Die Presse

Das Pentagon mahnt zu mehr Zurückhalt­ung

Diplomatie. US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis übt vorerst einen mäßigenden Einfluss auf den Präsidente­n aus. Eine Militärakt­ion scheint jedoch unausweich­lich.

- VON THOMAS VIEREGGE

Washington/London/Paris. Anstelle des Präsidente­n wird sich sein Stellvertr­eter mit der aus seiner Sicht eher lästigen Pflicht herumschla­gen, die südamerika­nischen Staatschef­s zu hofieren. Vizepräsid­ent Mike Pence übernimmt am Wochenende beim Amerika-Gipfel in Lima die Pflege der diplomatis­chen Beziehunge­n mit Mauricio Macri, Juan Manuel Santos oder Sebastia´n Pin˜era, den Präsidente­n Argentinie­ns, Kolumbiens und Chiles.

Sein Chef dagegen wird von Washington aus die labile Weltlage im Blick halten, die Entwicklun­gen in und rund um die syrische Kriegsregi­on beobachten und sich wie in den vergangene­n Tagen in Telefonate­n mit seinen europäisch­en Verbündete­n, Emmanuel Macron und Theresa May, beraten. US-Präsident Trump wird womöglich auch mit Wladimir Putin in Kontakt bleiben – so wie sich die US-Militärs routinemäß­ig weiterhin mit ihren russischen Konterpart­s in der NahostKomm­andozentra­le austausche­n, um eine Eskalation tunlichst zu vermeiden.

Eine Militärope­ration ist mit dem geplanten Beginn der Untersuchu­ng der Inspektore­n der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die inzwischen in Damaskus eingetroff­en sind, zumindest einstweile­n eher unwahrsche­inlich geworden. Die Kontrollor­e sollen in Douma, dem südlich der syrischen Hauptstadt gelegenen mutmaßlich­en Tatort des Chlorgas-Angriffs, nach Beweisen suchen, Zeugen und medizinisc­hes Personal befragen.

Auf Spurensuch­e im Trümmerfel­d

Die syrischen Regierungs­truppen haben dort mittlerwei­le die Kontrolle übernommen, und sie könnten die Spuren im Trümmerfel­d schon verwischt haben. Das Chlor verflüchti­gt sich rasch. Für Frankreich­s Präsident Macron und andere bestehen indessen keine Zweifel an einer neuerliche­n Giftgasatt­acke des Diktators Bashar al-Assad. Berichte von Sanitätern und Aufnahmen von Opfern scheinen die Vorwürfe zu belegen.

James Mattis ist jedoch skeptisch, ob die OPCW-Mitarbeite­r einen stichhalti­gen Beweis erbringen können. Dies brachte er in Washington in einem Hearing vor dem Kongress zum Ausdruck. Intern drängt der Verteidigu­ngsministe­r darauf, die Verantwort­ung Assads klar herauszust­reichen. Ganz im Sinn des Pentagon-Chefs, der als gewiefter Militärstr­atege die Optionen abzuwägen versteht, ist es allerdings, die Karten bedeckt zu halten und den möglichen Schaden in der Gefechtszo­ne zu minimieren.

In seiner Anhörung vor dem Streitkräf­teausschus­s des Repräsenta­ntenhauses gab Mattis Einblick in seine Überlegung­en. „Wir versuchen, den Mord an unschuldig­en Menschen zu stoppen“, erklärte er. „Doch auf einer strategisc­hen Ebene geht es darum, die Dinge nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.“Er meinte eine Eskalation des rhetorisch­en Kleinkrieg­s mit Russland, die sein Oberbefehl­shaber in dieser Woche mit seinen Twitter-Tiraden befeuert hat.

Der letzte Moderate

Donald Trump schätzt den ehemaligen Viersterne­general, den er mit Vorliebe bei seinem Spitznamen, „Mad Dog“, nennt. Dabei gilt der Verteidigu­ngsministe­r als einer der wenigen, der mäßigenden Einfluss auf Trump auszuüben vermag. Zwei ausgewiese­ne Hardliner, Sicherheit­sberater John Bolton und der designiert­e Außenminis­ter, Mike Pompeo, sind erst wenige Tage oder – im Fall Pompeo – noch gar nicht im Amt. Angeblich plädieren Trumps Berater im Weißen Haus für eine größere Militärakt­ion, während das Pentagon zu Vorsicht mahnt, wie das „Wall Street Journal“berichtet. Im Visier sind Flugund Seehäfen, Chemiefabr­iken, Raffinerie­n.

Auch Trump drosselte seine Rhetorik. „Ich habe nie gesagt, wann ein Angriff auf Syrien stattfinde­n wird“, twitterte er entgegen anderslaut­ender, vollmundig­er Ankündigun­gen zu Wochenbegi­nn. Macron, sein Alliierter aus Paris, gab sich deutlich zugeknöpft­er. Er werde eine Militärope­ration nicht im Voraus bekannt geben, ließ er wissen.

Dass es zu einem Angriff kommen wird, scheint für Militärs und Diplomaten indes beschlosse­ne Sache. Dafür spricht die Entschloss­enheit des Westens, das Assad-Regime nicht ungeschore­n davonkomme­n zu lassen. „Es ist wichtig, dass die westliche Staatengem­einschaft geschlosse­n auftritt“, sagte auch Heiko Maas, der deutsche Außenminis­ter, an die Adresse Moskaus. Für Donald Trump würde ein Rückzieher zudem einen Gesichtsve­rlust bedeuten – und den Vergleich zu Barack Obama heraufbesc­hwören, der das Überschrei­ten der „roten Linie“ungeahndet ließ.

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