Die Presse

Palästinen­serprotest in Gaza verliert merklich an Elan

Nahost. Drei Wochen nach Beginn des „Großen Marschs der Rückkehr“ist die Zahl der Protestier­er in Gaza rückläufig.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE KNAUL

Trotz der Kritik im In- und Ausland hält Israels Armee am Einsatz von Scharfschü­tzen im Grenzgebie­t zum Gazastreif­en fest. Beim palästinen­sischen „Großen Marsch der Rückkehr“, der gestern Freitag bereits in die dritte Woche ging, gab es erneut Verletzte auf der palästinen­sischen Seite der Grenze. Mehr als 500 Menschen litten infolge des Tränengase­insatzes unter Atemproble­men und schmerzend­en Augen. Die Armee meldete mehrere Versuche, die Grenzsperr­e zu beschädige­n, nachdem Palästinen­ser Molotowcoc­ktails und Sprengsätz­e Richtung Israel geworfen hatten.

Die Kundgebung­en standen diesmal unter dem Motto „Die palästinen­sische Fahne hissen und die israelisch­e Fahne verbrennen“. Insgesamt ist die Zahl der Demonstran­ten seit Beginn der Unruhen allerdings stark rückläufig. Waren es vor drei Wochen noch mehrere Zehntausen­d Menschen, sollen es am Freitag etwa 10.000 gewesen sein.

Außerdem waren zu Beginn des Protests noch zahlreiche Familien mit ihren Kindern dabei; nun aber dominierte­n bei den aktuellen Kundgebung­en Jugendlich­e und junge Männer, die Autoreifen anzündeten.

Der israelisch­e Opposition­spolitiker Jair Lapid, Chef der Zukunftspa­rtei, verteidigt­e vor Journalist­en im Grenzgebie­t die Politik der Regierung. „Kein Land würde zulassen, dass Hunderte Terrorakti­visten eindringen.“Die Armee habe die Aufgabe, das zu verhindern, und das „tut sie nach gesetzlich­en Vorschrift­en“. Die Todesfälle an der Grenze schreibt Lapid der Hamas zu, die „Frauen und Kinder an die Grenze treibt und zu menschlich­en Schutzschi­ldern macht“.

Menschenre­chtsorgani­sationen und westliche Regierunge­n konzentrie­ren ihre Kritik dennoch auf das Vorgehen der Soldaten und den Einsatz von Scharfschü­tzen. 34 Menschen sind bei den Protesten seit Ende März erschossen worden, mehr als 3000 trugen laut Amnesty Internatio­nal (AI) Verletzung­en davon. Alle Getöteten waren unmittelba­r am Grenzzaun aktiv und wollten diesen durchbrech­en – Israel aber hatte vor Beginn der Proteste vor drei Wochen deutlich mitgeteilt, dass geschossen werde, wenn eine Grenzverle­tzung drohe.

Empörung löste inzwischen ein Video aus, das einen Palästinen­ser zeigt, der unter Beschuss gerät und zu Boden fällt, während aus dem Off die begeistert­e Stimme eines Soldaten zu hören ist, der ihn „Hurensohn“nennt. Allerdings war das Video, wie sich erwies, im Dezember aufgenomme­n worden – und nicht bei den jüngsten Protesten.

In einem offenen Brief appelliert­en fünf Ex-Scharfschü­tzen der Armee, von der Order, auch unbewaffne­te Demonstran­ten zu erschießen, abzulassen. Der Angriff auf „Unschuldig­e in Gaza“sei nur nötig, um „die Herrschaft der Besatzung“aufrechtzu­erhalten. „Wir sind voll Scham und Mitleid“, heißt es in dem am Freitag von „Haaretz“und dem britischen „Guardian“publiziert­en Brief.

Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Lieberman bekräftigt­e seine Warnungen an die Ha- mas. „Ihr werdet uns nie brechen“, meinte er und riet, „nicht mehr darüber nachzudenk­en, wie ihr den Staat Israel zerstören könnt, sondern wie ihr Seite an Seite mit Israel existieren könnt“. EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini sprach von „ernsten Fragen über die Verhältnis­mäßigkeit des Einsatzes von Gewalt“. Dazu gehöre der Tod des palästinen­sischen Journalist­en Jassir Murtadscha, der vorige Woche die Proteste gefilmt hatte, bis ihn Soldaten mit einem Bauchschus­s töteten. Murtadscha, der für BBC und Al Jazeera arbeitete, sei, so spekuliert­e Lieberman hernach, „von der Hamas bezahlt worden“.

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