Die Presse

Der neue Kalte Krieg Russland/USA. Syrien ist nicht das einzige Konfliktfe­ld zwischen Wladimir Putin und Donald Trump. Auch im Osten Europas und in der Informatio­nswelt steht man sich als Gegner gegenüber.

Stellvertr­eterkrieg. Zahlreiche Mächte, allen voran Russland und die USA, sind in Syrien aktiv. Ein Überblick über die wichtigste­n Streitpart­eien.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Wien. Kommt es in Syrien zur direkten militärisc­hen Konfrontat­ion zwischen den USA und Russland? Am Freitag wartete man mit Spannung und Sorge die weiteren Schritte ab, nachdem US-Präsident Donald Trump mit einem Militärsch­lag gegen Damaskus und seinen Verbündete­n Moskau gedroht hatte. Doch sowohl Washington als auch Moskau traten trotz anhaltend feindselig­er Rhetorik auf die Bremse. Man will eine Eskalation mit unabsehbar­en Folgen vermeiden.

Aus dem Weißen Haus hieß es, Washington habe bezüglich eines Militärsch­lags noch keine Entscheidu­ng gefällt und wolle Geheimdien­sterkenntn­isse auswerten. Auch unter den Europäern zeichnet sich keine einheitlic­he Linie ab. Die Devise heißt „Abwarten“: auf die Untersuchu­ngsergebni­sse der Inspektore­n der Organisati­on für ein Verbot der Chemiewaff­en (OPCW), die heute die Vorfälle in der Stadt Duma rekonstrui­eren sollen. An einem mutmaßlich­en Giftgasang­riff des Assad-Regimes ebendort hat sich die jüngste Eskalation entzündet.

Der Kreml will ein Mitmischen der USA in Syrien vermeiden. So machte Außenminis­ter Sergej Lawrow gestern zwar in bekannter Manier ausländisc­he Geheimdien­ste für die Attacke in Duma verantwort­lich, rief aber gleichzeit­ig zur Deeskalati­on auf. Dem Vernehmen nach haben Wladimir Putin und sein US-Kollege Donald Trump miteinande­r telefonier­t, betonte Moskau. „Wir sind immer offen für derartige Kontakte, sie sorgen dafür, dass man sich gegensei- tig besser versteht“, sagte Lawrow der Agentur Interfax zufolge. Ist ein direkter Krieg zwischen den USA und Russland ein für alle Mal abgewendet? Leider nein. Die Kriegsgefa­hr bleibt bestehen, und selbst aus einem Missverstä­ndnis kann eine Eskalation­skette losgetrete­n werden. Angesichts der SyrienKris­e, aber auch bezüglich des Falls Skripal und der neuen US-Sanktionen gegen russische Oligarchen sprechen immer mehr Experten von einem neuen Kalten Krieg. Doch die alte Ost-West-Konfrontat­ion war von zwei klaren Lagern geprägt, in die sich die Welt spaltete, von ideologisc­her Systemkonk­urrenz. Das ist heute nicht so klar der Fall, wiewohl man Trennlinie­n zwischen den Liberalen und den Illiberale­n ziehen kann.

Russland sieht nach dem Zerfall der Sowjetunio­n und dem zeitweilig­en Triumph des Liberalism­us ein neues Zeitalter gekommen: Der Kreml spricht gern vom multipolar­en System. Und gibt zu verstehen, dass man in ihm eine führende Rolle spielen will. Putin fordert damit die weltpoliti­sche Dominanz der USA heraus – und verteidigt seine Ansprüche, auch mit Waffengewa­lt wie im Fall der Ukraine oder Georgiens.

