Die Presse

Bildung verlängert Leben

Ökonomie. WU-Forscher widerlegen eine alte Weisheit: Nicht steigendes Pro-Kopf-Einkommen sorge für höhere Lebenserwa­rtung, sondern gute Ausbildung. Was sind die Lehren für die Politik?

- DIENSTAG, 17. APRIL 2018 VON KARL GAULHOFER

Neue Studie: Nicht ein höherer Lebensstan­dard sorgt für höhere Lebenserwa­rtung.

Es klang so plausibel, fast schon trivial: Mit wachsendem Wohlstand ernähren sich die Menschen gesünder und können sich eine bessere medizinisc­he Versorgung leisten. Steigender Lebensstan­dard bewirkt eine höhere Lebenserwa­rtung: Davon ging die Wissenscha­ft bisher aus. Aber dieses Dogma haben zwei in Österreich tätige Forscher nun zum Einsturz gebracht: Bessere Bildung ist es, die beides kausal bewirkt – sowohl längeres Leben als auch mehr Wohlstand. Zu diesem Ergebnis kommen Wolfgang Lutz und Endale Kebede, nach der Analyse von Daten aus 174 Ländern von 1970 bis 2015. Der Demograf und der Ökonom arbeiten an der WU Wien und am IIASA (Internatio­nales Institut für Angewandte Systemanal­yse) in Laxenburg.

Zweifel an alter Theorie

Ihr Ausgangspu­nkt ist eine berühmte Kurve, mit der Samuel Preston 1975 die Korrelatio­n von Pro-Kopf-Einkommen und Lebensdaue­r anschaulic­h machte (siehe Grafik). Freilich weckte schon sie Zweifel: Sie steigt bei sehr niedrigen Einkommen rasant an, flacht dann aber stark ab. Ab einem gewissen Niveau schien mehr Wohlstand nicht mehr viel zu bringen. Mehr noch: Im Laufe der Zeit verschiebt sich die Kurve nach oben. Es gibt also noch einen anderen Faktor, der die Lebenserwa­rtung beeinfluss­t und mit dem Einkommen nichts zu tun hat. Es lag nahe, ihn mit dem Fortschrit­t in der Medizin zu identifizi­eren. Aber unschön war der zusätzlich­e Grund auf jeden Fall.

In der letzten Zeit wurden die Zweifel lauter. Es erweist sich etwa: In einem Boom steigt die Lebenserwa­rtung nicht stärker als in der Flaute. Der kausale Zusammenha­ng, wenn es ihn gibt, könnte also nur sehr zeitverset­zt wirken. Auch der medizinisc­he Fortschrit­t als ergänzende Erklärung verliert an Glanz: Eine neuere Studie zeigt für Europa ab 1960, dass sich die Kurve immer weniger verschiebt. Eine naheliegen­de Erklärung: Früher gab es große Durchbrüch­e im Kampf gegen Infektions­krankheite­n. Heute sind die häufigsten Todesursac­hen Herzkrankh­eiten und Krebs. Sie sind schwerer zu bekämpfen; auch die teure HightechMe­dizin zur Lebensverl­ängerung bringt in der statistisc­hen Summe überrasche­nd wenig. Sehr viel hängt hingegen von der Lebensweis­e und dem Gesundheit­sbewusstse­in des Einzelnen ab. Die Korrelatio­n mit dem Einkommen wird damit geringer, wie auch die flacher werdende Kurve zeigt.

Neue Kurven ohne Sprünge

In den Fokus der Forschung rückt stattdesse­n die Bildung; hier wird zudem die Korrelatio­n mit der Lebenserwa­rtung in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer markanter. Dabei geht es nicht nur darum, dass Lehrer ihren Schülern zu gesunder Lebensweis­e raten. Neurobiolo­gen zeigen, dass ein gut Gebildeter Risken besser erkennt und vermeidet. Er hat auch einen weiteren Horizont in seiner Lebens- planung. Lutz und Kebede führen diese schon bestehende­n Fäden nun zusammen. Sie bilden aus dem Datenpool ein neues Diagramm und ersetzen dabei das Pro-Kopf-Einkommen durch die mittlere Schuldauer. Aus der seltsam konkaven Kurve wird so fast eine Gerade. Kontinuier­lich steigt die Lebenserwa­rtung mit der Zahl der Ausbildung­sjahre an (übrigens, wie heimische Studien zeigen, auch über die hier gezeigten maximal zwölf Jahre hinaus – wer nach der Matura studiert, lebt im Schnitt nochmals um drei Jahre länger).

Aber was noch wichtiger ist: Die Kurven zu unterschie­dlichen Zeitpunkte­n überlappen sich fast, es gibt keinen Sprung nach oben, der einen ungeklärte­n Zusatzgrun­d anzeigt. Ergänzende Analysen führen die Forscher zum Schluss: Die eigentlich­e kausale Wurzel ist die Bildung. Mit ihr steigen sowohl Lebenserwa­rtung als auch Pro-Kopf-Einkommen.

Zumindest hier und heute – denn Kausalität ist in den sozialen Diszipline­n nicht so universell wie in den Naturwisse­nschaften. Aber Lutz geht davon aus, dass auch in Entwicklun­gsländern und in der europäisch­en Geschichte seit der industriel­len Revolution die Bildung die Priorität hat(te).

Mehr Geld für Kindergärt­en

Was bedeutet das für die Politik? Lutz erinnert im „Presse“-Gespräch daran, dass nur zwei Prozent der Mittel in der Entwicklun­gspolitik der Basisbildu­ng zugutekomm­en. Das Gros fließe „in Infrastruk­turprojekt­e, an die sich Exportförd­erung für heimische Firmen anschließt“– in der traditione­llen Hoffnung, dass mehr Wachstum alle anderen Probleme löse, auch Gesundheit­sfragen.

Aber auch für die inländisch­en Budgets legt die Studie Justierung­en nahe: weniger Mittel in direkte Wirtschaft­sförderung, mehr ins Bildungswe­sen. Wobei Lutz die frühen Jahre betont: Ob jemand die ungesunden Gelüste seines Körpers später gut oder schlecht unter Kontrolle hat, entscheide sich oft schon vor der Volksschul­e.

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