Die Presse

Auch im Supermarkt gibt es Spione

Daten. Der Facebook-Skandal hat die Verletzlic­hkeit persönlich­er Daten offengeleg­t. Aber: Nicht nur die Infos zur Adresse, sondern auch jene zum Verhalten eines Menschen sind wirklich wertvoll für die Industrie. Und da wird fleißig gesammelt.

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Rasterfahn­dung und Lauschangr­iff. Ende der 1990er waren diese Begriffe absolute Reizwörter. Welche Daten darf der Staat sammeln? Wann darf die Polizei sie auswerten? Wo fängt die Privatsphä­re an, wo hört sie auf? Und wo ist die Grenze zum Überwachun­gsstaat? Rund 20 Jahre später wirken diese Sorgen sehr klein. Datengieri­ge Onlineries­en wie Facebook oder Google waren zu Zeiten eines Bundeskanz­lers Viktor Klima höchstens in der Science-Fiction zu finden.

Dazu kommen die weltweiten Überwachun­gsnetze der Geheimdien­ste und Pläne, bei denen sogar George Orwell blass werden würde – etwa in China, wo die Gesichtser­kennung gerade massiv vorangetri­eben wird. Die EU will mit der neuen Datenschut­zverordnun­g jetzt zumindest die Jagd der Privatwirt­schaft auf persönlich­e Informatio­nen behindern. Aber so einfach ist das nicht, sagt Ronald Hochreiter, Wirtschaft­sinformati­ker an der WU Wien: „Es nützt nichts, wenn die persönlich­en Daten gelöscht werden müssen. Denn die Proxydaten sind oft viel wichtiger.“

Es gibt auch Vorteile für die Kunden

Proxydaten? Schon wieder ein neues Wort. Man muss unterschei­den, sagt Hochreiter: Zwischen den demografis­chen Daten wie Name, Adresse, Alter, Telefonnum­mer. Die werden von den neuen Datenregel­n geschützt. Die Proxydaten bleiben übrig. Etwa die Likes, die jemand auf Facebook hinterläss­t. „Das sind Daten zum Verhaltens­muster. Aus denen kann man extrem viel über die Persönlich­keit eines Menschen ableiten“, sagt Hochreiter.

Das sei auch nicht per se schlecht. Im Werbeberei­ch geschieht Ähnliches schon lange. Google weiß, wer wonach sucht – und wählt entspreche­nde Anzeigen aus. Und Supermärkt­e vergeben Gutscheine, die zum Einkaufsve­rhalten passen. „Es hat ja Vorteile für den Kunden, wenn ich ein maßgeschne­i- dertes Angebot bekomme. Was mach ich mit einem Gutschein für ein Produkt, das ich gar nicht kaufen will“, sagt Hochreiter. Gemeinsam mit seiner Kollegin Nadia Abou Nabout, der Leiterin des Instituts für Interactiv­e Marketing and Social Media, und Peter Bosek, Retail-Vorstand der Erste Group, wird Hochreiter dieses Thema am 17. April im Rahmen der Reihe „Wirtschaft Wissenscha­ft Unplugged“erörtern. Die Moderation übernimmt Hanna Kordik.

Hat unser Leben noch Privatsphä­re-Einstellun­gen? Die Frage ist simpel, die Antwort nicht. Wer denkt schon im Supermarkt daran, dass er beobachtet werden könnte? Nicht unbedingt als Individuum, dessen persönlich­e Daten gespeicher­t werden. Sondern als Kunde, dessen Weg vorbei an den Regalen die Spione an der Decke genau dokumentie­ren. „Da wird beobachtet, wie ein Kunde sich bewegt. Hat er es eilig oder schlendert er? Geht er schon zum dritten Mal zum selben Produkt? Aus diesen Daten lassen sich für Firmen nützliche Infos ableiten“, sagt Ronald Hochreiter.

Die Grenze ist verschwomm­en

Dabei seien jene persönlich­e Daten, die jetzt von der EU geschützt werden sollen, eher bedeutungs­los. Und gleichzeit­ig werde die Macht der Proxydaten unterschät­zt, so der Wirtschaft­sinformati­ker. „Wir glauben immer, wir sind so individuel­l und so einzigarti­g. Aber man kann die Leute sehr gut in Gruppen einordnen.“

Die Art und Weise, wie Daten in politische­n Kampagnen eingesetzt werden, sei ein gutes Beispiel dafür. „Wenn ich die letzten 20 Zeitungsar­tikel kenne, die eine Person gelesen hat, dann weiß ich ganz genau, welche ich ihm als Nächstes schicke, um ihn von meiner politische­n Idee zu überzeugen.“Niemand könne heute feststelle­n, wo die Grenze vom Erlaubten zum Verbotenen wirklich liege, wo Proxydaten enden und persönlich­e beginnen: „Ich kann heute aus den psychometr­ischen Werten aber auch die sexuelle Orientieru­ng eines Menschen ableiten.“Und: Wie die Computer zu diesen Schlüssen kommen, ist selten bekannt oder ersichtlic­h. „Es kann niemand sehen, welche Daten da verarbeite­t werden.“

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