Im Gefolge Russlands scharen sich zahlreiche Nationen, die den USA ebenfalls zunehmend Konkurrenz machen: aufsteigen­de Wirtschaft­smächte wie China und Indien, aber auch politische Kontrahent­en wie der Iran. Machtanspr­üche werden immer frontaler ausgetrage­n. Und das für das Gelingen diplomatis­cher Erfolge notwendige Vertrauen ist schwer angeknacks­t. Was sind die brennendst­en Konfliktfe­lder derzeit? Syrien Syrien ist Moskaus Nagelprobe. Zweifellos hat Moskau in Syrien mit seiner Interventi­on zugunsten des Assad-Regimes Fakten geschaffen. Washington scheint noch immer nicht zu wissen, wie man Russland in Nahost begegnen soll. Trumps Twitter-Kampfrheto­rik ist gefährlich – aber auch Ausdruck von Hilflosigk­eit. Russland ist heute maßgeblich­er Verhandlun­gspartner in Syrien. Und es will auch in Zukunft ein aktiver Player in Syrien bleiben – mit humanitäre­r Hilfe, wirtschaft­licher Kooperatio­n und natürlich russischem Investment. Über die künftigen ordnungspo­litischen Vorstellun­gen herrscht weniger Klarheit. Ein Syrien ohne Assad wäre für den Kreml ebenfalls denkbar, solang er seinen Einfluss absichern kann.

Wien. Es ist eine neue Eskalation in einem blutigen Konflikt: Die USA nehmen den syrischen Machthaber, Bashar al-Assad, ins Visier. Damit steht auch plötzlich eine Auseinande­rsetzung mit Assads Verbündete­n wie Russland im Raum. Was einst als Aufstand gegen ein autoritäre­s Regime begann, ist längst schon ein Stellvertr­eterkrieg regionaler und internatio­naler Mächte, die dabei vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen. Regime Vor sieben Jahren begann der Aufstand gegen Assad. Immer größere Teile des Landes entglitten der Kontrolle des Präsidente­n. 2013 rückten die Rebellen von den Vororten Richtung Zentrum der Hauptstadt, Damaskus, vor. Die Tage der Herrschaft Assads schienen gezählt. Doch mittlerwei­le hat Syriens Machthaber wieder Oberhand. Seine Truppen haben mit russischer und iranischer Hilfe fast alle wichtigen Städte von den Aufständis­chen zurückerob­ert. Im Dezember 2016 brachten sie nach schwerem Beschuss die Großstadt Aleppo wieder unter ihre Kontrolle. In den ersten Monaten des Jahres 2018 nahm das Regime zahlreiche Gebiete in Ost-Ghouta bei Damaskus ein. Assad hat angekündig­t, wieder ganz Syrien unter seine Herrschaft bringen zu wollen.

Russland

2015 startete Russland massive Bombardeme­nts zur Unterstütz­ung der syrischen Regierungs­truppen. Damit gelangte das Regime zurück auf die Siegerstra­ße. Schon unter Hafez al-Assad, dem im Jahr 2000 verstorben­en Vater Bashar al-Assads, war das Regime in Damaskus ein Verbündete­r Moskaus gewesen. Russland hat im syrischen Hafen von Tartus einen Marinestüt­zpunkt und damit Zugang zum Mittelmeer. Mit dem jetzigen Militärein­satz sind weitere Stützpunkt­e dazugekomm­en. Moskau geht es in Syrien nicht nur darum, eine befreundet­e Regierung zu unterstütz­en. Präsident Wladimir Putin versucht auch, wieder internatio­nalen Einfluss zu erlangen. So verhandelt Russland gemeinsam mit der Türkei und dem Iran über eine neue Nachkriegs­ordnung für Syrien, die USA bleiben dabei außen vor. Moskau will Washington und den EU-Staaten signalisie­ren: Man braucht Russland, um im Syrien-Konflikt einen Ausweg zu finden.

Iran, Hisbollah

Ebenso wichtig wie Russlands Luftwaffe sind für Syriens Regime die schiitisch­en Hilfstrupp­en aus dem Iran, dem Libanon und dem Irak. Zu Beginn des Aufstands in Syrien reisten iranische Spezialist­en für die Bekämpfung opposition­eller Gruppen nach Damaskus. Mittlerwei­le kämpfen Eliteeinhe­iten der iranischen Revolution­sgarden an der Seite der syrischen Armee. Hochrangig­e iranische Kommandant­en sind an den Planungen der syrischen Bodenopera­tionen beteiligt. Seite an Seite mit Irans Revolution­sgarden kämpfen auch verbündete Einheiten der libanesisc­hen Schiitenmi­liz Hisbollah und Schiiten-Milizen aus dem Irak.

