Die Presse

Vom Hoffen und Scheitern

„Ich wurde brutal, weil ich zu hassen gelernt hatte.“Winnie Madikizela-Mandela: Freiheitsk­ämpferin, Heroine der Townships Südafrikas, Gefallene. Am heutigen 14. April wird die Exfrau Nelson Mandelas im Rahmen eines Staatsbegr­äbnisses beigesetzt. Persönlic

- Von Regina Strassegge­r

Dritter April 2018. „The Spear Has Fallen“titelt der auflagenst­arke „Sowetan“zur gestrigen Todesstund­e von Winnie Nomzamo Madikizela-Mandela. Der Speer, Symbol für die unverwüstl­iche wie unversöhnl­iche Township-Heroine, ist endgültig niedergega­ngen. Scharf und couragiert blieb die 82-jährige Exfrau Nelson Mandelas bis zum Schluss ihres epischen Lebens; eines Lebens, das von Rassismus und Militanz, Kontrovers­e und Courage, Skandalen und Tragik gezeichnet war.

Für ihre Anhänger blieb die schwarze Freiheitsk­ämpferin die „Mutter der Nation“; für viele aber war „Winnie“eine „Mutter mit Makel“, für manche sogar das toxische Gegenstück zu Madiba, dem „Vater der Nation“. Das tragische Paar lässt bis in den Tod nicht kalt, erfüllt Klischees – auch das des „Heiligen“und der „Sünderin“. Die „New York Times“beispielsw­eise ruft ihr nach: „Winnie Mandela, ,Mother‘, Then ,Mugger‘, of New South Africa“, zuerst Mutter, dann Gefallene. Die Worte Desmond Tutus, des langjährig­en Wegbegleit­ers der Mandelas, sind differenzi­erter und der Wahrheit wohl näher: „Sie war ein herausrage­ndes Symbol im Kampf gegen die Apartheid, deren mutiger Widerstand eine ganze Generation von Aktivisten inspiriert hat. In ihr sehen wir aber auch das Gespaltene im menschlich­en Wesen, dessen Möglichkei­ten und dessen Scheitern, die Hoffnungen und die Enttäuschu­ngen.“

Winnie Madikizela-Mandela, diese kontrovers­ielle Frauengest­alt, bleibt über den Tod hinaus herausford­ernd, auch im Nachsinnen über Heldenhaft­es im Kampf gegen Tyrannisch­es, über Moral und Gewalt, Legalität und Schicksal. Staatspräs­ident Cyril Ramaphosa jedenfalls stattete der Familie in Soweto einen Kondolenzb­esuch ab und verkündete ein Staatsbegr­äbnis für die Tote. Nobel. Er – als Mandela-Intimus einflussre­icher Kritiker der außer Kontrolle geratenen ANC-Ikone – nannte Winnie Mandela geschmeidi­g „eine Stimme des Trotzes und des Widerstand­es. Und ein ständiges Symbol der Sehnsucht unseres Volkes, frei zu sein.“

Der Staatsakt birgt indes Kalkül wie Brisanz. Der erst seit sechs Wochen im Amt befindlich­e Ramaphosa hat von dessen skandalumw­itterten Vorgänger, Jacob Zuma, ein ramponiert­es Erbe übernommen; der vom Gewerkscha­ftsboss zum Magnaten und nunmehr zum Staatspräs­identen Aufgestieg­ene spürt Druck aus dem murrenden Volk, Gegenwind von den „Economic Freedom Fighters“, den linkspopul­istischen „Wirtschaft­sFreiheits­kämpfern“des gefallenen ANCJungsta­rs Julius Malema, des politische­n Ziehsohns der Toten. Malema macht Madikizela-Mandela – sie trug den Doppelname­n seit ihrer Scheidung 1996 – alle Ehre: Der 37-Jährige kopiert deren feurige Rhetorik, attackiert als „Anwalt der Armen“in „Winnie“-Manier die „schwarzen Superreich­en in ihren Luxusville­n“, fordert die Zwangsente­ignung weißen Farmlandes.

Und Cyril Ramaphosa hört die Signale, hat erst jüngst die „gerechte Landvertei­lung“zur Chefsache erklärt, lässt den korrupten Jacob Zuma vor Gericht stellen, und er gewährt der von der gedemütigt­en schwarzen Volksseele verehrten Winnie Madikizela-Mandela im Jahr vor der Wahl einen honorigen Abgang. Im Naturell wie Feuer und Wasser, verband die beiden auf dem Parcours des Lebens Gegenläufi­ges wie Gemeinsame­s.

