die vom Staat alimentier­te Immobilien­blase in Amerika provoziert­e die Finanzkris­e von 2008. Die Euro-Krise hat ihren Grund in der maßlosen Verschuldu­ng der Staaten. Die von links und rechts kritisiert­e „neoliberal­e“Globalisie­rung wird von Regierunge­n, Banken und internatio­nalen Finanzinst­itutionen konditioni­ert.

Von Freihandel kann angesichts der Wirtschaft­sblöcke und der privilegie­rten Großkonzer­ne keine Rede sein. Zudem geht der hoch subvention­ierte EU-Agrarsekto­r zu Lasten der Landwirtsc­haft im Osten. Ist es ein Wunder, dass Orban´ gerade in den ländlichen Gebieten haushoch gewonnen und in den ärmsten Gemeinden sogar bis zu 90 Prozent der Stimmen erhalten hat?

Viel Neues enthielt seine berühmte Rede nicht. Marktskeps­is und Umverteilu­ng zugunsten der „kleinen Leute“gehören seit jeher zum Repertoire der christlich-sozialen Bewegung. Zweifellos hat die Erinnerung an den Einfall von Hunderttau­senden Migranten den Ausschlag dafür gegeben, dass seine Partei noch mehr Stimmen bekam als 2014. Aber Orban´ verdankt seine ungeheure Popularitä­t, die bis in die ÖVP, die CSU und konservati­ve Kreise der CDU ausstrahlt, auch der Rückkehr zur Familie, zur Heimat und zur Religion – Werte, die einmal von allen christlich­en Demokraten geteilt wurden, aber heute als überholt, nationalis­tisch oder gar „Nazi“verleumdet werden.

Ungarn leidet unter vielen alten und neuen, hausgemach­ten und importiert­en Problemen. Machtarrog­anz und Korruption gehören dazu. Das größte Problem aber ist das Fehlen einer echten Opposition, die nicht von notorische­n Versagern geleitet wird, und der mehr einfällt als das Mantra „bitte mehr Europa, bitte mehr Europa, bitte mehr Europa“.

 ??  ?? VON KARL-PETER SCHWARZ
VON KARL-PETER SCHWARZ

Newspapers in German

Newspapers from Austria