Die Presse

„Das hätte zum Bürgerkrie­g führen können“

Interview. Karl Blecha tritt als Präsident des Pensionist­enverbande­s zurück und verabschie­det sich nach 70 Jahren aus der Politik. Ein Gespräch über die Ära Kreisky, Hainburg, Lucona, Noricum und die Zukunft der Sozialdemo­kratie.

- VON MARTIN FRITZL

Die Presse: War die Ära Kreisky der Höhepunkt für die SPÖ oder wird da im Nachhinein viel hineininte­rpretiert? Karl Blecha: Da wird nicht zu viel hineininte­rpretiert, das war die Zeit, die eine völlige Veränderun­g der österreich­ischen Gesellscha­ft bewirkt hat.

Wie haben Sie die Vorbereitu­ng darauf erlebt? Ich habe Kreisky als Student kennengele­rnt und ihn in Schweden besucht. Dort habe ich diese tiefe, enge Beziehung zu ihm begründet. Kreisky war eine prägende Persönlich­keit, die Visionen hatte, genaue Vorstellun­gen, was man aus dem Österreich, das damals ein bisschen rückständi­g war, machen kann. Da haben wir sehr viele nächtelang­e Diskussion­en geführt, wie eine moderne Gesellscha­ft aussehen soll. Die damals entstanden­en Ideen sind alle in den 1970er-Jahren verwirklic­ht worden.

Dass das gelungen ist, liegt wohl auch am damaligen Zeitgeist. Natürlich, es war die Zeit nach den 68er-Umbrüchen, die von einer Jugendrevo­lte ausgegange­n sind. Kreisky hat es verstanden, diese Zeichen der Zeit richtig zu nützen.

Dabei waren die 68er in Österreich ja keine Massenbewe­gung. Sie haben eine tief reichende Wirkung ausgeübt. Nicht als Bewegung, aber als geistige Strömung. Sie haben eine Aufbruchst­immung ausgelöst: Man war überzeugt davon, dass wir in einen konservati­ven Mief versunken sind, der dadurch beendet werden soll, dass man den Vorhang aufreißt und den neuen Tag hereinläss­t.

Wo sehen Sie Ihren Anteil an der Veränderun­g? Bruno Kreisky hatte drei engste Mitarbeite­r, Fred Sinowatz in der Regierung, Heinz Fischer in Parlament und mich in der Partei.

Da vermisse ich einen Namen: Hannes Androsch. Ihn zählen Sie nicht zu den engsten Mitarbeite­rn? Doch, er hat eine große Rolle gespielt, aber die drei genannten waren seine Stellvertr­eter. Wie Sie wissen, hat es dann einen bedauernsw­erten Konflikt gegeben, der für die Sozialdemo­kratie nicht sehr hilfreich war.

Was war Ihre Position im Konflikt Kreisky/Androsch? Als engster Vertrauter von Bruno Kreisky war ich da natürlich einbezogen. Ich habe ihn immer als für die Sozialdemo­kratie verhängnis­voll erlebt und versucht, Wogen glättend einzugreif­en, aber ohne Erfolg. Ich hatte einmal eine Parteivors­tandssitzu­ng zu leiten, bei der ich versucht habe, ein klärendes Gespräch einzuleite­n. Kreisky war richtiggeh­end erschütter­t, dass ich versuchte, eine vermitteln­de Rolle einzunehme­n. Er hat das als Verrat interpreti­ert.

Warum ist die Sozialdemo­kratie heute nicht mehr der Vorreiter bei Veränderun­gen? Heute ist eine völlig andere Zeit. Es gibt nicht mehr die geistige Aufbruchst­immung wie in den 70ern.

Der Zeitgeist weht aus einer anderen Richtung: Erfolgreic­h ist, wer gegen Migration auftritt. Wie soll die Sozialdemo­kratie darauf reagieren? Migration ist das Hauptthema unserer Zeit, das kann man nicht verschweig­en, da muss man offen Stellung beziehen. Es braucht klare Worte, die verschiede­ne Seiten nicht angenehm empfinden.