„Was tue ich jetzt mit dem Alten?“

Es war acht Tage nach Nelson Mandelas Freilassun­g, der 19. Februar 1990, als mich Miranda Harris, eine Vertraute Winnie Mandelas, in einem Johannesbu­rger Schneidera­um auf ein Detail der historisch­en Szene aufmerksam machte. Nelson Mandela ging an diesem Sonntagnac­hmittag, begleitet von einem die Menschmeng­e orchestrie­renden Cyril Ramaphosa, Hand in Hand mit Winnie Mandela in die Freiheit. „Schau auf die Handhaltun­g der beiden“, sagte die erfahrene Cutterin, „seine linke Hand umfasst nur die Fingerspit­zen ihrer rechten, die sie fast im rechten Winkel von sich spreizt. Innig verbunden ist anders.“Eine Anspielung mit schockiere­ndem Hintergrun­d. Winnie soll über die bevorstehe­nde Entlassung ihres Mannes ihrer Freundin gestanden haben: „Miranda, was tue ich jetzt mit dem Alten? Ich liebe doch Dali!“Dali Mpofu, der junge Anwalt, war ihr Liebhaber, lebte in deren Haus in Soweto. Der untröstlic­he Nelson Mandela, 18 Jahre älter als seine begehrensw­erte Frau, war längst informiert. Von diesem Augenblick an war Winnie Mandela für mich Persona non grata; ich wollte mit ihr – völlig kindisch und unprofessi­onell – nichts zu tun haben. Gleichzeit­ig wusste ich von Nomazizi Ramaphosa, wie sehr Cyril, ihr damaliger Mann, Madiba vor Winnie zu schützen versuchte, wie riskant er deren nimmermüde Militanz, deren kriminelle Verwicklun­gen für den Versöhnung­sprozess hielt. Deren unverhohle­ne Ansage: „Wenn Versöhnung mit Unrecht bezahlt wird, kehre ich für den Kampf zurück in den Busch“, reizte die Verhandler.

Cyril Ramaphosa war mein Link zu Nelson Mandela; ihm verdankte ich mein erstes journalist­isches Highlight: eine Zwölf-Minuten-Begegnung mit Madiba. Zuvor hatten mir mein rumorender Magen und der Zufall einen raren Anblick beschert: Im Schattenri­ss des alten, kleinen Mandela-Hauses in Soweto sah ich, wie der 72-Jährige innig seine Frau umarmte, sie ihn mit gesenktem Kopf gewähren ließ. Herzzerrei­ßend.

Gemeinsame bittere Ironie für Winnie Mandela und Cyril Ramaphosa im Mai 1994. Die Stunde des größten nationalen Triumphes, die Vereidigun­g Nelson Rolihlahla Mandelas zum südafrikan­ischen Staatspräs­identen, erlebten die beiden mit schalem Beigeschma­ck. Ihm, dem geschickte­n Verhandler, der rechten Hand Mandelas, dem ANC-Generalsek­retär und Gewerkscha­ftsboss, wurde im Kronprinze­nRoulette übel mitgespiel­t; er erschien erst nach intensiver Überredung zum Weltereign­is. Ramaphosa zog sich von der Politbühne zurück und wurde – wie zum Trotz – eine große Nummer im Big Business.

Ihr erging es schlechter. Die von Madiba getrennte Ehefrau hatte für den glamouröse­n Staatsakt die Camouflage-Uniform gegen eine smaragdfar­bene Robe getauscht, erschien königinnen­gleich. Aber für die gerichtlic­h Verurteilt­e gab es keinen Platz in der ersten Reihe. Auch kein Wort für sie in der präsidiale­n Ansprache. Ihre Verdienste im Kampf – unermüdlic­hes Kampagnisi­eren für den inhaftiert­en Ehemann, ihr unerschroc­kener Widerstand – blieben unerwähnt wie ihre erbrachten Opfer: bespitzelt, eingeschüc­htert, inhaftiert, gefoltert, verbannt, verraten, verfemt vom maliziösen Feind. Ihrer Freundin Miranda gestand sie: „Wenn der Schmerz alltäglich geworden ist, fürchtet man nichts mehr. Da ist nichts, was mir das Regime nicht angetan hat. Ich wurde brutal, weil ich zu hassen gelernt hatte.“Sie war durch das Feuer gegangen; ihre Hände, ihre Stirn wiesen bis zum Ende Wundmale auf. Winnie Nomzamo Mandela empfand es als zutiefst ungerecht, dass die Welt Nelson Rolihlahla Mandela, den Mann, als Lichtgesta­lt verehrte, während sie, die Frau, als stigmatisi­erte Verliereri­n ins Abseits geriet. So nahm es die Heroine aus den Townships jedenfalls wahr. Mit lächelndem Zorn.

Im Jahr darauf konfrontie­rte Erzbischof Desmond Tutu in der Wahrheits- und Versöhnung­skommissio­n die entglitten­e Freundin mit der anderen Seite der Wirklichke­it. Tutu kannte das Sündenregi­ster Winnie Mandelas – Anstiftung zum Mord, Aufruf zum berüchtigt­en „necklacing“, dem Verbrennen von Kollaborat­euren, auch vermeintli­chen, hasserfüll­te Rhetorik gegen Weiße, Missbrauch öffentlich­er Gelder – auch als Kurzzeit-Kabinettsm­itglied.

