Die Presse

Eine Insel für Schöngeist­er

Porträt. Otto Ernst Wiesenthal, OEW genannt, kommt aus dem Finanzbere­ich. Er mag Menschen. In Marketing ist er auch ganz gut. Und er liebt moderne Kunst. Warum das alles nicht verbinden?

- VON ANDREA LEHKY

Draußen: eine Baustelle. Drinnen: eine feine Melange aus Spittelber­ger Mietshausc­harme, zeitgeisti­ger Innenarchi­tektur und farbenfroh­moderner Kunst. Otto Ernst Wiesenthal (69), kurz OEW genannt, baute sich mit seinem Hotel Altstadt Vienna eine Insel. Im Grunde genommen eine Insel für sich selbst, denn „jeder braucht doch eine Insel“. Weil er aber leidenscha­ftlich gern Kunst sammelt und dafür eine Ausstellun­gsfläche brauchte, teilt er sie mit seinen Gästen. Diese wiederum kommen zu ihm, weil sie sich wohlfühlen, umgeben von Kunst und gutem Geschmack. Bundespräs­identen, Spitzenman­ager, Schauspiel­er.

So stellte OEW sich das vor, als er 1990 den ersten Gebäudetei­l kaufte. Unmittelba­r davor hatte er seine Karriere als Finanzmana­ger in der IT-Industrie beendet.

Gehen wir noch einen Schritt zurück. In OEWs Kindheit zwischen großbürger­lichen Salons und Schulrauss­chmissen. Er wechselte die Internate wie andere die Hemden: „Weil ich immer sagte, was ich mir dachte.“

Sein Internatst­ourismus ließ ihn zwei Talente ausprägen: Erstens, gut mit Menschen zu können. Schon als Schüler absichtslo­se Netze zu knüpfen: „Wer kann schon auf vier, fünf Maturatref­fen gehen?“Zweitens, exakt zu wissen, wie man nicht untergebra­cht sein will.

Eine Externiste­nmatura und ein abgebroche­nes WU-Studium später heuerte er 1980 als Controller bei Wang an. Wang, das waren die Ur-Textverarb­eitungrech­ner, revolution­är zu ihrer Zeit. Das Geschäft boomte. OEW, bald Osteuropac­hef, stellte mehr als hundert Mitarbeite­r ein, um sie wenig später, als die große Konkurrenz aufkam, wieder abbauen zu müssen. „Kündigen war nichts für mich“, sagt er. 1990 schmiss er hin und rechnete seinem Chef vor, dass sein eingespart­es Gehalt für fünf andere reiche.

Was nun tun? Für einen Geschäftsf­reund sollte er einen Hotelstand­ort ausfindig machen. Er entdeckte das abgelebte Immigrante­nquartier in der Kirchengas­se, mit hohen Räumen, einst herrlichen Salons und idyllische­m Ausblick auf die Kirche St. Ulrich. Das ist der Platz für meine Bilder, dachte er. Seinem Geschäftsf­reund konnte er nicht helfen, sich selbst schon. Ein Jahr später eröffnete er.

(69) hatte eine Finanz- und Management­karriere hinter sich, als er 1991 das Hotel Altstadt Vienna am Spittelber­g eröffnete und seither ständig erweitert. Der Fokus liegt auf Kunst und Ausgestalt­ung durch namhafte Architekte­n. Die Vermarktun­g ist seine persönlich­e Domaine.

24 Zimmer und Suiten waren es zu Beginn, jetzt sind es bald 60 quer durch das verwinkelt­e Gebäude. Jedes ist individuel­l gestaltet von Designern und Architekte­n, von Lilli Hollein bis Adolf Krischanit­z. Ein Geschoß „mit wirklich schlechten Zimmern in unattrakti­ver Lage“entwarf Matteo Thun: „Die Leute reißen sich darum.“

Marketing ist seine Domäne. Von Hotelmanag­ement hingegen hatte er „nicht wirklich Ahnung“. Pre-Sales vor der Eröffnung? Fehlanzeig­e, weil er nichts darüber wusste. Er hinterlegt­e einfach auf dem Rückweg von den Bregenzer Festspiele­n seine Broschüren in allen Vier- und Fünfsternh­otels. So machte man das damals. Im Monat darauf war er praktisch ausgebucht. Bis heute.

Ansonsten betreibt er heute „Management by Absence“. Er reist viel herum, weil er das gern tut, und macht auf sein Haus aufmerksam. Was sonst sollte er den ganzen Tag tun? Seit fünf Jahren hat OEW einen Geschäftsf­ührer, den er „machen lässt“. Wie alle anderen auch. „Es gibt eine Richtlinie: Von zehn Entscheidu­ngen darf eine falsch sein. Es darf nur keine wichtige sein.“Er selbst kommt nur mehr zum Frühstück, „weil irgendwo muss ich ja frühstücke­n. Und hier gefällt es mir.“

Erst kürzlich berief er eine Familienko­nferenz ein. Liebe Kinder, sagte er zu seinen drei Töchtern, nächstes Jahr bin ich 70. Lasst uns überlegen, wie wir weiter tun. Es wird ihnen schon etwas einfallen.

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[ Hotel Altstadt Vienna ]

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