Der ignorierte Kranke: Spitzenmedizin und Menschlichkeit
Während in der Politik wieder einmal über die Struktur des Gesundheitssystems gestritten wird, könnte das wahre Problem ohne Mehrkosten beseitigt werden.
rzte vollbringen Wunder, die medizinische Versorgung ist zu Hochleistungen fähig. Einer, der davon profitiert hat, steht vor mir. Es ist unfassbar, was Ärzte für ihn getan haben. Er hat sein Leben zurück. Während wir darüber reden, tobt der kuriose Streit um die Zerschlagung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA).
„Ohne deren Reha Weißer Hof stünde ich nicht hier“, sagt mein Gegenüber, das medizinische Wunder. Doch dann dreht sich das Gespräch bald um eine andere Seite des Gesundheitssystems, jene der Patienten. Da unterscheidet sich seine Erzählung nicht von jenen anderer Kranker in Wiener Spitälern, gleichgültig welcher Größe: Der Mangel an Kommunikation ist die größte Belastung neben der Unsicherheit des Krankheitsverlaufs und der Hilflosigkeit.
Lange Wartezeiten, nur um dann zu erfahren, dass der zuständige Arzt, die verantwortliche Ärztin seit zwei Wochen keine Zeit fand, die vorliegenden Befunde eingehend zu studieren; ständig wechselnde ärztliche Betreuung, wobei oft Vorkenntnisse fehlen – bis zum nächsten Arzt, für den die Krankengeschichte auch neu ist; ungenaue Angaben über bevorstehende Operationstermine. Das alles fassen einige Betroffene so zusammen: „Sie werden schon noch rechtzeitig erfahren, was mit Ihnen geschieht.“
Das verstärkt in vielen Patienten, vor allem bei jenen, die es nicht mit einer lebensbedrohenden Situation zu tun haben, in der ja – siehe oben – die Spitzenmedizin einrastet, das Gefühl, ignoriert zu werden. Auch wenn es objektiv nicht so ist, subjektiv wird es so empfunden: Rühr dich nicht, halt den Mund, warte, bis wir dir Informationen über deinen Körper geben.
So ist es für Betroffene gleichgültig, ob der Leiter einer Station gerade vor seiner Pensionierung steht und sein Interesse an ihr enden wollend, die verbliebene Ärzteschaft aber mit der Situation überfordert ist und sie daher stundenoder tagelang auf Therapie oder Information warten müssen. Es ist ihnen auch gleich, warum sie in ein falsches Spital eingeliefert wurden, in dem der notwendige Facharzt nur alle zwei Wochen vorbeikommt. Es werden für diesen Zustand in Wiener Spitälern oft die Sparpolitik, das neue Ärztearbeitsgesetz, Personalmangel, Strukturprobleme etc. ins Treffen geführt. Doch die zwei geschilderten Fälle haben damit nichts zu tun, sondern mit Achtlosigkeit und Indifferenz.
Über Reformen bei den Sozialversicherungen wird lang diskutiert, wie zuletzt bei einer Veranstaltung des „Standard“unter dem beziehungsvollen Titel „Zukunft Patient“. Das große Thema war die Digitalisierung. Nur was hat der Patient davon? Schon jetzt stehen Ärzte hinter einem mobilen Computertisch vor dem Spitalsbett, tippen Informationen ein, die der Patient nicht kennt, vermeiden hinter dem Computer den Blickkontakt mit dem Kranken, geben Anweisungen, schieben den Wagen in das nächste Zimmer. Überall ähnliche Klagen von Betroffenen, Ausnahmen natürlich mitbedacht. Sie haben mit Einsparungen oder Überbürokratisierung nichts zu tun. Patientengerechte Kommunikation kostet nichts.
Statt in immer wiederkehrenden Wellen die Strukturen zu diskutieren, sollte die Aufmerksamkeit auf eine Schulung der Menschlichkeit gelenkt werden. Es geht nicht um Patienten, die sich zu wehren wissen, nachfragen, einwenden, beharren. Es geht um jene, die glauben, sie müssten mit der Aufnahme in ein Spital ihre Entmündigung unterschreiben und sich dementsprechend verhalten.
Die gegenwärtigen Machtspiele zwischen Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (Spitzname Sickl II in Erinnerung an die glücklose FPÖ-Sozialministerin 2000), Regierung, Sozialversicherung, Sozialpartner und Bundesländer werden das Grundproblem des Gesundheitswesens, die mangelnde menschliche Kommunikation, nicht lösen. Im besten Fall gehen sie zugunsten des Weißen Hofs aus.