Die Presse

Viktor Orb´an ist der bedeutends­te Staatsmann der EU

Unorthodox­e Wirtschaft­spolitik, großzügige Familienpo­litik – aber auch grenzenlos­er Wille zur Macht.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

V iktor Orban,´ zum dritten Mal mit Zweidritte­lmehrheit gewählt, ist ein Unikat. Im Unterschie­d zur polnischen Regierung, die nicht über Polen hinaus zu denken vermag, entwickelt der Ungar zunehmend eine Doktrin für die ganze EU. Da er Wahlen wie kein anderer gewinnt, sollten sich Christdemo­kraten, Konservati­ve und Rechte in Europa anschauen, was sie sich abschauen können.

Schon seine Wirtschaft­spolitik wird ihnen unorthodox erscheinen. Seit seinem Kampf gegen die „Schuldskla­verei“der Frankenkre­dite können die österreich­ischen Großbanken ein Lied davon singen, dass Orban´ auf seine Leute schaut. Er hat eine niedrige FlatTax mit Sonderabga­ben kombiniert, die anderswo nicht einmal Sozialdemo­kraten einzuführe­n wagten: Ausländisc­he Handelsket­ten, Energiekon­zerne, Finanzdien­stleister ließ er bluten, die von den Sozialiste­n eingeführt­e private Pensionska­sse wurde verstaatli­cht. An Mut mangelt es ihm nicht: „Wir sind keine netten Kerle vom Mainstream.“Aber funktionie­rt seine Wirtschaft­spolitik? Gut, Mercedes investiert eine Milliarde, der große Ungarn-Boom steht aber aus.

Allzu gern führt Orban´ vor, dass er den leichteste­n Schmutzsch­atten von Liberalism­us entfernt hat. Dazu gehört seine „illiberale Demokratie“, die ich als Polemik gegen den angelsächs­ischen Begriff der „liberalen Demokratie“verstehe. Für mich braucht die Demokratie kein Attribut, sie muss einfach nur sein.

Eine Betrachtun­g verdient seine Familienpo­litik. Sie entlastet arbeitende Familien enorm, neuerdings werden ab dem dritten Kind einmalig zehn Mio. Forint (32.000 Euro) ausbezahlt. Orbans´ Hoffnung: „Wo zwei Kinder sind, da ist auch Platz für ein drittes, viertes, und dann ist es auch nicht mehr weit zu einem fünften Kind.“Er selbst hat fünf. Auf die Früchte muss man noch warten. Ungarn schrumpft, die Jungen wandern ab, die Geburtenra­te ist schwach.

Der Calvinist Orban,´ der seine Kinder katholisch aufwachsen lässt, nennt seine Regierung neuerdings christlich, „das Christentu­m ist die letzte Hoffnung Europas“. Solche Redensarte­n sind in der EU verpönt, mich sprechen sie an. Einen „christlich­en Politiker“kann man wenigstens beim Wort nehmen, das Christentu­m hat einen präzisen Moralkodex. Wie will man hingegen Politiker festnageln, die von „europäisch­en Werten“schwadroni­eren? Niemand weiß, was das sein soll. Das können die Werte von Goldman Sachs oder der Rosa Lila Villa sein. Dass Orban´ ein Staatssekr­etariat für weltweit verfolgte Christen geschaffen hat, finde ich großartig. Viel Geld hat es nicht. R esümierend muss ich sagen, dass Viktor Orban´ mehr für Europa getan hat als für Ungarn. Ohne einen Augenblick zu zögern, hat er unsere Außengrenz­e geschützt. Sein eigenes Land hingegen leidet unter der korrupten Vetternwir­tschaft und der ressentime­ntgeladene­n Polarisier­ung, für die er verantwort­lich zeichnet. Sein Wille zur Macht kennt kaum Grenzen: Als ließe es sich nicht auch mit einer Absoluten schön regieren, muss per kreativem Zuschnitt der Wahlkreise immer eine Verfassung­smehrheit her. Seine Wahlen gewinnt er nicht zuletzt mit revanchist­ischem, auch rassisch getöntem Nationalis­mus. Das macht ihn für einige Nachbarlän­der zu einer gewissen Gefahr.

Viktor Orban´ ist hart, ätzend, unsympathi­sch, wie De Gaulle ein Mann für die große historisch­e Stunde. Österreich hat 2015 Werner Faymann aufgeboten. Auch die heutige EU ist voller Faymanns. Sie taugen für schönes Wetter.

 ??  ?? VON MARTIN LEIDENFROS­T
VON MARTIN LEIDENFROS­T

Newspapers in German

Newspapers from Austria