Die Presse

Im Osten endet die „Low Cost“-Ära

Osteuropa. Das Zwölf-Prozent-Lohnplus bei Skoda zeigt: Der Arbeitskrä­ftemangel lässt die Löhne stärker steigen als die Produktivi­tät. Was heißt das fürs Geschäftsm­odell der Region?

-

Davon können Gewerkscha­fter in Österreich nur träumen: Ein sattes Lohnplus von zwölf Prozent haben ihre Kollegen für die 25.000 Tarifanges­tellten von Skoda in Tschechien erkämpft; eine Einmalzahl­ung von 2600 Euro ist die Kirsche auf der Torte. Noch tiefer musste VW im Vorjahr in der Slowakei in die Tasche greifen: 14 Prozent mehr Gehalt war das Ergebnis eines fast einwöchige­n Streiks der Mitarbeite­r im Werk bei Bratislava. Peugeot und Hyundai erging es nicht viel besser, und in Ungarn mussten Daimler und Audi kräftig Federn lassen.

Dass die Gewerkscha­ften in den Visegrad-´Staaten solche Muskeln zeigen können, liegt am Fachkräfte­mangel. Es gibt immer weniger Arbeitslos­e, vor allem in Tschechien ist der Jobmarkt leer gefegt. Das stärkt die Verhandlun­gsmacht der Arbeitnehm­er. Streiten sie mit großen westlichen Investo- ren, stimmt die Politik gern in die Schlachtge­sänge ein: Die fremden Konzerne hätten schon viel zu lange den Osten ausgebeute­t und zahlten zu niedrige Löhne. Im tschechisc­hen Wahlkampf plakatiert­en die Sozialdemo­kraten: „Das Ende der billigen Arbeit“.

Stimmt der Slogan? Die Automobilh­ersteller sind als größte Investoren exponiert, ihre Fabriken moderner als in anderen Branchen. Aber ihre spektakulä­ren Abschlüsse sind zugleich Signal und Symptom: Auch im Schnitt geht es mit den Reallöhnen, die in Österreich eher stagnieren, rasant bergauf. Das gilt für die fortgeschr­ittenen Volkswirts­chaften Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, aber noch stärker für die ärmeren EU-Nachzügler Bulgarien und Rumänien. Früher fiel es den Unternehme­n bei moderat steigenden Reallöhnen nicht schwer, ihre Wettbewerb­sfähigkeit zu halten: Die Produktivi­tät stieg parallel, durch besser geschulte Mitarbeite­r und mehr Ma- schinenein­satz. Spätestens seit dem Vorjahr aber erhöhen sich vielerorts die Lohnstückk­osten markant. Das heißt: Die Unternehme­n können die Lohnzuwäch­se nicht mehr durch mehr Produktivi­tät oder höhere Verkaufspr­eise ausgleiche­n. Noch ist der Schmerz nicht akut: Die Leistungsb­ilanzen haben sich seit 2010 verbessert, eine klare Trendwende ist bisher nicht auszumache­n.

Neue Ziele für Investoren

Also alles gut? Im Grunde ist es ja erfreulich, wenn die ehemals kommunisti­schen Länder rascher zum westeuropä­ischen Niveau aufholen. Höhere Reallöhne bedeuten mehr Kaufkraft, mehr Inlandskon­sum, weniger Abhängigke­it vom Export und damit von der launischen Konjunktur anderswo. Aber nicht nur beim Lohnniveau (und den Lebenshalt­ungskosten) bleibt der Abstand zu Deutschlan­d oder Österreich hoch, sondern auch bei der Arbeitspro­duktivität. Der Kapitalein­satz in den Fabriken ist geringer. Zudem produziere­n sie als Werkbank des Westens oft Komponente­n mit niedrigen Margen statt ertragreic­he Endprodukt­e. Damit ist der Spielraum für die Löhne in den Visegrad-´Staaten beschränkt. Früher oder später müssen die Investoren also reagieren.

Sie könnten mehr automatisi­eren und damit den Lohndruck lindern. Doch erfordern modernere Maschinen zwar weniger, aber dafür besser qualifizie­rte Mitarbeite­r – und gerade sie sind rar, auch weil viele gut ausgebilde­te Jüngere ausgewande­rt sind. Es besteht also die Gefahr, dass künftige Direktinve­stitionen sich neue Ziele suchen, dass sie in den ferneren (Süd-)Osten oder in andere Regionen fließen. Freilich sind die Optionen beschränkt: In Russland, der Türkei oder Nordafrika ist das politische Risiko sehr hoch. Zu ernst zu nehmenden Konkurrent­en könnten kleinere Balkanstaa­ten werden. Oder Portugal, wo das Kostennive­au niedriger ist als in Slowenien und das auch Tschechien bald unterbiete­n dürfte. Was den Ländern der ersten EU-Osterweite­rung immer bleibt, ist ihre geografisc­he Nähe zu den westlichen Märkten. Aber sie haben auch etwas zu verlieren: Die früher als hoch eingeschät­zte Rechtssich­erheit steht heute zumindest in Polen und Ungarn auf dem Spiel.

Newspapers in German

Newspapers from Austria