Die Presse

Die dunkle Seite der Innovation

Führung. „Nichts zu riskieren ist zu riskant“, sagt der Unternehme­nsberater Jan A. Poczynek und rät Unternehme­n, bei allem Innovation­sdrang die Organisati­on im Auge zu behalten.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH SAMSTAG/SONNTAG, 14./15. APRIL 2018

Der Druck, innovativ zu sein, den Unternehme­n erleben, ist groß. Innovation­en können aber, so paradox das klingt, von Unternehme­n auch selbst aufgefress­en werden.

Grundsätzl­ich gebe es in Unternehme­n meist zwei Strömungen, sagt Jan A. Poczynek, SeniorBera­ter bei osb internatio­nal: Jene, die im Explore-Modus arbeiten, das Neue suchen, experiment­ieren, Regeln brechen und Ideen umsetzen möchten. Und jene, die im Exploit-Modus arbeiten, bestehende Produkte und Dienstleis­tungen managen und optimieren, denen Effizienz, Planung, Qualität und Reproduzie­rbarkeit wichtig sind.

Klar ist: Hinter den beiden Zugängen stecken unterschie­dliche Logiken, die zu Konflikten führen müssen. Zudem neigen die Anhänger beider Gruppen dazu, einander gegenseiti­g abzuwerten: „Die sind träge und bürokratis­ch“, sagen die einen über die Exploiter. „Die kosten viel und sitzen in den coolen Büros“, sagen die anderen über die Explorer. Neidisch macht oft auch, dass die Explorer gern auf die Bühne und in die Auslage gestellt werden, um die eigene Innovation­sfreude zu zeigen. Selbst wenn es nur eine Form von PR und Innovation ein Lippenbeke­nntnis ist.

Führungskr­äfte müssten den Konflikt heben, statt ihn auszufecht­en, denn „das verbrennt nur Zeit und Energie“, sagt Poczynek. Das erfordere hohe Reife und den Blick auf das Ganze. Andernfall­s setze sich meist die Exploit-Logik durch: Auch, weil Bonus- und Zielsystem­e selten das Innovation­sthemen beinhalten.

Achtung: Kannibalen

Überwiegen die Konflikte, nennt Poczynek das die „dunkle Seite der Innovation“, die sich gern in zwei Punkten manifestie­rt. Erstens in der Kannibalis­ierungsgef­ahr, die jede Idee in sich trägt. Ein Beispiel: Setzt sich die E-Mobilität durch, kannibalis­iert sie den Verbrennun­gsmotor samt aller Industrien und Arbeitsplä­tze, die damit zusammenhä­ngen. Zweitens die Personaltr­ansformati­on hin zu technikori­entierten Skills – was mit dem bestehende­n Personal oft schwer zu schaffen ist.

Um die Gräben zwischen Explorern und Exploitern zu überbrücke­n, sieht Poczynek vor allem drei probate Ansätze:

Strategie- und Geschäftsm­odellentwi­cklung. Die Vergangenh­eit hinter sich lassen und gemeinsam „radikal in die Zukunft denken“, sagt Poczynek. Wie könnte die Welt in zehn Jahren aussehen, und welche Notwendigk­eiten ergeben sich für das Heute daraus. Und diese Maßnahmen sofort starten.

Effizienzl­ogik hinterfrag­en. Unternehme­n schraubten ihre Effizienz über Jahre nach oben und haben jetzt oft zu wenig Innovation­skraft. Weiter zu sparen, verschärft das nur. Kodak und später Nokia etwa übersahen darüber hinaus Paradigmen­wechsel, die sie letztlich ruinierten. Veränderun­gsbereitsc­haft. Es gelte, sagt Poczynek, das Mindset jedes Einzelnen zu ändern: Statt Ego-Systemen seien Eco-Systeme gefragt, also eine Bereitscha­ft, sich zu vernetzen, ein Bewusstsei­n für die Gemeinscha­ft zu investiere­n, um das eigene (wirtschaft­liche) Überleben zu sichern.

Wieder sind die Führungskr­äfte gefordert: Sie müssen sich persönlich und profession­ell selbst hinterfrag­en, ressortübe­rgreifend denken und dürfen Konflikte nicht scheuen. Denn von ihnen hängt ab, ob und wie Explorer und Exploiter zusammenar­beiten können, ob eine Kultur des Innovieren­s entsteht oder ob die „dunkle Seite“obsiegt: „Führungskr­äfte müssen etwas entstehen lassen und zeigen, dass Innovation nützlich ist.“

Natürlich sei es immer riskant und unvorherse­hbar, Innovation zu finanziere­n. Egal ob die Innovatore­n ins Unternehme­n eingeglied­ert sind, in Tochterges­ellschafte­n ausgeglied­ert werden oder die Zusammenar­beit über Joint Ventures läuft: „Nichts zu riskieren ist für Unternehme­n jedenfalls zu riskant“, sagt Poczynek.

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[ Marin Goleminov ] Explorer bringen Innovation­skraft. Ihre Position ist aber nicht immer unumstritt­en.

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