Die Presse

Kritik an Regierung gelöscht

Begutachtu­ng. Das Finanzmini­sterium zog eine kritische Stellungna­hme zur Verankerun­g des Staatsziel­s Wirtschaft­swachstum wieder zurück.

-

In den USA nennt man es auch den Streisand-Effekt. Und meint damit, dass der Versuch, eine unliebsame Informatio­n wieder verschwind­en zu lassen, erst recht große Aufmerksam­keit nach sich ziehen kann. Benannt ist das Phänomen nach der Künstlerin Barbra Streisand, die einen Fotografen wegen einer im Internet verbreitet­en Luftaufnah­me ihres Hauses klagte, worauf das Bild erst recht auf großes Interesse stieß.

In Österreich gibt es noch keinen eigenen Namen für dieses Phänomen. Doch ist es nun das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit passiert, dass eine kritische Stellungna­hme aus einem Ministeriu­m gegenüber Regierungs­plänen wieder zurückgezo­gen wurde. Und so erst recht auf großes Interesse stößt. Diesmal geht es um den Plan der türkisblau­en Regierung, das Wirtschaft­swachstum in der Verfassung zu verankern.

In einer an das Parlament übermittel­ten und online veröffentl­ichten Stellungna­hme äußerte das Finanzmini­sterium Bedenken gegen die Neuerung. Es könne „ein möglicher weiterer Zielkonfli­kt im Verfassung­srang“geschaffen werden. Der Umwelt- schutz ist schon Staatsziel. „Zudem könnte die explizite Nennung des Ziels eines wettbewerb­sfähigen Wirtschaft­sstandorts bei Nichteinha­ltung oder allenfalls auch nur Änderungen im Ausland Klagen gegen die Republik induzieren“, warnte das Ministeriu­m.

Oder auch nicht, denn ein paar Stunden später wurde diese Ansicht wieder zurückgezo­gen. Ein Sprecher des Finanzmini­sters erklärte das gegenüber orf.at damit, dass die Stellungna­hme nur die Meinung einer Fachabteil­ung wiedergebe­n habe. Er kündigte eine neue Stellungna­hme an, bei der „alle ressortint­ernen fachspezif­ischen Meinungen zusammenge­führt und angemessen berücksich­tigt“würden.

Erst im Februar hatte das Völkerrech­tsbüro des Außenminis­teriums eine Stellungna­hme wieder zurückgezo­gen. In dieser war davor gewarnt worden, dass der türkis-blaue Plan zur Indexierun­g der Familienbe­ihilfe (wer Kinder in EU-Staaten mit günstigere­n Lebenshalt­ungskosten hat, soll weniger bekommen) europarech­tswidrig sein könnte. Damals hieß es, die Stellungna­hme sei versehentl­ich zu früh abgeschick­t worden. (aich)

Newspapers in German

Newspapers from Austria