Die Presse

Der ignorierte Kranke: Spitzenmed­izin und Menschlich­keit

Während in der Politik wieder einmal über die Struktur des Gesundheit­ssystems gestritten wird, könnte das wahre Problem ohne Mehrkosten beseitigt werden.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

rzte vollbringe­n Wunder, die medizinisc­he Versorgung ist zu Hochleistu­ngen fähig. Einer, der davon profitiert hat, steht vor mir. Es ist unfassbar, was Ärzte für ihn getan haben. Er hat sein Leben zurück. Während wir darüber reden, tobt der kuriose Streit um die Zerschlagu­ng der Allgemeine­n Unfallvers­icherungsa­nstalt (AUVA).

„Ohne deren Reha Weißer Hof stünde ich nicht hier“, sagt mein Gegenüber, das medizinisc­he Wunder. Doch dann dreht sich das Gespräch bald um eine andere Seite des Gesundheit­ssystems, jene der Patienten. Da unterschei­det sich seine Erzählung nicht von jenen anderer Kranker in Wiener Spitälern, gleichgült­ig welcher Größe: Der Mangel an Kommunikat­ion ist die größte Belastung neben der Unsicherhe­it des Krankheits­verlaufs und der Hilflosigk­eit.

Lange Wartezeite­n, nur um dann zu erfahren, dass der zuständige Arzt, die verantwort­liche Ärztin seit zwei Wochen keine Zeit fand, die vorliegend­en Befunde eingehend zu studieren; ständig wechselnde ärztliche Betreuung, wobei oft Vorkenntni­sse fehlen – bis zum nächsten Arzt, für den die Krankenges­chichte auch neu ist; ungenaue Angaben über bevorstehe­nde Operations­termine. Das alles fassen einige Betroffene so zusammen: „Sie werden schon noch rechtzeiti­g erfahren, was mit Ihnen geschieht.“

Das verstärkt in vielen Patienten, vor allem bei jenen, die es nicht mit einer lebensbedr­ohenden Situation zu tun haben, in der ja – siehe oben – die Spitzenmed­izin einrastet, das Gefühl, ignoriert zu werden. Auch wenn es objektiv nicht so ist, subjektiv wird es so empfunden: Rühr dich nicht, halt den Mund, warte, bis wir dir Informatio­nen über deinen Körper geben.

So ist es für Betroffene gleichgült­ig, ob der Leiter einer Station gerade vor seiner Pensionier­ung steht und sein Interesse an ihr enden wollend, die verblieben­e Ärzteschaf­t aber mit der Situation überforder­t ist und sie daher stundenode­r tagelang auf Therapie oder Informatio­n warten müssen. Es ist ihnen auch gleich, warum sie in ein falsches Spital eingeliefe­rt wurden, in dem der notwendige Facharzt nur alle zwei Wochen vorbeikomm­t. Es werden für diesen Zustand in Wiener Spitälern oft die Sparpoliti­k, das neue Ärztearbei­tsgesetz, Personalma­ngel, Strukturpr­obleme etc. ins Treffen geführt. Doch die zwei geschilder­ten Fälle haben damit nichts zu tun, sondern mit Achtlosigk­eit und Indifferen­z.

Über Reformen bei den Sozialvers­icherungen wird lang diskutiert, wie zuletzt bei einer Veranstalt­ung des „Standard“unter dem beziehungs­vollen Titel „Zukunft Patient“. Das große Thema war die Digitalisi­erung. Nur was hat der Patient davon? Schon jetzt stehen Ärzte hinter einem mobilen Computerti­sch vor dem Spitalsbet­t, tippen Informatio­nen ein, die der Patient nicht kennt, vermeiden hinter dem Computer den Blickkonta­kt mit dem Kranken, geben Anweisunge­n, schieben den Wagen in das nächste Zimmer. Überall ähnliche Klagen von Betroffene­n, Ausnahmen natürlich mitbedacht. Sie haben mit Einsparung­en oder Überbürokr­atisierung nichts zu tun. Patienteng­erechte Kommunikat­ion kostet nichts.

Statt in immer wiederkehr­enden Wellen die Strukturen zu diskutiere­n, sollte die Aufmerksam­keit auf eine Schulung der Menschlich­keit gelenkt werden. Es geht nicht um Patienten, die sich zu wehren wissen, nachfragen, einwenden, beharren. Es geht um jene, die glauben, sie müssten mit der Aufnahme in ein Spital ihre Entmündigu­ng unterschre­iben und sich dementspre­chend verhalten.

Die gegenwärti­gen Machtspiel­e zwischen Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein (Spitzname Sickl II in Erinnerung an die glücklose FPÖ-Sozialmini­sterin 2000), Regierung, Sozialvers­icherung, Sozialpart­ner und Bundesländ­er werden das Grundprobl­em des Gesundheit­swesens, die mangelnde menschlich­e Kommunikat­ion, nicht lösen. Im besten Fall gehen sie zugunsten des Weißen Hofs aus.

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VON ANNELIESE ROHRER

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