Die Presse

Erkaltete Liebe

- VON MIRJAM MARITS

Natürlich ist es objektiv betrachtet eine Erfolgsges­chichte: Wie sich der triste Donaukanal, dieses Stiefkind der Stadtplanu­ng, binnen weniger Jahre in eine attraktive Weggehmeil­e verwandelt hat. Plötzlich saß man in Wien nicht mehr nur im Schanigart­en, sondern in Liegestühl­en und steckte die Füße in den Sand, ganz nah am Wasser und doch mitten in der Stadt. Eine ganz neue Kulisse, die einen staunen ließ: So cool kann Wien also sein.

Leider ist das ziemlich schnell ziemlich vielen anderen Menschen auch aufgefalle­n: Die Lokale wurden mehr, das Raue, Rohe, Improvisie­rte, ein bisschen Abgesandel­te, das den ganz eigenen Charme des Kanals ausgemacht hat, weniger. Damit könnte man sich ja noch arrangiere­n. Das große Problem sind die vielen Besucher: Heute ist der Do- naukanal so dermaßen überrannt, dass sogar die vielfach kritisiert­e Lokaldicht­e diese Masse an Menschen nicht mehr aufzunehme­n vermag. (Von den zu wenigen WC-Anlagen gar nicht zu reden.) Mit dem Rad kommt man an lauen Sommeraben­den, an den Wochenende­n, kaum weiter. Zu Fuß schiebt man sich inmitten von Jugendlich­en und Touristen am Ufer entlang, in der Hoffnung, doch noch irgendwie, irgendwo einen Platz zu bekommen.

Irgendwann beginnt man dann, einen seiner einstigen Lieblingso­rte zu meiden: Er ist schlicht zu beliebt geworden, der Donaukanal. Mit so vielen Menschen will man sich diesen eigentlich formidable­n Großstadto­rt nicht teilen. Und wenn man ehrlich ist: So wahnsinnig schön ist das Wasser, auf das man da schaut, auch wieder nicht. Auch wenn ein Bier im Liegestuhl ab und zu schon sehr nett wäre.

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