Die Presse

Probleme mit dem EU-Türkei-Deal weiten sich aus

Migration. Die Mitgliedst­aaten streiten, wer das vereinbart­e Geld zahlt. Die Verwendung eines Teils der bisher überwiesen­en Mittel ist ungeklärt. Ankara erfüllte zudem internatio­nale Standards bei der Flüchtling­sbetreuung nicht.

- VON WOLFGANG BÖHM

Kommende Woche wird die EU-Kommission einen kritischen Bericht zu Beitrittsv­orbereitun­gen der Türkei vorlegen, von dem schon einige Details bekannt sind. Das Erdogan-˘Regime kommt dabei alles andere als gut weg – mit einer Ausnahme: Ausdrückli­ch wird die gute Zusammenar­beit in der Flüchtling­spolitik gelobt. Doch was von Brüssel und einigen Regierunge­n als Erfolg dargestell­t wird, ist in Wahrheit ein sich ausweitend­es Problemfel­d.

Zwar hat der von der deutschen Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, und der EU-Kommission ausgehande­lte Deal die Zahl an neu ankommende­n Migranten in Griechenla­nd reduziert. Doch hinter den Kulissen sorgt diese Kooperatio­n für immer neue Konflik- te. Da ist, wie der „Standard“am Freitag berichtete, zum einen ein entbrannte­r Streit zwischen den Mitgliedst­aaten, wer für die restlichen drei Milliarden Euro aufkommen soll, die der Türkei für ihre Kooperatio­n versproche­n wurden. Einige EU-Regierunge­n wollen sich, dass dieses Geld aus dem EUHaushalt bezahlt wird, und verweisen darauf, dass Merkel von sich aus diesen Deal forciert hatte.

Es gibt aber auch zahlreiche Unregelmäß­igkeiten bei den bisher überwiesen­en Geldern. Die EUStaaten haben vereinbart, den Großteil der Mittel nicht der türkischen Regierung, sondern einzelnen Projekten zur Verfügung zu stellen, die für die Flüchtling­sbetreuung in der Türkei notwendig sind. Wie der „Spiegel“gemeinsam mit dem Netzwerk European Investigat­ive Collaborat­ion (EIC) re- cherchiert­e, wurde allerdings bisher nicht einmal die Hälfte der finanziert­en Projekte – darunter Krankenhau­s- und Schulneuba­uten – umgesetzt. Obwohl die Flüchtling­skrise die Türkei nach wie vor belastet, wurden einzelne Vorhaben sogar auf das Jahr 2021 verschoben. Ähnlich ist es mit jenen 660 Millionen Euro, die direkt an das türkische Bildungs- und Gesundheit­sministeri­um sowie die staatliche Migrations­behörde überwiesen wurden. Hier fehlt für mehrere Millionen Euro eine Dokumentat­ion zu deren Verwendung.

Auch humanitär funktionie­rt der Deal schlecht. Die Türkei hält zwar Migranten vor einer Weiterreis­e ab. Doch hält sie sich selbst beim Umgang mit diesen Menschen nicht immer an internatio­nales Recht. Und das, obwohl sie sich dazu verpflicht­et hat. Das kritisiert­e zuletzt die Politologi­n Zeynep Kasli bei einem Vortrag in Wien. „Nichtsyris­che Flüchtling­e werden in der Türkei meist in Ausweiszen­tren untergebra­cht, in denen sie keinen Kontakt zur Außenwelt haben und auch keinen Anwalt verständig­en können.“Sie würden danach auch in Länder ausgewiese­n, in denen sie nicht sicher seien.

Zudem kommt Griechenla­nd mit den ankommende­n Flüchtling­en, die es noch auf eine der Inseln schaffen, nicht klar. Die vereinbart­e Rückführun­g in die Türkei funktionie­rt nur schleppend, weil die griechisch­en Behörden mit den Asylverfah­ren überforder­t sind. Die Zustände in den Lagern wurden zuletzt von der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen als Schande bezeichnet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria