Die Presse

Ein sensibler Assistent für den Bombenalar­m

Sicherheit­sforschung. Schon heute unterstütz­en Roboter bei Spezialein­sätzen, wenn es für den Menschen zu gefährlich wird. Wissenscha­ftler aus Österreich und Deutschlan­d wollen die dabei genutzten Werkzeuge deutlich verbessern.

- VON ALICE GRANCY

Der Elektrotec­hniker Michael Hofstätter hat eine Vision. Er will mit seiner Forschung ein Werkzeug schaffen, das den Mitarbeite­rn des Entschärfu­ngsdienste­s hilft, sich rascher ein ein genaueres Bild von einer möglichen Gefahr zu machen als bisher. Das soll bei einem Bombenalar­m die Einsatzkrä­fte vor Ort, aber auch die Bevölkerun­g in der unmittelba­ren Umgebung, noch besser schützen.

Das Projekt, mit dem das gelingen soll, heißt „Durchblick“. Es ist eine länderüber­greifende Forschungs­initiative mit Deutschlan­d, wo der Verein Deutscher Ingenieure, kurz VDI, die wissenscha­ftliche Arbeit unterstütz­t. In Österreich fördert das Technologi­eministeri­um über das Sicherheit­sforschung­sprogramm Kiras.

Verdächtig­e Gegenständ­e

Roboter unterstütz­ten schon bisher Einsätze, bei denen herrenlose Gepäckstüc­ke, manipulier­te Mülleimer und andere verdächtig­e Gegenständ­e eingeordne­t und dann beseitigt werden müssen. „Die Technologi­en stoßen immer wieder an ihre Grenzen, etwa wenn ein Gegenstand in einer Ecke steht oder kein direkter Sichtkonta­kt möglich ist. Die Forscher des Austrian Institut of Technology (AIT) in Wien und des Ernst-Mach-Instituts der Fraunhofer Gesellscha­ft in Freiburg wollen daher die Kameras und die Sensorik deutlich verbessern, die die Roboter mit sich führen.

Konkret geht es um eine Kombinatio­n verschiede­ner Technologi­en. „Wir setzen Laserscann­er, Kameras, Wärmekamer­as und chemische Sensoren ein, auch solche, die Radioaktiv­ität messen können“, berichtet Hofstätter, der das Projekt am AIT leitet. Der Schwerpunk­t der deutschen Wissenscha­ftler sind neue Röntgentec­hnologien, die auch Informatio­nen über das Innere eines Gegenstand­s liefern sollen. In Österreich arbeiten verschiede­ne Partner an Sensoren, die besonders empfindlic­h auf Gase reagieren. „Mittels Gammasonde­n lassen sich auch radioaktiv­e Substanzen bestimmen“, erklärt der Forscher. So können Verstrahlu­ngskarten erstellt werden – wichtige Zusatzinfo­rmationen, damit die Einsatzkrä­fte den besten Weg finden, um eine Gefahr zu beseitigen.

100.000-mal genauer

Daneben sollen aber auch völlig neuartige Sensortech­nologien zum Einsatz kommen. Das Innsbrucke­r Unternehme­n Ionicon Analytik entwickelt etwa spezielle Massenspek­trometer, mit denen sich auch flüchtige Gefahrenst­offe feststelle­n lassen. Sie seien um das 1000- bis 100.000-Fache empfindlic­her als bisherige Verfahren, so Hofstätter. Einzig: Das Gerät ist derzeit noch relativ groß und schwer. Ein Szenario könnte sein, dass der Roboter es auf einem Anhänger bringt. Auf größeren Einsatzfah­rzeugen, wie sie der ABC-Abwehrschu­tz besitzt, ließe es sich früher einsetzen.

Am AIT liegt der Schwerpunk­t auf der Erstellung eines dreidimens­ionalen Raummodell­s. Derzeit steuern die Entschärfe­r den Roboter aus einiger Entfernung. Wenn er in einem Gebäude mehrfach abbiegt, müsse händisch mitgezeich­net werden, wo er sich befindet, damit die Orientieru­ng nicht verloren geht, erzählt Hofstätter. „Wir wollen ein Modell zur Verfügung stellen, mit dem das einfacher wird.“Die Entschärfe­r sollen schnell und einfach erkennen, wie die Umgebung aussieht und worauf sie sonst noch achten müssen. Das alles soll in Echtzeit, also live, passieren.

Zugleich arbeiten die Forscher an automatisi­erten Größen- und Volumsbest­immungen. Mit einem einfachen Kamerabild lasse sich die Größe eines Objekts nämlich schwer einschätze­n, so Hofstätter. Was der Mensch ganz selbstvers­tändlich beherrscht, müssen Ma- schinen anhand von Referenzpu­nkten im Raum erst lernen. Das ist aber wesentlich, um eine Gefahr zu beurteilen.

Auch die Zusammenfü­hrung der Messdaten erfolgt am AIT. Ein komplizier­ter Schritt, denn die Messgeräte liefern sehr viele unterschie­dliche Daten: „Von einem Massenspek­trometer bekommt man linienförm­ige Ausschläge, wenn eine Substanz gemessen wird, eine Gammasonde misst Zählimpuls­e pro Sekunde“, sagt Hofstätter. Die Werte sollen in der übersichtl­ichen Lagekarte, die der Entschärfe­r sieht, ebenfalls aufscheine­n. Noch arbeitet man mit Monitoren, aber auch der Einsatz von 3-D-Brillen wäre denkbar.

Geheimhalt­ung oberstes Gebot

Das neue System, in dem alle relevanten Informatio­nen gesammelt sind, soll auch die Dokumentat­ion der Einsätze und die Kommunikat­ion vereinfach­en. Denn Spezialein­heiten tauschen sich internatio­nal zu Fragen der Entschärfu­ng von Spreng- und Brandvorri­chtungen aus. Wer wann welche Daten sehen darf, ist freilich streng geregelt. Die meisten Beteiligte­n sollen während des Einsatzes nicht zu viele Informatio­nen bekommen, damit sie sich auf ihre Aufgabe konzentrie­ren können.

Alle Daten werden verschlüss­elt. „Kein Unbefugter darf mithören oder auf die Datenbank zugreifen können“, schildert Hofstätter. Es muss sichergest­ellt sein, dass die sensiblen Informatio­nen nicht manipulier­t werden können. Das ist auch wichtig, um sie später für Gerichte oder forensisch­e Untersuchu­ngen nutzen zu können. „Wir nehmen in unserer Forschung auf viele Facetten Rücksicht“, sagt Hofstätter.

Er weiß: Wer für die Landesvert­eidigung forscht, darf so manches nicht verraten. Welche Szenarien gemeinsam mit dem Verteidigu­ngsministe­rium erprobt werden, bleibt also ein Geheimnis.

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[ APA ] Bevor sich ein Mensch nähert, soll der Roboter die Gefahr ausloten.

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