Die Presse

Leitartike­l von Wolfgang Böhm: Zuerst war das Ei, dann die Handelsket­ten .........................

Die EU müsste Bauern nicht so stark fördern, würden diese faire Preise erhalten und nicht das schwächste Glied in der Wertschöpf­ungskette bilden.

- E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

I mmer mehr landwirtsc­haftliche Betriebe schließen. 1990 waren es in Österreich noch 282.000, zuletzt nur noch 162.000. Die Gründe sind nicht nur die bürokratis­chen Auflagen oder eine kontinuier­liche Landflucht. Einer der wichtigste­n Faktoren für die Resignatio­n wird oft vergessen: Es ist die mangelnde Wertschätz­ung für eine Berufsgrup­pe, die nicht weniger als die Grundlage unserer Existenz – Lebensmitt­el – produziert. Diese Wertschätz­ung wird den Bauern unter anderem entzogen, weil sie mittlerwei­le zu einem Großteil von Subvention­en leben müssen. Wer einen dieser hart arbeitende­n Menschen fragt, was ihnen lieber wäre, bekommt die Antwort, dass sie lieber ohne Förderunge­n produziere­n würden, dafür zu fairen Abnehmerpr­eisen. Wenn Bauern für ein Ei oder einen Liter Milch nur wenige Cent erhalten, kränkt das verständli­cherweise ihren Stolz.

Ein Grundprobl­em dieser Entwicklun­g ist, dass Bauern in der Wertschöpf­ungskette zum schwächste­n Glied geworden sind. Eine Handvoll Handelsket­ten dominiert in Österreich den Markt. Es mag zwar verständli­ch sein, dass diese knapp kalkuliere­n, die Preise ihrer Zulieferer gering halten wollen. Doch wenn sie gleichzeit­ig Waren nach Belieben zurückschi­cken, wenn verarbeite­nde Betriebe und die Landwirtsc­haft sogar Kosten für die Bewerbung neuer Produkte mittragen, sich an Rabatten beteiligen müssen, wenn sie selbstvers­tändlich einige Prozent mehr liefern müssen, als sie verrechnen dürfen, dann gibt es hier eine schamlose Ausnutzung einer Abhängigke­it.

Subvention­iert die EU mit insgesamt rund 60 Milliarden Euro pro Jahr eigentlich nicht mehr die Bauern, sondern die Einzelhand­elsketten? Seriös ist diese Frage schwer zu beantworte­n. Denn es gibt dafür nur Indizien. So ist es etwa ein Faktum, dass die Lebensmitt­elpreise zwar insgesamt stetig steigen, den Bauern davon aber immer weniger bleibt. Während von 1995 bis heute der Anteil für Bauern am Endpreis von 31 auf 21 Prozent sank, stieg der Anteil des Groß- und Einzelhand­els von 38 auf 51 Prozent.

Es sind allerdings nicht allein die Handelsket­ten, die hier Schuld tragen, es sind auch die Konsumente­n. Denn ihr Kaufverhal­ten bei Lebensmitt­eln ist dafür mitverantw­ortlich, dass hauptsächl­ich mit hohem Preisdruck produziert wird. Wären sie mehrheitli­ch bereit, für mehr Qualität mehr zu bezahlten, würde sich auch das Angebot verändern. Und mit höherer Qualität, das belegen Erfahrunge­n im Milchsekto­r, würden die eigentlich­en Produzente­n auch mehr erhalten.

In der aktuelle Situation gibt es für Bauern also nur drei Optionen: Sie expandiere­n zu Großbetrie­ben, in denen sie Massenware zu günstigste­n Preisen herstellen, sie geben auf und schließen ihren Betrieb, oder sie suchen sich eine Nische. Denn was etwa im Weinsektor längst funktionie­rt, beginnt auch im Lebensmitt­elsektor zu greifen. Wer höchste Qualität produziert, kann dafür gute Preise verlangen – am besten über Eigenverma­rktung. Auf der Strecke bleiben allerdings jene konvention­ellen Betriebe, die schlicht weiterarbe­iten wollen wie bisher. W enn demnächst über das nächste EU-Budget verhandelt wird, werden erneut Argumente vorgebrach­t werden, warum Agrarsubve­ntionen nicht gekürzt werden dürfen. Aber es ist eine Illusion, dass EU-Gelder die angeführte­n Ungerechti­gkeiten ausgleiche­n können. Die Subvention­en könnten sogar gekürzt werden, wenn alle dafür sorgen, dass eine faire, marktgerec­hte Preisgesta­ltung in der Lebensmitt­elprodukti­on zur Selbstvers­tändlichke­it wird.

Auch ein psychologi­sches Element mag mitspielen: Wenn die großen Einzelhand­elsketten nämlich glauben, wegen EU-Subvention­en ihre Einkaufspr­eise nicht allein abdecken zu müssen, können sie ihren Preisdruck leichter rechtferti­gen. Sie können das Faktum übertünche­n, dass sie schlicht eine marktbeher­rschende Position ausnutzen. Rewe, Spar und Co. sollten respektvol­ler mit ihren Zulieferer­n umgehen: Denn zuerst waren da der Bauer und sein Ei, bevor Jahrtausen­de später Handelsket­ten entstanden. Ohne Bauern gäbe es sie nicht.

 ?? VON WOLFGANG BÖHM ??
VON WOLFGANG BÖHM

Newspapers in German

Newspapers from Austria