Geheiligt werde die irritierende Begegnung
Graz. Zum 800-Jahr-Jubiläum zeigt die Diözese Graz-Seckau, wie sie sich seit Bischof Kapellari als Zentrum des skeptisch geführten Dialogs zwischen Avantgardekunst und Kirche etabliert hat.
Es soll tatsächlich Themen geben, die sexyer zu erzählen sind als Kirchengeschichte. In Graz hat man sich davon nicht abschrecken lassen, sondern alles getan, um das 800-Jahr-Jubiläum der Diözese Graz-Seckau nicht zum staubigen Pflichttermin mit Bischofsmütze verkommen zu lassen. Schließlich hat man einen Ruf zu verlieren: Demonstriert werden soll, wofür die Diözese Graz-Seckau seit den 1960er-Jahren in Österreich steht, seit der spätere Bischof Egon Kapellari als Seelsorger der Katholischen Hochschulgemeinde Graz fungierte: für die Brücke zwischen von Reformation und Gegenreformation umkämpften christlichen Tradition – in welchem Bundesland gibt es mehr Ortsnamen mit Sankt? – und der zeitgenössischen Kunst im Speziellen.
Die Rolle, die Wien nur für kurze Zeit mit Monsignore Otto Mauer erfüllt hat, nämlich die als Zentrum des skeptisch geführten Dialogs zwischen Avantgardekunst und Kirche, übernahm schnell Graz. Das äußerte sich 1975 in der Gründung des Kulturzentrums bei den Minoriten, das von Johannes Rauchenberger als wesentlicher Player in der Grazer Kunstszene geführt wird. Und in der Person von Hermann Glettler, jüngst zum Innsbrucker Bischof ernannt, der seine Pfarre St. Andrä zur Anlaufstelle für alle macht, die ihre Grenzen testen wollten, und das galt für Künstler und die Gemeinde.
Vermächtnis Glettlers in Graz
Die mittlerweile von Alois Kölbl betreute Kunst-Kirche ist das eindrucksvolle Vermächtnis Glettlers in Graz, das man als eigenen Ausstellungsort hätte eingliedern können in diesen Jubiläumsausstellungsreigen, der sowieso die halbe Stadt umfasst – vom (ganzen) Kunsthaus Graz zum Minoritenkulturzentrum zum Diözesanmu- seum im Priesterseminar und über die Stadtgrenzen hinaus bis zu den Stiften Seckau und Admont und sowie dem Schloss Seggau.
Es ist ein Gedankenspiel, aber es ist unmöglich, sich in Wien eine derartige Kooperation zu einem derartigen Thema vorzustellen: Zwischen Albertina, Kunsthalle und Dommuseum etwa. Erstens ist man Großkooperationen sowieso abhold. Zweitens werden Avantgarde und Institution Kirche aus einer Art urbanen Grundpanik heraus in den Museen überhaupt strikt getrennt – als hätte die eine ohne die andere sein können über die Jahrhunderte.
In der Ausstellung „Glaube Liebe Hoffnung“im Grazer Kunsthaus und in den Minoriten wird anhand von über 50 Arbeiten ös- terreichischer und internationaler Künstler dagegen vorgeführt, wie offen und assoziativ dieser Dialog heute geführt werden kann. Ohne Skandale, ohne, dass sich jemand beleidigt oder zensiert fühlt.
Die drei Kuratoren Barbara Steiner, Katrin Bucher Trantow und Rauchenberger haben über eineinhalb Jahre an diesem vielfältigen Parcours gearbeitet, der sich in etwas viele Unterkapitel gliedert wie „Opfer & Ritual“, „Schmerz & Identifikation“oder „Unterdrückung & Bekenntnis“. Man kann sich darin zwar aufgrund eines klaren farblichen Leitsystems (Büro Bauer) bald orientieren. Man kann die kleinteilige inhaltliche Einteilung aber auch einfach ignorieren, kann sogar die eigentlich als eigene Ausstellung geführte, von Rauchenberger, Heimo Kaindl und Alois Kölbl extra kuratierte Station im Priesterseminar ohne ersichtlichen Bruch in dieses große Ganze miteinbeziehen.
Nitsch-Schüttbild aus Leipzig
Überall begegnet man hier großartigen Werken, die man alle auch selber ohne Probleme assoziativ in den christlichen Zusammenhang stellen kann: ein Schlüsselbild des Wiener Aktionismus etwa, Hermann Nitschs neun Meter breites Blutorgel-Schüttbild aus dem Wiener Keller, in den sich die Wiener Aktionisten 1962 einmauern ließen – eine Leihgabe aus der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig übrigens, fast ist man empört. Einst hat es die damalige Leipziger Direktorin Barbara Steiner, heute Kunsthaus-Chefin, angekauft.
Auch das extrem berührende Video von Artur Zmijewski hat einen Leipzig-Bezug, wurde von Steiner damals ko-produziert: Junge Gehörlose singen in der berühmten Thomaskirche BachKantaten, aus ganzem Herzen. Zmijewski ist einer der Leitkünstler dieser Ausstellung, man begegnet ihm (und seinem Geist) mehr- mals. Auch das Duo Muntean/Rosenblum verklammerte Orte und Ansichten: Im Kunsthaus wird das Video gezeigt, das sie im Priesterseminar von einer unheimlich, einer völlig verloren wirkenden Gruppe junger, weiß gewandeter, rauchender Menschen gedreht haben (Anleihe genommen wurde dafür bei der US-Serie „The Leftovers“). Im Speisesaal des Seminars, den man sowieso keinesfalls versäumen sollte, hängt ebenfalls, wie das Alien-Altarbild einer futuristischen Sekte, ein monumentales Bild daraus.
Caritas und Schutzmantel
Immer wieder kommt es in dieser Ausstellung zu solchen irritierenden, aber wunderschönen Begegnungen zwischen Kulturen und Zeiten: Auch wenn Iris Andraschek gemeinsam mit Frauen aus der Caritas-Notschlafstelle zeichnet und auf diese Papierbahn dann eine gotische Schutzmantelmadonna aus der Alten Galerie des Joanneums stellt. Wenn der junge polnische Künstler Karol Radziszewski einen queeren Kult rund um die bärtige „Hl. Kümmernis“inszeniert. Wenn der belgische Starmaler Luc Tuymans in die Grabkammer Ferdinands II. im Grazer Mausoleum eine genmanipulierte Blume als Fresko malt. Ferdinand war der Kaiser der Gegenreformation, der die evangelische Steiermark wieder umdrehte sozusagen. Es ist ein schöner Abschluss, eine Geste auch für die jüngste Geschichte von Graz als Stadt der Ökumene, wenn man sich im Diözesanmuseum/Priesterseminar den letzten noch in der Steiermark erhaltenen historischen evangelischen Altar ausgeborgt hat, aus der evangelischen Kirche in Schladming.
Ausstellungen zu 800 Jahre Diözese
Graz-Seckau: bis 26. 8. im Kunsthaus Graz und im Kulturzentrum bei den Minoriten. Bis 14. 10. im Diözesanmuseum und Priesterseminar.