Der neue Traum vom alten Empire
Großbritannien. In London findet derzeit der Commonwealth-Gipfel statt. Nach dem Brexit erhoffen sich die Briten von den früheren Kolonien neuen wirtschaftlichen Schwung.
Brexit: London erwartet sich nun von den früheren Kolonien neuen Schwung.
Normalerweise sind Gipfeltreffen des Commonwealth farbenprächtige Angelegenheiten am Rande der politischen Folklore. 53 Staaten unter Führung Großbritanniens, die mit 2,4 Milliarden fast ein Drittel der Weltbevölkerung stellen, kommen alle zwei Jahre zusammen und versichern sich ihrer – theoretisch – gemeinsamen Werte und ihrer – praktisch – uneingeschränkten Wertschätzung von Queen Elizabeth als Vorsitzende des losen Staatenbundes. Diesmal aber soll es anders werden: In Zeiten des Brexit will sich Großbritannien als „Global Britain“, so Außenminister Boris Johnson, neu erfinden und schielt dabei auch heftig auf die früheren Kolonien in Amerika, Afrika und Asien.
Premierministerin Theresa May selbst gab die Richtung vor: „Wir streben alle danach (. . .) auch jenseits die Grenzen unseres Kontinents zu gehen.“Den Common- wealth-Gipfel, der am gestrigen Montag in London eingeleitet wurde und mit politischen Gesprächen am Donnerstag und Freitag sowie einem Essen bei der Queen seinen Höhepunkt finden wird, nannte May „eine Erinnerung an unsere einmaligen und stolzen globalen Beziehungen“.
Mag sich Großbritannien historisch und kulturell – nostalgisch verklärt – den Commonwealth-Staaten verbunden fühlen, war wirtschaftlich der Schritt „jenseits der Grenzen unseres Kontinents“nie größer. Großbritannien hat mehr Außenhandel mit Belgien und Luxemburg als mit Kanada und Australien. Während die EU mehr als 45 Prozent des britischen Außenhandels bestreitet, liegt der Anteil des Commonwealth bei zehn Prozent.
Entsprechend düster sehen Experten die Aussichten. Philip Mur- phy, Direktor des Institute of Commonwealth Studies, meint: „Die Vorstellung, dass der Commonwealth die Brexit-Lücke schließen kann, ist reiner Unsinn.“Befürworter der Idee verweisen hingegen auf die höheren Wachstumsraten in dem Block als in der EU. Nach der Commonwealth Trade Review soll der Handel zwischen den 53 Staaten bis 2020 um mindestens 17 Prozent auf rund 700 Milliarden Dollar im Jahr wachsen. So ist eine der Lieblingsweisen der „Brexiteers“, dass die „Befreiung“von Brüssel den Briten die Wiederbelebung einer gern beschworenen „Anglosphäre“erlauben wird, in der Eingeborene weiße Männer mit kühlen Drinks aus Dankbarkeit versorgen, weil sie ihnen die Segnungen der Zivilisation wie die Verwaltung oder das Cricketspiel gebracht haben. Außen- minister Johnson: „Wir werden an alte Freundschaften anknüpfen können.“
Dass den 52 anderen Commonwealth-Staaten der Sinn nach etwas anderem steht, ist freilich selbst London klar. „Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir ein Empire 2.0 anstreben“, sagt ein hoher Beamter. Stattdessen wolle man Freihandel zur Steigerung des Wohlstands für alle fördern. „Der Commonwealth ist kein Wirtschaftspakt”, sagt der Berater Teddy Soobramanien. „Handelsabkommen können nur bilateral geschlossen werden.“
Wie weit jedoch Großbritannien und seine früheren Kolonien auseinanderliegen, zeigt die Kontroverse um karibische Einwanderer aus den 1950er-Jahren, die heute durch Verschärfungen der Gesetze in ihrem Aufenthalt bedroht sind. Bis zu 50.000 Menschen, „die hier ihre Arbeit geleistet und Steuern gezahlt haben“, wie es der Botschafter von Barbados, Guy Hewitt, formulierte, sind betroffen.
Die Vorstellung, der Commonwealth könnte die BrexitLücke schließen, ist reiner Unsinn. philip Murphy, Institute of Commonwealth studies