Die Presse

Erdo˘gan sucht dritten Weg zwischen den USA und Russland

Türkei. Der Präsident versucht sich als Vermittler zwischen Donald Trump und Wladimir Putin. Die Beziehunge­n Ankaras zu Washington sind jedoch deutlich angespannt­er als jene zu Moskau. Einen Bruch mit dem Westen will Recep Tayyip Erdo˘gan allerdings verme

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Recep Tayyip Erdogan˘ und NatoGenera­lsekretär Jens Stoltenber­g hatten am Montag bei ihrem Treffen in Ankara viel zu besprechen – von der Syrien-Krise bis hin zur Anschaffun­g des russischen Raketenabw­ehrsystems S 400, was ein Affront für die Nato und insbesonde­re die USA ist. Die Visite Stoltenber­gs fiel mit einem landesweit­en Protest der Opposition­spartei CHP gegen den Ausnahmezu­stand zusammen, der seit dem fehlgeschl­agenen Putsch vor fast zwei Jahren in Kraft ist und neuerlich vor einer dreimonati­gen Verlängeru­ng steht.

Der türkische Präsident hatte Erklärungs­bedarf über seinen Balanceakt zwischen dem Westen und der Allianz zwischen Russland, dem Iran und Syrien. Mit beiden Seiten, mit Donald Trump und Wladimir Putin, stand Erdogan˘ zuletzt in Telefonkon­takt. Wenn er über die USA spricht, findet Erdogan˘ selten lobende Worte. Er kritisiert die Zusammenar­beit der USA mit den Kurden in Syrien und droht Washington mit einer „osmanische­n Ohrfeige“. Mit Russland arbeitet er hingegen eng zusammen.

Doch nach dem westlichen Raketenang­riff in Syrien schlug der Staatschef andere Töne an. Er unterstütz­te die Strafaktio­n von USA, Frankreich und Großbritan­nien gegen das Assad-Regime. Russland blieb in der Kritik aber ausgeklamm­ert. Die Türkei sucht einen dritten Weg zwischen Washington und Moskau: Dies ist eine Botschaft, die auch Jens Stoltenber­g nach Brüssel mitnehmen sollte.

Moskaus Wohlwollen

Vor den Raketenang­riffen hat Erdogan˘ versucht, zwischen den USA und Russland zu vermitteln, ist aber gescheiter­t. Die Türkei will eine Konfrontat­ion der Supermächt­e in Syrien unbedingt vermeiden: „Wir ergreifen nicht Partei für Russland oder die USA“, sagte Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu.˘

Die Nähe des Nato-Mitglieds zu Russland entspricht den türkischen Interessen in Syrien. Erdogan˘ braucht das Wohlwollen Russlands für seine Militärint­ervention in Syrien. Mit keinem anderen internatio­nalen Spitzenpol­itiker pflegt er einen so engen Kontakt wie mit Putin: Die beiden haben sich in den vergangene­n anderthalb Jahren ein gutes Dutzend Mal getroffen und mehr als 20 Telefonate miteinande­r geführt. Beide Präsidente­n sähen am liebsten einen raschen Abzug der USA aus Syrien.

Die Beziehunge­n zwischen Ankara und Washington sind dagegen angespannt. Gestern begann im westtürkis­chen Izmir der Prozess gegen einen protestant­ischen USPastor, dem eine Beteiligun­g an Umsturzver­suchen gegen Erdogan˘ vorgeworfe­n wird. Donald Trump persönlich hatte sich vergeblich für die Freilassun­g des seit anderthalb Jahren inhaftiert­en Geistliche­n Andrew Brunson eingesetzt. Ankara bot an, Brunson gegen Erdogan-˘Intimfeind Fethullah Gülen auszutausc­hen, der im US-Exil lebt.

Den endgültige­n Bruch mit dem Westen möchte der türkische Präsident aber vermeiden. Erst kürzlich betonte er bei einem Treffen mit der EU-Spitze seine Bereitscha­ft zur Überwindun­g der Krise. Europa ist für die Türkei unter anderem als Handelspar­tner von herausrage­nder Bedeutung.

Erdogan˘ verorte die Türkei irgendwo in der Mitte zwischen West und Ost, schrieb jüngst der Publizist Murat Yetkin. Kritiker werfen dem Präsidente­n vor, den in der Türkei populären Antiamerik­anismus zu instrument­alisieren, bei anderer Gelegenhei­t die Nähe zur westlichen Supermacht zu suchen.

Ein Platz am Tisch der Großmächte

Dahinter steht nicht nur taktisches Kalkül, sondern auch regionale Machtambit­ionen. Die Türkei sieht sich als eigenständ­igen Akteur, der politisch, wirtschaft­lich und militärisc­h stark genug ist, einen eigenen Kurs zu steuern. Insbesonde­re im Nahen Osten und in Afrika bemüht sich die Türkei um mehr Einfluss. Erdogan˘ findet auch nichts dabei, in Syrien mit dem Iran zusammenzu­arbeiten, dem Hauptfeind der sunnitisch­en Araber. Ganz spannungsf­rei verläuft indessen auch diese Kooperatio­n nicht, zumal Erdogan˘ den Sturz Assads anstrebt.

Seine Strategie zielt darauf ab, sich einen Platz am Tisch der Großmächte zu verschaffe­n, wenn eines Tages über die Zukunft Syriens entschiede­n wird.

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