Die Presse

Der neue Traum vom alten Empire

Großbritan­nien. In London findet derzeit der Commonweal­th-Gipfel statt. Nach dem Brexit erhoffen sich die Briten von den früheren Kolonien neuen wirtschaft­lichen Schwung.

- Von unserem Korrespond­enten GABrIEL rAtH

Brexit: London erwartet sich nun von den früheren Kolonien neuen Schwung.

Normalerwe­ise sind Gipfeltref­fen des Commonweal­th farbenpräc­htige Angelegenh­eiten am Rande der politische­n Folklore. 53 Staaten unter Führung Großbritan­niens, die mit 2,4 Milliarden fast ein Drittel der Weltbevölk­erung stellen, kommen alle zwei Jahre zusammen und versichern sich ihrer – theoretisc­h – gemeinsame­n Werte und ihrer – praktisch – uneingesch­ränkten Wertschätz­ung von Queen Elizabeth als Vorsitzend­e des losen Staatenbun­des. Diesmal aber soll es anders werden: In Zeiten des Brexit will sich Großbritan­nien als „Global Britain“, so Außenminis­ter Boris Johnson, neu erfinden und schielt dabei auch heftig auf die früheren Kolonien in Amerika, Afrika und Asien.

Premiermin­isterin Theresa May selbst gab die Richtung vor: „Wir streben alle danach (. . .) auch jenseits die Grenzen unseres Kontinents zu gehen.“Den Common- wealth-Gipfel, der am gestrigen Montag in London eingeleite­t wurde und mit politische­n Gesprächen am Donnerstag und Freitag sowie einem Essen bei der Queen seinen Höhepunkt finden wird, nannte May „eine Erinnerung an unsere einmaligen und stolzen globalen Beziehunge­n“.

Mag sich Großbritan­nien historisch und kulturell – nostalgisc­h verklärt – den Commonweal­th-Staaten verbunden fühlen, war wirtschaft­lich der Schritt „jenseits der Grenzen unseres Kontinents“nie größer. Großbritan­nien hat mehr Außenhande­l mit Belgien und Luxemburg als mit Kanada und Australien. Während die EU mehr als 45 Prozent des britischen Außenhande­ls bestreitet, liegt der Anteil des Commonweal­th bei zehn Prozent.

Entspreche­nd düster sehen Experten die Aussichten. Philip Mur- phy, Direktor des Institute of Commonweal­th Studies, meint: „Die Vorstellun­g, dass der Commonweal­th die Brexit-Lücke schließen kann, ist reiner Unsinn.“Befürworte­r der Idee verweisen hingegen auf die höheren Wachstumsr­aten in dem Block als in der EU. Nach der Commonweal­th Trade Review soll der Handel zwischen den 53 Staaten bis 2020 um mindestens 17 Prozent auf rund 700 Milliarden Dollar im Jahr wachsen. So ist eine der Lieblingsw­eisen der „Brexiteers“, dass die „Befreiung“von Brüssel den Briten die Wiederbele­bung einer gern beschworen­en „Anglosphär­e“erlauben wird, in der Eingeboren­e weiße Männer mit kühlen Drinks aus Dankbarkei­t versorgen, weil sie ihnen die Segnungen der Zivilisati­on wie die Verwaltung oder das Cricketspi­el gebracht haben. Außen- minister Johnson: „Wir werden an alte Freundscha­ften anknüpfen können.“

Dass den 52 anderen Commonweal­th-Staaten der Sinn nach etwas anderem steht, ist freilich selbst London klar. „Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir ein Empire 2.0 anstreben“, sagt ein hoher Beamter. Stattdesse­n wolle man Freihandel zur Steigerung des Wohlstands für alle fördern. „Der Commonweal­th ist kein Wirtschaft­spakt”, sagt der Berater Teddy Soobramani­en. „Handelsabk­ommen können nur bilateral geschlosse­n werden.“

Wie weit jedoch Großbritan­nien und seine früheren Kolonien auseinande­rliegen, zeigt die Kontrovers­e um karibische Einwandere­r aus den 1950er-Jahren, die heute durch Verschärfu­ngen der Gesetze in ihrem Aufenthalt bedroht sind. Bis zu 50.000 Menschen, „die hier ihre Arbeit geleistet und Steuern gezahlt haben“, wie es der Botschafte­r von Barbados, Guy Hewitt, formuliert­e, sind betroffen.

Die Vorstellun­g, der Commonweal­th könnte die BrexitLück­e schließen, ist reiner Unsinn. philip Murphy, Institute of Commonweal­th studies

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