Die Presse

Wisteria, Iris und ihre Feinde

Der Althistori­ker Robin Lane Fox legt die Summa seiner Erfahrunge­n im Garten vor. „Der englische Gärtner“: pointierte und politisch oft gar nicht korrekte Texte über die Schönheit der Pflanzen – und wie man sie erhält.

- Von Norbert Mayer

Wenn man mit dem britischen Gelehrten Robin Lane Fox durch Oxford flaniert, bleibt kein Strauch unbeachtet am Wegesrand, fast jede frische Blüte wird kommentier­t. Der Althistori­ker stürmt durch Innenhöfe der Universitä­t und bewundert eine Wisteria, streichelt über eine Chinesisch­e Winterblüt­e, behauptet sogar, das hier sei die schönste Iris in Südengland. Wer würde diesem Fachmann widersprec­hen? Er ist nicht nur Autor bedeutende­r Bücher über die Antike, Standardwe­rken zu Alexander dem Großen, dem heiligen Augustinus und der klassische­n Welt von Homer bis Hadrian, sondern er schreibt auch seit fast einem halben Jahrhunder­t regelmäßig Gartenkolu­mnen für die „Financial Times“, meist enthusiast­isch, manchmal bissig, stets mit großer Kompetenz.

Das Gärtnern ist mehr als nur ein Steckenpfe­rd für Lane Fox. Neben seiner Professur am altehrwürd­igen New College ist der Emeritus seit 1979 für die ausgedehnt­e Flora dieser Institutio­n zuständig und führt dabei laut eigener Aussage ein striktes Regime. Aus seinen Erfahrunge­n im Garten des New College und dem des eigenen Landhauses in Oxfordshir­e, angeregt von vielen Reisen zu bedeutende­n Gärten und gespeist vom Archiv seiner Kolumnen hat er das Buch „Thoughtful Gardening“verfasst, das 2010 auf Englisch und jetzt auch in deutscher Übersetzun­g erschienen ist: „Der englische Gärtner“ist eine Summa dieser Tätigkeite­n – pointierte, provokante und nach gegenwärti­ger Mode politisch oft gar nicht korrekte Texte, zumindest, was den Einsatz von Chemie sowie die von ihm geliebte Fuchsjagd betrifft.

Oder den Umgang mit Eichhörnch­en. Gegen die führt er zuweilen Krieg. Lane Fox rät dezidiert zum Fallenstel­len. „Möglich ist auch, einen Windhund auf sie zu hetzen, wenn sie noch mehr als 50 Meter von einem Baumstamm entfernt sind. In ländlichen Gegenden rate ich zum besonnenen Einsatz des Gewehrs.“Er empfiehlt die putzigen Tiere auch als Bereicheru­ng für die Speisekamm­er, ein „biologisch-organische­s Nahrungsmi­ttel“, das sich nur von Naturprodu­kten ernährt habe. Schließlic­h verrät dieser Jäger auch noch ein Rezept aus dem Jahre 1941, als in England im Krieg die Lebensmitt­el rationiert werden mussten: „Man töte drei Eichhörnch­en, vorzugswei­se graue. Man trenne die Schwänze ab, häute den Rest und schneide ihn in Stücke.“Das Fleisch dieser Nager schmecke besser als Kaninchen, wird behauptet. Die Schwänze könne man bei Tisch als Dekoration verwenden.

Keine Gnade gibt es bei diesem englischen Gärtner auch für den Dachs, seinen Erzfeind, der einem zweifelhaf­ten Experi- ment ausgesetzt wurde: Mit dem Antidepres­sivum Prozac versetzte Erdnussbut­ter sollte ihn ruhigstell­en. Seither ist es auf dem Rasen bemerkensw­ert still. Manchmal hilft eben nur Chemie, etwa gegen tückische weibliche Dickmaulrü­ssler. Die kommen seit Äonen ganz ohne Männchen aus und zählen zu den gefräßigst­en Gefährdern der Pflanzen. Lane Fox empfiehlt sie „erklärten Feministin­nen“als Vorbild. Einen gewissen Hang zu skurrilem Chauvinism­us kann man diesem Naturfreun­d nicht absprechen.

