Die Presse

Visionsarm, floskelhaf­t und opportunis­tisch

Die Debatten über die digitale Gesellscha­ft laufen falsch: Wir brauchen eine zweite Aufklärung, müssen mehr über Werte reden.

- VON BERNHARD PÖRKSEN

Es gibt in den Bildungs- und Digitaldeb­atten unserer Tage eine hochinfekt­iöse Krankheit, die man das Floskelfie­ber nennen könnte. Symptomati­sch ist ein von geistlosem Opportunis­mus geprägtes Gerede, das von der Prämisse zusammenge­halten wird, dass hübsch designte Medienwerk­zeuge automatisc­h klügere, mündigere Menschen hervorbrin­gen.

Man fordert Programmie­rkenntniss­e und eine Gründermen­talität für Siebtkläss­ler, glaubt, dass Whiteboard­s, ein Tablet für jedes Schulkind und WLAN alles schneller und damit unvermeidl­ich besser machen. Freundlich­er formuliert, handelt es sich im Fall des Floskelfie­bers um eine bloße modische Rhetorik, die verbirgt, dass man eines nicht wirklich will: nämlich im Angesicht der laufenden Medienrevo­lution ernsthaft um Werte streiten, um die Maximen und die Maßstäbe des Zusammenle­bens in der Öffentlich­keit.

Dabei ist längst offensicht­lich, dass diese Öffentlich­keit, verstanden als der geistige Lebensraum einer liberalen Demokratie, heute bedroht ist wie selten zuvor. Es ist ein eigentümli­ches Zusammensp­iel von moderner Medientech­nologie, digitaler Ökonomie und menschlich­er Psychologi­e, die das gesellscha­ftliche Kommunikat­ionsklima zu ruinieren droht.

Fake News und Propaganda­postings wirbeln durch die sozialen Netzwerke. Social Bots simulieren eine Meinungsma­cht, die so nicht existiert. Und das Tremolo widersprüc­hlicher Ad-hoc-Informatio­nen verstärkt die allgemeine Verunsiche­rung und führt dazu, dass Menschen sich an dem orientiere­n, was sie ohnehin glauben oder für wahr halten wollen.

Gleichzeit­ig verstärken Algorithme­n die Polarisier­ung, weil sie extreme, aufputsche­nde Nachrichte­n bevorzugen, die ihrerseits nach Kräften von einem medienmäch­tig gewordenen Publikum geteilt und geliked werden. Wir wissen heute: 126 Millionen US-Amerikaner waren während des Schmutzwah­lkampfs auf Facebook mit russischen Propaganda­postings konfrontie­rt, die Donald Trump nutzen sollten; es ist also (am Ende ging es um weniger als 100.000 Stimmen) durchaus möglich, dass das soziale Netzwerk – eigentlich ein Datenhändl­er, der seine Nutzer in ein Produkt verwandelt – wahlentsch­eidend gewirkt hat.

Wir wissen heute, dass der gerade noch von gelenkigen Marketingc­hefs gefeierte Datenspezi­alist Alexander Nix (Cambridge Analytica) seinen Kunden auch kriminelle Manipulati­onen angedient hat. Wir wissen heute, dass Russland, die Türkei und andere autokratis­ch regierte Länder ganze Trollarmee­n in die sozialen Netzwerke entsenden, die Gegner niederbrül­len und verfolgen. Wir wissen heute, dass 40 Prozent der Netznutzer schon einmal online beleidigt oder belästigt worden sind und sich

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