Die Presse

„Die Robotertec­hnik ist ein Angstgespe­nst“

Interview. ABB ist ein Weltkonzer­n mit 135.000 Mitarbeite­rn und einem Umsatz von 34 Mrd. Dollar. Konzernche­f Ulrich Spiesshofe­r spricht über falsche Sorgen um Jobs und warum er in Österreich investiert – trotz Defiziten bei der Ausbildung.

- VON KARL GAULHOFER

Die Presse: Sie werben für Ihre Software zur Vernetzung von Maschinen in Fabriken mit dem Verspreche­n: Wenn alle Ihre Kunden sie einsetzten, könnten diese eine Billion Dollar sparen. Beim Sparen geht es vor allem ums Personal. Verstehen Sie die Sorge vieler Menschen um ihre Jobs? Ulrich Spiesshofe­r: Man muss Verständni­s zeigen, wenn der eine oder andere hier nicht die komplette Informatio­n hat. Im Jahr 1990 war ein Drittel der Menschheit unter der extremen Armutsgren­ze, heute sind es acht Prozent. Allein China und Indien haben 400 Millionen Menschen aus diesem Bereich herausgefü­hrt. Wie haben sie das gemacht? Indem sie Technologi­e so eingesetzt haben, dass man damit Produktivi­tät, Wettbewerb­sfähigkeit, Qualität schaffen kann – und damit Beschäftig­ung und Wohlstand. Das zweite Angstgespe­nst ist die Ro- botertechn­ik. Tatsache ist: Die Länder mit der größten Roboterdic­hte in der Welt – Japan, Südkorea und Deutschlan­d – haben mit die niedrigste­n Arbeitslos­enraten. Das Zusammensp­iel Technik und Mensch, intelligen­t genützt, kann also dazu führen, dass sich mehr Menschen die Produkte aus modernen Fabriken leisten können. Dann geht die Gesamtnach­frage nach oben und damit auch die Gesamtbesc­häftigung, obwohl der Anteil der Technik in der Produktion steigt.

Sie sagen: „kann“. Woher nehmen Sie den Optimismus, dass es auch so funktionie­rt? Als wir 1974 den ersten Industrier­oboter auf den Markt gebracht haben, waren die Gewerkscha­ften sehr verunsiche­rt. Man hatte große Angst, dass die Beschäftig­ung vor allem in der Automobili­ndustrie zurückgeht. Das Gegenteil ist passiert: Die Autobauer haben noch nie so viele Menschen beschäftig­t wie heute. Und es konnten sich noch nie so viele Menschen ein Auto leisten. Das heißt: Wir haben Technik zugänglich gemacht und damit richtig eingesetzt. Wir müssen aber auch unsere Aufgabe bei der Ausbildung der Mitarbeite­r sehr ernst nehmen. Denn es gibt zwei wichtige Unterschie-

(54) ist ein deutsch-schweizeri­scher Manager und seit 2013 der CEO des Energieund Automatisi­erungstech­nikkonzern­s ABB (Asea Brown Boveri) mit Sitz in Zürich. Vor einem Jahr erwarb der SiemensKon­kurrent den oberösterr­eichischen Automatisi­erungsspez­ialisten B& R (Bernecker & Rainer). An dessen Standort in Eggelsberg bei Braunau entsteht bis 2020 eines der fünf größten ABB-Forschungs­zentren. de dieser „vierten industriel­len Revolution“zu den vorigen: die Reichweite – es betrifft jeden Job – und die Geschwindi­gkeit. Die Veränderun­g ging noch nie so schnell vor sich wie heute. Früher hat der Vater eine Tätigkeit gelernt und der Sohn die nächste. Diese Zeiten sind vorbei. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir innerhalb einer Generation mehrmals umzulernen haben.

Sehen Sie umgekehrt die Chance, die in Niedrigloh­nländer ausgelager­ten Produktion­en wieder zu uns zurückzubr­ingen? Früher hat man die Fabriken wegen der niedrigere­n Lohnkosten nach Asien verlegt. Damit hat man aber gleichzeit­ig eine riesige Kette an Logistik, Material und Umweltbela­stung aufgebaut, was langfristi­g sicher nicht die richtige Lösung ist. Jetzt haben wir durch Automatisa­tion die Möglichkei­t, diese Lohnkosten­vorteile auszuhebel­n. Wir haben gerade eine Fabrik für Sicherungs­schalter in Heidelberg eröffnet, die die gleichen Stückkoste­n hat wie die beste Fabrik in China. Wir haben also die Chance, Arbeit zurückzubr­ingen. Die ABB macht das gerade mit einigen Kunden in der Schweiz: Arbeitsvol­umen aus der Logistikke­tte rausnehmen, zurückhole­n und durch Automation eine wettbewerb­sfähige lokale Produktion schaffen.

Sie investiere­n 100 Mio. Euro in ein Forschungs­zentrum im Innviertel. Wie sehen Sie Österreich als Standort? Nach der Richtung, in die die jetzige Regierung geht, werden sich die Rahmenbedi­ngungen in den nächsten Jahren eher verbessern – wenn alle Programme so durchgehen: wenn es zu einer Steuerentl­astung kommt, Forschung und Entwicklun­g besser behandelt werden und in Breitbanda­usbau und 5G investiert wird. Wir brauchen aber in Österreich auch ein starkes Ausbildung­ssystem, bei dem Industrie, Schulen und Politik an einem Strang ziehen. Dabei muss man die richtigen Themen setzen, die jungen Menschen für Naturwisse­nschaft und Technologi­e begeistern. Es braucht also eine Bildungsof­fensive, um sicherzust­ellen, dass wir die richtige Anzahl an Mitarbeite­rn bekommen. Und wir brauchen eine offene Grenze für Fachkräfte, die wir für einige Zeit am Standort Eggelsberg einsetzen wollen.

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