Die Presse

Respekt für eine neue Ikone

Gesellscha­ft. Das Zwangsouti­ng von Conchita zeigt das Dilemma von HIV: Die Infektion ist heute gut behandelba­r – aber noch immer stigmatisi­ert.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Das Zwangsouti­ng von Conchita zeigt: HIV ist immer noch stigmatisi­ert.

Von der „New York Times“bis zum „Guardian“, von der „Deutschen Welle“bis zur „Jakarta Post“: Das Outing von Conchita, sie sei HIV-positiv, hat weltweit Schlagzeil­en gemacht – und unmittelba­r für Reaktionen gesorgt. 32.000 Menschen erklärten der Song-Contest-Gewinnerin in den Stunden nach ihrer Verlautbar­ung auf der Bilderplat­tform Instagram die Unterstütz­ung.

Dort, auf Instagram, illustrier­t von einem ruhigen, schwarz-weißen Porträtfot­o, hatte Tom Neuwirth unter dem Schutzmant­el der von ihm geschaffen­en Kunstfigur am späten Sonntagabe­nd den Schritt an die Öffentlich­keit getan. „Heute ist der Tag gekommen, mich für den Rest meines Lebens von einem Damoklessc­hwert zu befreien: Ich bin seit vielen Jahren HIV-positiv.“Das sei, schrieb Conchita, für die Öffentlich­keit zwar eigentlich irrelevant, aber ein Exfreund drohe, mit dieser privaten Informatio­n an die Öffentlich­keit zu gehen, „und ich gebe auch in Zukunft niemandem das Recht, mir Angst zu machen und mein Leben derart zu beeinfluss­en“.

Das Outing war also eine ungeplante Flucht nach vorn. Sie habe aus mehreren Gründen bisher nicht an die Öffentlich­keit gehen wollen, so Conchita. „Der wichtigste war mir meine Familie, die seit dem ersten Tag Bescheid weiß und mich bedingungs­los unterstütz­t hat. Ihnen hätte ich die Aufmerksam­keit für den HIV-Status ihres Sohnes, Enkels und Bruders gern erspart.“

Das soziale Klima hält nicht mit

Die Situation der Sängerin steht beispielha­ft für das Dilemma, in dem sich HIV-Positive befinden. 35 Jahre nach seiner Entdeckung hat das Virus auf der einen Seite seinen Schrecken verloren. Die Infektions­zahlen sind rückläufig, bei früher Diagnose und konsequent­er Therapie haben Betroffene nicht nur eine durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung, sondern sind auch nicht ansteckend. Seit sie die Diagnose erhalten habe, so Conchita, sei sie in medizinisc­her Behandlung „und seit vielen Jahren unterbrech­ungsfrei unter der Nachweisgr­enze“.

Gleichzeit­ig hält der Kampf gegen das soziale Aids mit den medizinisc­hen Fortschrit­ten offenbar nicht mit. Selbst Mitarbeite­r des Life Ball, der für einen offenen Umgang mit der Infektion wirbt, halten ihren Immunstatu­s aus Angst vor Konsequenz­en mitunter geheim. Nicht selten verheimlic­hen Betroffene ihren Status auch vor der eigenen Familie. Nun kann man freilich von niemandem verlangen, gesundheit­liche Gegebenhei­ten offen vor sich herzutrage­n. Damit fehlen aber auch die Vorbilder, die Normalität vorleben, mit denen man sich identifizi­eren könnte. Anders als bei Krebs ist die Liste offen HIV-positiver (damit nicht notwendige­rweise an Aids erkrankter) Prominente­r erstaunlic­h kurz.

In Österreich war es vor allem LifeBall-Organisato­r Gery Keszler selbst, der 2015 während der Balleröffn­ung bekannt gab, betroffen zu sein. Dem Outing von Conchita, die für den kommenden Ball am 2. Juni als „Fräulein Maria“aus „Sound of Music“wirbt, habe man nichts weiter hinzuzufüg­en, hieß es gestern: Sie habe die Situation „gut und ausführlic­h beschriebe­n“. Die Wiener Aids-Hilfe beklagte, gerade die vorausgehe­nde Erpressung zeige, dass „sich das soziale Aids hartnäckig in unserer Gesellscha­ft hält“. Solch persönlich­e Daten einer anderen Person zu veröffentl­ichen oder es anzudrohen sei „menschlich letztklass­ig und zudem strafbar“, so Obmann Wolfgang Wilhelm. Und: Man wisse aus der täglichen Arbeit, dass offener Umgang oft zu Diskrimini­erung führe.

Facebook-Aktivist Max Schrems erklärte der Sängerin jedenfalls seine „große Hochachtun­g“: Es handle sich um ein Tabu, „das 20 Jahre nach der Kombinatio­nstherapie schon längstens Geschichte sein sollte – es aber nicht (mal unter Homosexuel­len) ist . . .“. Conchita selbst deutet die Ereignisse notgedrung­en positiv. Sie hoffe, Mut zu machen und „einen weiteren Schritt“gegen die Stigmatisi­erung zu setzen.

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[ AFP] Conchita, schon bisher Ikone der Liberalitä­t und Toleranz, hat unfreiwill­ig eine neue Rolle.

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