Die Bilderwelt des Einstweh
Auftrumpfend: Botho Strauß über den Verlust der Heimat und die Taubheit der Moderne.
Eines der Schlüsselwörter, welche die Passion – Leiden und Leidenschaft – des Dichters benennen, lautet: „Einstweh“. Auch das neue Buch von Botho Strauß, „Der Fortführer“, bringt dieses „Weh“auf unvergleichliche Weise zum Ausdruck und vertieft es auf eine Art, die in den intensivsten Passagen das Herz des Lesers berührt. Ja, Botho Strauß kann, bei aller stilistischen Politur und allem auftrumpfenden Belesenheitsgestus, herzzerreißend sein.
Der Leser wird Zeuge einer psychologischen, existenziellen, metaphysischen Einsamkeit, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Orte, an denen sich so etwas wie Heimat, ein menschliches Zuhause auftun könnte, sind längst verschwunden. Und bei genauerem Hinsehen hat es solche Orte ohnehin nie wirklich gegeben. Nie gab es die bergenden Tiefen einer Vergangenheit; sie alle waren stets nur Imaginationen des dichtenden Geistes. „Ungewiss, ob sich die Menschen nicht von Anfang an nach einer geheimen Begleitmusik bewegten.“
Aber in der Gegenwart ist diese Musik nicht mehr zu hören, es ist die Taubheit aller Moderne, die den Dichter seiner Zeit radikal entfremdet. Unter den Einsamsten ist er der Einsamste, denn keine Nähe kann ihn trösten, sie bringt ihn nur noch als Abwesenden zur Sprache. Wenn er spricht, dann als ein Medium, aus dem die Fülle des Ehedem tönt – der Dichter wird fortgeführt und führt fort: Er ist die „Begleitmusik“von Anbeginn.
Freilich, das in eine wunderbare, wundersame Bilderwelt gekleidete Einstweh des Dichters führt als seinen Schatten den Intellektuellen Botho Strauß mit sich. Dessen Gegenwartskritik durchzieht auch dieses Buch und wird im letzten Teil zu einer tiefschwarzen Perlenkette von Kleinessays geflochten. So einnehmend die Parteinahme für jene Kunstschaffenden anmutet, die wegen ihrer Zeitgeistferne vergessen wurden, so verflachend wirkt sich Straußens eigene Zeitkritik aus: Die konsumistische, hedonistische, digital hochgerüstete Massenkultur ist ein Graus, das Nichts, die Hölle.
Achtung vor der Gegenmoderne
Aus der Verachtung des Dichters für das genormte Durchschnittswohlbehagen der traditionsvergessenen Welt erwächst eine elitäre Haltung, deren politische Ausmünzung – das zeigen Straußens poetische Manifeste seit dem „Anschwellenden Bocksgesang“– weit nach rechts führt, dorthin, wo schließlich die Substanz des Liberaldemokratischen die Wesenlosigkeit von Volk, Staat, Nation begründet. Unserer Demokratie fehlt demnach die „fundierte Achtung der Gegenmoderne“.
Und weil Botho Strauß eine wortmächtige Stimme ist, die solche Achtung einfordert, muss sich der Dichter der Gegenmoderne dem Vorwurf aussetzen, dem antidemokratisch Reaktionären dienstbar zu sein. „Die Macht, die Trauer, das Riesengelächter liegen wie enthändigte Gliederpuppen hinter der Kulisse des frivolen Theaters, das gleichermaßen ungestalt jede Gestalt erscheinen lässt. Und sie liegen neben den alten Hauptfiguren: dem König, der Prinzessin, dem Hanswurst, und starren reglos gen Himmel.“
Das Märchenhafte des Tons kann nicht darüber hinwegtäuschen: Ein fantasiertes Mittelalter wird zum Politikum. Dass Botho Strauß zu aller „journalistischen“Kritik an seiner Parteinahme für die Neorechte schweigt, spricht für sich. Und doch will der Dichter nur eines: sich der sprachlosen Geschwätzigkeit all der Gegenwartsnarren entziehen.
Botho Strauß
Der Fortführer 208 S., geb., € 20,60 (Rowohlt Verlag, Reinbek)