Visionsarm, floskelhaft und opportunistisch
Die Debatten über die digitale Gesellschaft laufen falsch: Wir brauchen eine zweite Aufklärung, müssen mehr über Werte reden.
Es gibt in den Bildungs- und Digitaldebatten unserer Tage eine hochinfektiöse Krankheit, die man das Floskelfieber nennen könnte. Symptomatisch ist ein von geistlosem Opportunismus geprägtes Gerede, das von der Prämisse zusammengehalten wird, dass hübsch designte Medienwerkzeuge automatisch klügere, mündigere Menschen hervorbringen.
Man fordert Programmierkenntnisse und eine Gründermentalität für Siebtklässler, glaubt, dass Whiteboards, ein Tablet für jedes Schulkind und WLAN alles schneller und damit unvermeidlich besser machen. Freundlicher formuliert, handelt es sich im Fall des Floskelfiebers um eine bloße modische Rhetorik, die verbirgt, dass man eines nicht wirklich will: nämlich im Angesicht der laufenden Medienrevolution ernsthaft um Werte streiten, um die Maximen und die Maßstäbe des Zusammenlebens in der Öffentlichkeit.
Dabei ist längst offensichtlich, dass diese Öffentlichkeit, verstanden als der geistige Lebensraum einer liberalen Demokratie, heute bedroht ist wie selten zuvor. Es ist ein eigentümliches Zusammenspiel von moderner Medientechnologie, digitaler Ökonomie und menschlicher Psychologie, die das gesellschaftliche Kommunikationsklima zu ruinieren droht.
Fake News und Propagandapostings wirbeln durch die sozialen Netzwerke. Social Bots simulieren eine Meinungsmacht, die so nicht existiert. Und das Tremolo widersprüchlicher Ad-hoc-Informationen verstärkt die allgemeine Verunsicherung und führt dazu, dass Menschen sich an dem orientieren, was sie ohnehin glauben oder für wahr halten wollen.
Gleichzeitig verstärken Algorithmen die Polarisierung, weil sie extreme, aufputschende Nachrichten bevorzugen, die ihrerseits nach Kräften von einem medienmächtig gewordenen Publikum geteilt und geliked werden. Wir wissen heute: 126 Millionen US-Amerikaner waren während des Schmutzwahlkampfs auf Facebook mit russischen Propagandapostings konfrontiert, die Donald Trump nutzen sollten; es ist also (am Ende ging es um weniger als 100.000 Stimmen) durchaus möglich, dass das soziale Netzwerk – eigentlich ein Datenhändler, der seine Nutzer in ein Produkt verwandelt – wahlentscheidend gewirkt hat.
Wir wissen heute, dass der gerade noch von gelenkigen Marketingchefs gefeierte Datenspezialist Alexander Nix (Cambridge Analytica) seinen Kunden auch kriminelle Manipulationen angedient hat. Wir wissen heute, dass Russland, die Türkei und andere autokratisch regierte Länder ganze Trollarmeen in die sozialen Netzwerke entsenden, die Gegner niederbrüllen und verfolgen. Wir wissen heute, dass 40 Prozent der Netznutzer schon einmal online beleidigt oder belästigt worden sind und sich