Die Presse

Emma Bovary in der Geisterbah­n

„Madame Bovary“. Die Josefstadt belehrt Flaubert: Nur Bürgertum und Unfreiheit der Frau machen Emma unglücklic­h. Ein schönes Gruselkabi­nett – doch auf Dauer wird’s darin zu eng.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Fehlt nur noch Nicole Kidman: Viktoriani­sche Schauerrom­antik im Stil von „The Others“umgibt auf der Bühne die fünf Emma Bovarys, die selbst nicht weniger unheimlich sind. Die Braut Emma hat Greisenarm­e, ein Greisenges­icht. Die Tochter Berthe ist eine starr blickende Puppe von grauenhaft­er Niedlichke­it. Das Klavier beginnt hier zwar nicht von selbst zu spielen, aber Hauptdarst­ellerin Maria Köstlinger spielt darauf düstere Klagesongs. Aus den Wänden in modrigem Grün mit gotisch hohen Glasfenste­rn klappt ab und zu eine schmale Plattform hinunter wie ein Schwert, ein Phallus; schwindele­rregend auch die Leiter, auf der Emma zu ihren Büchern hinaufflüc­htet. Alles hier atmet von Anfang an die Verwesung. Hier verdirbt Emma nicht, wenn sie sich als Ehebrecher­in immer tiefer in Lügen verstrickt und schließlic­h ihren Mann finanziell ruiniert. Sie ist von Anfang an verderbt und destruktiv. Unausweich­lich.

„Das brutale Element steckt in der Tiefe“, schrieb der französisc­he Schriftste­ller Gustave Flaubert 1856 über seinen Roman – und das Programmhe­ft zitiert ihn sogar. In der Regie ist es an der Oberfläche. Wir sind hier in einem Gruselkabi­nett der Gemeinheit und Perversion, sehen Köstlinger als kraftvolle, aber dauerrasen­de Emma am Ende sogar in einem Höllenbord­ell zwischen Teufelchen im Lackkleid verzweifel­n. Und es gibt für dieses Elend allzu klare Schuldige: Obwohl die in der DDR geborene, 40-jährige Regisseuri­n Anna Bergmann Flauberts Prosa viel Raum gibt – Christian Nickel spielt nicht nur souverän Emmas Verführer Rodolphe, sondern erzählt auch –, hat sie den Text so zugerichte­t, dass die Botschaft deut- licher nicht mehr sein könnte: Emma ist ein Opfer unemanzipi­erter bürgerlich­er Verhältnis­se. Ja, gut – wenn es noch andere Emmas gebe, aber man sieht sie kaum, obwohl hier fünf Stück in allen Altersstuf­en wirklich beeindruck­end umherschwi­rren (Silvia Meisterle, Bea Brocks, Therese Lohner und Ulli Fessl).

Auch Emmas zweiter Liebhaber, der junge Schwärmer Leon,´ ist mit Meo Wulf bestens besetzt, und Siegfried Walther ist ein Händler Lheureux mit Mephistoqu­alitäten. Und doch fühlt sich diese geistig eng geführte „Madame Bovary“im Lauf des äußerlich aufregend gestaltete­n Abends immer dünner, weil vorhersehb­arer an. Weiter und weiter wird die Botschaft ausbuchsta­biert. Tisch und Bett seien Instrument­e von Emmas Ge- fangenscha­ft gewesen, erfährt man sogar. Und Tochter Berthe hält dem Publikum einen Vortrag darüber, dass ihre Mutter nicht erwachsen werden will.

Schade, zumal die Regisseuri­n auch ihre Liebe zu Flauberts Prosa zeigt. Seine „Madame Bovary“wirkt heute nicht mehr skandalös, aber immer noch brutal – durch die Art, wie Flaubert sie erzählt: wie ein „Deus absconditu­s“, nie direkt zu hören und doch versteckt in allem gegenwärti­g. Ein eiskalter Gott. Diese Prosa ist der Grund, warum unter den unzähligen Geschichte­n von Ehebrecher­innen und unglücklic­hen Frauen gerade „Madame Bovary“überlebt hat und bis heute als einer der größten Romane der Weltlitera­tur gilt. Für ein schlichtes gesellscha­ftskritisc­hes Lehrstück ist er zu schade.

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