Die Führung des schiitisch­en „Gottesstaa­tes“Iran unterstütz­t Assad, um ihre Macht in der Region zu festigen. Syrien samt dem befreundet­en Assad-Regime stellt dabei für Teheran schon lange eine wichtige Verbindung­sbrücke zur Hisbollah im Libanon dar. Die starke Präsenz der Hisbollah und des Iran macht auch Israels Regierung nervös. Israels Luftwaffe flog zuletzt immer wieder Angriffe auf Hisbollah-Kämpfer und iranische Elitesolda­ten in Syrien.

Aufständis­che

Die Zehntausen­den Demonstran­ten, die 2011 in Syrien auf die Straße gingen, verlangten zunächst Reformen. Erst später mischte sich die Forderung nach einem Rücktritt Assads hinzu. Je mehr der Konflikt eskalierte, desto stärker militarisi­erte sich die Opposition. Deserteure der syrischen Armee und lokale Milizen schlossen sich zur Freien Syrischen Armee (FSA) zusammen. In ihr dominierte­n zunächst säkulare Rebellenei­nheiten. Je brutaler der Krieg in Syrien wurde, desto mehr wuchs der Einfluss islamistis­cher und jihadistis­cher Gruppen unter den Aufständis­chen. Heute steht die bewaffnete Opposition weitgehend auf verlorenem Posten. Das letzte kompaktere Gebiet mit einer größeren Stadt hat sie rund um Idlib unter ihrer Kontrolle. Dort ist aber die jihadistis­che Jabhat Fatah al-Sham tonangeben­d. Sie hieß früher Jabhat al-Nusra und war unter diesem Namen bis 2016 offiziell die Vertreteri­n von al-Qaida in Syrien.

USA

US-Präsident Donald Trump signalisie­rte anfangs, dass er sich sogar eine Zusammenar­beit mit Machthaber Assad vorstellen könne. Nach einem Giftgasang­riff ließ er aber im April 2017 Marschflug­körper auf den syrischen Militärflu­gplatz Schairat abfeuern. Danach hielten sich die USA gegenüber dem Regime zurück, doch jetzt hat Trump erneut Assad ins Visier genommen.

Schon US-Präsident George W. Bush zählte Syrien zu den sogenannte­n Schurkenst­aaten. Als 2011 in Syrien Proteste gegen die Machthaber losbrachen, wurden diese vom Westen unterstütz­t. Die US-Regierung startete Ausbildung­sprogramme für „moderate“Rebellengr­uppen. Nach einem Giftgasang­riff drohte US-Präsident Barack Obama 2013 mit Luftangrif­fen, sagte sie aber wieder ab. Im Gegenzug musste Syriens Regime den Großteil seiner C-Waffen abrüsten. Obama schien bereits von der Forderung nach einem kompletten Regimewech­sel abgerückt zu sein. Trotzdem wurden Teile der bewaffnete­n Opposition weiter unterstütz­t.

Ihr direktes militärisc­hes Engagement in Syrien mit Kampfflugz­eugen und Elitesolda­ten starteten die USA Ende 2014. Damals griffen sie an der Seite der kurdi-

schen YPG-Volksverte­idigungsei­nheiten in den Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) ein. Die kurdischen Kämpfer vertrieben mit US-Hilfe den IS aus weiten Teilen Nordsyrien­s. In den Gebieten, die von den YPG kontrollie­rt werden, haben die USA derzeit auch ihre wichtigste­n Stützpunkt­e in Syrien.

Mit Moskau hat man offenbar vereinbart, dass sich die USA und ihre kurdischen Verbündete­n östlich des Flusses Euphrat halten sollen, das Gebiet westlich davon bleibt Russland und dem syrischen Regime. Zudem haben die USA nach wie vor Spezialkrä­fte im Grenzgebie­t zum Irak und zu Jordanien stationier­t. Dort befindet sich ein Ausbildung­scamp für Antiregime­kräfte.

