Das Pentagon mahnt zu mehr Zurückhaltung
Diplomatie. US-Verteidigungsminister James Mattis übt vorerst einen mäßigenden Einfluss auf den Präsidenten aus. Eine Militäraktion scheint jedoch unausweichlich.
Washington/London/Paris. Anstelle des Präsidenten wird sich sein Stellvertreter mit der aus seiner Sicht eher lästigen Pflicht herumschlagen, die südamerikanischen Staatschefs zu hofieren. Vizepräsident Mike Pence übernimmt am Wochenende beim Amerika-Gipfel in Lima die Pflege der diplomatischen Beziehungen mit Mauricio Macri, Juan Manuel Santos oder Sebastia´n Pin˜era, den Präsidenten Argentiniens, Kolumbiens und Chiles.
Sein Chef dagegen wird von Washington aus die labile Weltlage im Blick halten, die Entwicklungen in und rund um die syrische Kriegsregion beobachten und sich wie in den vergangenen Tagen in Telefonaten mit seinen europäischen Verbündeten, Emmanuel Macron und Theresa May, beraten. US-Präsident Trump wird womöglich auch mit Wladimir Putin in Kontakt bleiben – so wie sich die US-Militärs routinemäßig weiterhin mit ihren russischen Konterparts in der NahostKommandozentrale austauschen, um eine Eskalation tunlichst zu vermeiden.
Eine Militäroperation ist mit dem geplanten Beginn der Untersuchung der Inspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die inzwischen in Damaskus eingetroffen sind, zumindest einstweilen eher unwahrscheinlich geworden. Die Kontrollore sollen in Douma, dem südlich der syrischen Hauptstadt gelegenen mutmaßlichen Tatort des Chlorgas-Angriffs, nach Beweisen suchen, Zeugen und medizinisches Personal befragen.
Auf Spurensuche im Trümmerfeld
Die syrischen Regierungstruppen haben dort mittlerweile die Kontrolle übernommen, und sie könnten die Spuren im Trümmerfeld schon verwischt haben. Das Chlor verflüchtigt sich rasch. Für Frankreichs Präsident Macron und andere bestehen indessen keine Zweifel an einer neuerlichen Giftgasattacke des Diktators Bashar al-Assad. Berichte von Sanitätern und Aufnahmen von Opfern scheinen die Vorwürfe zu belegen.
James Mattis ist jedoch skeptisch, ob die OPCW-Mitarbeiter einen stichhaltigen Beweis erbringen können. Dies brachte er in Washington in einem Hearing vor dem Kongress zum Ausdruck. Intern drängt der Verteidigungsminister darauf, die Verantwortung Assads klar herauszustreichen. Ganz im Sinn des Pentagon-Chefs, der als gewiefter Militärstratege die Optionen abzuwägen versteht, ist es allerdings, die Karten bedeckt zu halten und den möglichen Schaden in der Gefechtszone zu minimieren.
In seiner Anhörung vor dem Streitkräfteausschuss des Repräsentantenhauses gab Mattis Einblick in seine Überlegungen. „Wir versuchen, den Mord an unschuldigen Menschen zu stoppen“, erklärte er. „Doch auf einer strategischen Ebene geht es darum, die Dinge nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.“Er meinte eine Eskalation des rhetorischen Kleinkriegs mit Russland, die sein Oberbefehlshaber in dieser Woche mit seinen Twitter-Tiraden befeuert hat.
Der letzte Moderate
Donald Trump schätzt den ehemaligen Viersternegeneral, den er mit Vorliebe bei seinem Spitznamen, „Mad Dog“, nennt. Dabei gilt der Verteidigungsminister als einer der wenigen, der mäßigenden Einfluss auf Trump auszuüben vermag. Zwei ausgewiesene Hardliner, Sicherheitsberater John Bolton und der designierte Außenminister, Mike Pompeo, sind erst wenige Tage oder – im Fall Pompeo – noch gar nicht im Amt. Angeblich plädieren Trumps Berater im Weißen Haus für eine größere Militäraktion, während das Pentagon zu Vorsicht mahnt, wie das „Wall Street Journal“berichtet. Im Visier sind Flugund Seehäfen, Chemiefabriken, Raffinerien.
Auch Trump drosselte seine Rhetorik. „Ich habe nie gesagt, wann ein Angriff auf Syrien stattfinden wird“, twitterte er entgegen anderslautender, vollmundiger Ankündigungen zu Wochenbeginn. Macron, sein Alliierter aus Paris, gab sich deutlich zugeknöpfter. Er werde eine Militäroperation nicht im Voraus bekannt geben, ließ er wissen.
Dass es zu einem Angriff kommen wird, scheint für Militärs und Diplomaten indes beschlossene Sache. Dafür spricht die Entschlossenheit des Westens, das Assad-Regime nicht ungeschoren davonkommen zu lassen. „Es ist wichtig, dass die westliche Staatengemeinschaft geschlossen auftritt“, sagte auch Heiko Maas, der deutsche Außenminister, an die Adresse Moskaus. Für Donald Trump würde ein Rückzieher zudem einen Gesichtsverlust bedeuten – und den Vergleich zu Barack Obama heraufbeschwören, der das Überschreiten der „roten Linie“ungeahndet ließ.