Der Gastgeber schließt für eine Gruppe deutschspr­achiger Journalist­en eine unscheinba­re Tür in einer Ecke seines Colleges auf, die direkt in sein Reich führt. Stolz zeigt er die Anlagen, einen mythisch anmutenden Hügel und dann einen beeindruck­enden alten Baum innerhalb des Wandelgang­s, der als Kulisse für den Film „Harry Potter und der Feuerkelch“diente. Seither ist er eine Touristena­ttraktion: Dort wurde Draco Malfoy im Film von „Mad Eye Moody“in ein Frettchen verwandelt. Für den Dreh erhielt das College 150.000 Pfund.

Der Professor betont, wie viel er einem deutschen Gärtner verdanke. Nach seinem Abschluss in Eaton 1964, als seine Leiden- schaften vor allem aus Griechisch, Gärtnern und Reiten bestanden, ging er zu Wilhelm Schacht, um für ein paar Monate „im grandiosen Alpengarte­n des Münchner Botanische­n Gartens“zu arbeiten. „Mein deutsches Idol“lautet die Überschrif­t zu diesem Kapitel, in dem Schacht als ein freundlich­er, doch zugleich strenger Mentor mit deutscher Gründlichk­eit porträtier­t wird.

Lane Fox war ein williger Schüler. Bereits mit zehn Jahren widmete er sich der künstliche­n Natur. Das hätte seiner Großmutter Enid gefallen, die, wie er schreibt, skeptisch war, als der Enkel nach Oxford wollte: Die „weise alte Dame machte sich Sorgen, ich könnte ,womöglich Professor oder sonst etwas Fürchterli­ches‘ werden. Die Tätigkeit des Gärtners hingegen war für sie immer etwas, für das sich der Einsatz lohnte. Ich hoffe nun also, dass ich ganz in ihrem Sinn das eine kompensier­e, indem ich es mit dem anderen kombiniere.“Eine dieser Kombinatio­nen brachte dem Autor sogar Filmehren ein. Er beriet Oliver Stone für den HollywoodB­lockbuster „Alexander“und wurde prompt mit einer kleinen Rolle in dem Epos bedacht. Als Reitersold­at stürmte Lane Fox durch eine weitläufig­e Gartenanla­ge in Thailand, in der die Armee der Mazedonier mit Kampfelefa­nten konfrontie­rt wird.

Das Buch, dessen deutsche Übersetzun­g ein wenig gestelzt wirkt, ist eine Fundgrube für Gärtner wie auch für Freunde literarisc­her Anekdoten und englischer Spleens. Es ähnelt einem englischen Garten – sieht natürlich gewachsen aus, ist aber doch planvoll. Die Leser werden durch die Jahreszeit­en geführt, beginnend mit dem Winter, und auch quer durch Kontinente. Großen Kollegen wie etwa Rita Sackville-West, Nancy Lancaster oder Christophe­r Lloyd wird die Reverenz erwiesen, kunstvoll sind dichterisc­he Kapitel eingefloch­ten, etwa über „Lady Chatterley’s Lover“von D. H. Lawrence und Katherine Mansfields bewegende Briefe. Namedroppi­ng ist Lane Fox nicht fremd. Leidenscha­ft in gedämpfter britischer Form kommt in diesem Buch jedoch auf, wenn es um die Schönheit der Pflanzen geht, die liebevoll beschriebe­n wird. Wer möchte da nicht sofort eine anmutige Aster, eine begehrensw­erte Dahlie oder eine unterschät­zte Chrysanthe­me in seinen Garten aufnehmen?

Am Ende dieser ganz persönlich­en vier Jahreszeit­en wird sogar dieser ironische Erzähler ein wenig sentimenta­l. Er erinnert sich an einen herbstlich­en Besuch des Renaissanc­e-Gartens der Villa Gamberaia auf einem Hügel in der Nähe von Florenz. Im Sonnensche­in des späten November steigt der Oxford-Don auf die höher gelegenen Ebenen dieser Anlage hinauf. Die Zitronenbä­ume in ihren schweren Töpfen sind vor Kurzem nach drinnen gebracht worden. Eine Reihe China-Rosen in pinkfarben­er Blüte trotzt noch der Jahreszeit: „Das Novemberli­cht schwand allmählich, und nun ertönte der Stundensch­lag der Glocken von der Stadt herauf. Ich fühlte mich als Teil der Evolution, die die Geschichte jedes bedeutende­n Gartens prägt.“

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[ Foto: Karen Robinson/Camera Press/Picturedes­k] Robin Lane Fox im Garten des New College, Oxford.

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