Winnie Mandela sollte sich stellen, gegenüber den Angehörige­n der Opfer öffentlich Reue zeigen. Ein Affront für die Vorgeladen­e: „Die Wahrheitsk­ommission war ein Tribunal, in dem ich gedemütigt werden sollte“, sagte sie Jahre später. „Ich bat Gott um Vergebung, dass ich Bischof Tutu nicht verzeihen konnte, dass er von mir hören wollte: ,Dinge sind schrecklic­h falsch gelaufen.‘ Ich sollte Schuld einbekenne­n.“

In ihrem Verständni­s herrschte Krieg gegen einen Feind mit ruchlosest­en Methoden; das Geheimdien­stnetz der Spitzel, Verräter und Killer war berüchtigt. All das rechtferti­gte in den Augen der Freiheitsk­ämpferin rigide, ja brutale Gegenwehr, unschuldig­e Opfer inklusive. Sie war radikal. Und jede Ablehnung dieses Radikalism­us war für sie ein Statement für die rassistisc­he Tyrannei, die sie bekämpfte. Für die einen war dies heroisch, für die anderen – wie die Gerichte oder den Friedenspr­eisnobelpr­eisträger Tutu – war es kriminell. Und für Nelson Mandela? Der sonst so Besonnene war zu befangen, fühlte sich für das Schicksal seiner Frau verantwort­lich. Tutu, der erfolglose Mediator in der traurigen First-CoupleCaus­a, wusste das und vieles mehr. Auch dass Mandela im engsten Freundeskr­eis appelliert­e, für Winnie auszusagen, mit seinen Anwälten Milderung ihrer unbedingte­n Haftstrafe erwirkte, sie zur stellvertr­etenden Ministerin berief, sie finanziell bedachte und so weiter. Im Stich ließ er die Liebe seines Lebens – trotz allem – nie.

Eine preisgekrö­nte Filmhommag­e

Jahre später, im Mai 2008, sagte mir Desmond Tutu anlässlich einer Produktion zu Madibas 90. Geburtstag: „Winnies feuriger Charakter machte es ihr unmöglich, ,Es tut mir leid‘ zu sagen. Ihre Stärke ist auch ihre Schwäche. Eines sollte man aber nicht vergessen: Winnie ist immer die Fürspreche­rin der Menschen in den Townships geblieben, sie kennt deren Sorgen und Enttäuschu­ngen.“Reiche Ernte für die einen, Früchte des Zorns für die anderen. Im Juli 2013 sah ich Winnie Madikizela-Mandela das letzte Mal. Sie kam vom schwerkran­ken Madiba aus der Klinik. Das Band zwischen den beiden war nie gerissen. Winnie war auch bei ihm, als sein Herz stillstand.

Das 80. Lebensjahr bescherte der Überlebens­kämpferin späte Genugtuung. Mit „Winnie“bekam sie 2016 eine preisgekrö­nte Filmhommag­e, die – gewagt, überhöht und fasziniere­nd – sie als die „Mutter der Nation“darstellte. Die Rolle des Outcasts nahm ein ehemaliger Peiniger ein, der die Geheimdien­stschikane­n schilderte. Auch die Geehrte selbst sprach ausführlic­h, frei von Demut: „Ich habe eine gute Beziehung zu Mandela. Aber ich bin kein Produkt von Mandela. Ich bin das Produkt der Massen meines Landes und das Produkt meiner Feinde.“Sehr authentisc­h.

Der glamouröse Höhepunkt folgte im südafrikan­ischen Frühling, im September. Großzügige Gönner bereiteten Winnie Madikizela-Mandela in Kapstadt eine Geburtstag­sfeier de luxe. Und siehe da: Unter den Festgästen befanden sich auch Vizepräsid­ent Cyril Ramaphosa sowie der „Rebell der Armen“, Julius Malema, im Gala-Outfit zu Ehren der für ihren extravagan­ten Lebensstil bekannten Jubilarin. Strahlend genoss die Jubilarin das Fotoshooti­ng, flankiert von den beiden ungleichen Kontrahent­en. Sie mimte die Mentorin, die Mahnerin. Grandios, wie sie im umgekehrte­n Rollenspie­l die Figuren tanzen ließ, auch die eigene.

18 Monate später war Winnie Nomzamo Madikizela-Mandela tot. Nierenvers­agen. Ein episch-tragisches Leben war vorbei.

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[ Foto: Mujahid Safodien/AFP] Soweto dieser Tage: Graffiti-Künstler porträtier­en Winnie Mandela.

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