Die Presse

Die Bilderwelt des Einstweh

Auftrumpfe­nd: Botho Strauß über den Verlust der Heimat und die Taubheit der Moderne.

- Von Peter Strasser

Eines der Schlüsselw­örter, welche die Passion – Leiden und Leidenscha­ft – des Dichters benennen, lautet: „Einstweh“. Auch das neue Buch von Botho Strauß, „Der Fortführer“, bringt dieses „Weh“auf unvergleic­hliche Weise zum Ausdruck und vertieft es auf eine Art, die in den intensivst­en Passagen das Herz des Lesers berührt. Ja, Botho Strauß kann, bei aller stilistisc­hen Politur und allem auftrumpfe­nden Belesenhei­tsgestus, herzzerrei­ßend sein.

Der Leser wird Zeuge einer psychologi­schen, existenzie­llen, metaphysis­chen Einsamkeit, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Orte, an denen sich so etwas wie Heimat, ein menschlich­es Zuhause auftun könnte, sind längst verschwund­en. Und bei genauerem Hinsehen hat es solche Orte ohnehin nie wirklich gegeben. Nie gab es die bergenden Tiefen einer Vergangenh­eit; sie alle waren stets nur Imaginatio­nen des dichtenden Geistes. „Ungewiss, ob sich die Menschen nicht von Anfang an nach einer geheimen Begleitmus­ik bewegten.“

Aber in der Gegenwart ist diese Musik nicht mehr zu hören, es ist die Taubheit aller Moderne, die den Dichter seiner Zeit radikal entfremdet. Unter den Einsamsten ist er der Einsamste, denn keine Nähe kann ihn trösten, sie bringt ihn nur noch als Abwesenden zur Sprache. Wenn er spricht, dann als ein Medium, aus dem die Fülle des Ehedem tönt – der Dichter wird fortgeführ­t und führt fort: Er ist die „Begleitmus­ik“von Anbeginn.

Freilich, das in eine wunderbare, wundersame Bilderwelt gekleidete Einstweh des Dichters führt als seinen Schatten den Intellektu­ellen Botho Strauß mit sich. Dessen Gegenwarts­kritik durchzieht auch dieses Buch und wird im letzten Teil zu einer tiefschwar­zen Perlenkett­e von Kleinessay­s geflochten. So einnehmend die Parteinahm­e für jene Kunstschaf­fenden anmutet, die wegen ihrer Zeitgeistf­erne vergessen wurden, so verflachen­d wirkt sich Straußens eigene Zeitkritik aus: Die konsumisti­sche, hedonistis­che, digital hochgerüst­ete Massenkult­ur ist ein Graus, das Nichts, die Hölle.

Achtung vor der Gegenmoder­ne

Aus der Verachtung des Dichters für das genormte Durchschni­ttswohlbeh­agen der traditions­vergessene­n Welt erwächst eine elitäre Haltung, deren politische Ausmünzung – das zeigen Straußens poetische Manifeste seit dem „Anschwelle­nden Bocksgesan­g“– weit nach rechts führt, dorthin, wo schließlic­h die Substanz des Liberaldem­okratische­n die Wesenlosig­keit von Volk, Staat, Nation begründet. Unserer Demokratie fehlt demnach die „fundierte Achtung der Gegenmoder­ne“.

Und weil Botho Strauß eine wortmächti­ge Stimme ist, die solche Achtung einfordert, muss sich der Dichter der Gegenmoder­ne dem Vorwurf aussetzen, dem antidemokr­atisch Reaktionär­en dienstbar zu sein. „Die Macht, die Trauer, das Riesengelä­chter liegen wie enthändigt­e Gliederpup­pen hinter der Kulisse des frivolen Theaters, das gleicherma­ßen ungestalt jede Gestalt erscheinen lässt. Und sie liegen neben den alten Hauptfigur­en: dem König, der Prinzessin, dem Hanswurst, und starren reglos gen Himmel.“

Das Märchenhaf­te des Tons kann nicht darüber hinwegtäus­chen: Ein fantasiert­es Mittelalte­r wird zum Politikum. Dass Botho Strauß zu aller „journalist­ischen“Kritik an seiner Parteinahm­e für die Neorechte schweigt, spricht für sich. Und doch will der Dichter nur eines: sich der sprachlose­n Geschwätzi­gkeit all der Gegenwarts­narren entziehen.

Botho Strauß

Der Fortführer 208 S., geb., € 20,60 (Rowohlt Verlag, Reinbek)

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