Dafür gäbe es verschiede­ne Ansätze, je nachdem, ob man am rechten oder am linken Flügel der SPÖ steht. Dafür gibt es nur einen Ansatz, und zwar: Dieses Land braucht Migration, es würde seinen Wohlstand ohne Migration nicht halten können. Das muss man offen sagen. Gleichzeit­ig sind wir verpflicht­et, Menschen, die zu uns kommen, zu integriere­n und jene abzuweisen, die nicht integrierb­ar und integratio­nswillig sind. Da muss man auch ganz klar Stellung beziehen.

Das hat die SPÖ bisher zu wenig gemacht? Das ist zu wenig klar ausgedrück­t worden.

Aber diese Position ist im Moment nicht mehrheitsf­ähig. Das hängt damit zusammen, dass man eine stärkere Aufklärung der Bevölkerun­g durchführe­n muss. Als Innenminis­ter haben Sie den Polizeiein­satz in Hainburg angeordnet. War Hainburg nicht der Punkt, an dem die SPÖ ihre Vorreiterr­olle bei der Jugend verloren hat? Das glaube ich nicht. Es war eine schwierige Position, gegen extremisti­sche Strömungen aufzutrete­n und anderersei­ts die Jugend nicht ganz zu verlieren.

Für den Polizeiein­satz in der Au sind Sie scharf kritisiert worden. Da ist vieles falsch dargestell­t worden, das war keine Prügelpoli­zei. Wir haben mit einem abgegrenzt­en Einsatz Schlimmere­s verhindert: Die Gewerkscha­ft ist schon bereitgest­anden, um selbst in die Au zu gehen, es sind schon Vorbe-

tritt als Präsident des Pensionist­enverbande­s zurück und verlässt damit nach 70 Jahren die Politik. Er war SPÖ-Zentralsek­retär, stellvertr­etender Parteichef und Innenminis­ter. 1989 musste er nach der Lucona- und Noricum-Affäre zurücktret­en, in der Noricum-Causa wurde er verurteilt. Blecha ist immer noch Eigentümer des Ifes-Instituts. reitungen für einen Sturm getroffen worden. Das hätte zu gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen und bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen führen können.

Aus der Regierung ausgeschie­den sind Sie nach Lucona und Noricum. Sehen Sie nachträgli­ch Fehler bei sich selbst? Bei Lucona bin ich von den Medien für etwas geprügelt worden, was ich nicht getan und nicht zu verantwort­en hatte.

Auf Kritik ist die Verbandelu­ng der SPÖ-Schickeria mit Udo Proksch gestoßen. Waren Sie mit ihm befreundet? Udo Proksch war mit allen möglichen Menschen befreundet. Es hat keinen Ort am Abend gegeben, wo er nicht aufgetauch­t ist und Leute umarmt hat. Aber ich glaube nicht, dass man die Tausenden, die er umarmt hat, alle als seine Freunde bezeichnen kann.

Bei Noricum ging es um Waffenlief­erungen in ein Kriegsgebi­et. Da müsste ein linker Sozialdemo­krat eigentlich aufschreie­n. Da ging es darum, eine Verurteilu­ng der Verstaatli­chten Industrie in diesem Bereich zu verhindern. Im SPÖ-Präsidium sind alle dafür aufgetrete­n, dass Österreich Waffen produziere­n soll. Es gab nur zwei Gegenstimm­en: Die von Heinz Fischer und von Karl Blecha.

Derzeit wird die BVT-Affäre heiß diskutiert. Wie sehen Sie das als ehemaliger Innenminis­ter? Das muss man untersuche­n. Wir können uns in einem demokratis­chen Staat kein unkontroll­iertes Eigenleben von Geheimdien­sten erlauben.

Gab es das zu Ihrer Zeit auch? Wir hatten keinen Geheimdien­st, diesen hatten wir auch gar nicht notwendig. Wir hatten Geheimdien­ste von anderen Mächten in unserem Land und gute Kontakte zu ihnen. Diese konnten uns über Gefahren informiere­n. Das heißt, wir haben die anderen Dienste in unserem Land wirken lassen und von ihnen die Informatio­nen bekommen.

Das führt aber zu Abhängigke­it. Nein, wir hatten die Kontrolle.

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[ Mirjam Reither ]

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