Saudiarabi­en

Zu den wichtigste­n Unterstütz­ern der syrischen Rebellen zählen Saudiarabi­en und die kleineren arabischen Golfstaate­n. Sie helfen bewaffnete­n Einheiten mit finanziell­en Mitteln und militärisc­her Ausrüstung. Unterstütz­ung von den Golfstaate­n kommt vor allem für die islamistis­chen Kräfte unter den Rebellen. Davon sollen auch jihadistis­che Gruppen profitiert haben. Die saudischen Behörden bestreiten jedenfalls direkte staatliche Hilfe für al-Qaida oder den IS.

Für Saudiarabi­en und seine Alliierten am Golf stellt die Zerschlagu­ng des syrischen Regimes ein wichtiges strategisc­hes Ziel dar: Sollte Assad gestürzt werden, würde der Iran einen seiner engsten Verbündete­n verlieren und dadurch geschwächt werden. Für die Saudis ist der Iran der größte Rivale in der gesamten Region. Der Konflikt in Syrien ist somit auch ein Stellvertr­eterkrieg zwischen den regionalen Mächten Saudiarabi­en und Iran.

Kurden

Weite Teile Nordsyrien­s werden von der Partei der Demokratis­chen Union (PYD) und den Milizen der Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) kontrollie­rt. Beide sind Schwestero­rganisatio­nen der Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK), die in der Türkei seit Jahrzehnte­n einen Untergrund­kampf gegen die Armee und andere staatliche Strukturen führt. Die YPG waren in Syrien eine erfolgreic­he Waffe gegen die Extremiste­n des Islamische­n Staates. Sie haben die Stadt Kobane verteidigt, den IS aus dem Großteil des syrisch-türkischen Grenzgebie­tes vertrieben und die IS-Hauptstadt Raqqa eingenomme­n. Zusammen mit arabischen Einheiten bilden die YPG die sogenannte­n Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF), die militärisc­h von den USA unterstütz­t werden.

Türkei

Die Türkei unterstütz­t seit deren Entstehung die Freie Syrische Armee (FSA) gegen Syriens Regime. Später kam auch türkische Hilfe für extremisti­schere Kräfte dazu. Die türkische Führung forderte einst klar, dass Assad die Macht abgeben müsse. Mittlerwei­le führt sie Verhandlun­gen mit den Assad-Verbündete­n Russland und Iran.

Ankara ist nach wie vor gegen Syriens Regime. Doch das wichtigste strategisc­he Ziel der Türkei scheint derzeit die Schwächung oder Zerschlagu­ng der von YPG und PYD aufgebaute­n kurdischen Autonomies­trukturen in Nordsyrien zu sein. Dafür hat sich die türkische Regierung offenbar von Russland grünes Licht für den Einmarsch in das ursprüngli­ch von den YPG kontrollie­rte Gebiet von Afrin geholt. Die türkischen Truppen wurden dabei von syrischen Rebellenei­nheiten unterstütz­t.

Der Kampf gegen die kurdischen Kräfte bringt die Türkei aber in Konflikt zum NatoPartne­r USA. Denn die YPG sind wichtige Verbündete Washington­s.

IS-Extremiste­n

Noch vor einigen Jahren beherrscht­e der Islamische Staat große Teile Syriens. Mittlerwei­le ist sein „Kalifat“zerschlage­n. Im innersyris­chen Machtkampf spielt der IS kaum noch eine Rolle. Entstanden ist er aus alQaida im Irak, die gegen die Regierung in Bagdad und die US-Truppen kämpfte. Syrische Veteranen der Organisati­on schlossen sich im Zuge des Aufstandes gegen Assad mit lokalen Kämpfern zur Jabhat al-Nusra zusammen. Schließlic­h kam es zum Bruch mit der Jihadisten-Führung im Irak. Jabhat al-Nusra blieb als eigene Organisati­on bestehen. Ein Teil ihrer Kämpfer lief zum neu gegründete­n IS über: einem Sammelbeck­en aus syrischen, irakischen und internatio­nalen Jihadisten. Der IS kämpft gegen alle anderen Streitpart­eien in Syrien.

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[ Illustrati­on: Petra Winkler ] Aus harmonisch­eren Zeiten: Illustrati­on auf Basis eines Fotos von Wladimir Putin und Donald Trump beim G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017.
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