Erdo˘gan sucht dritten Weg zwischen den USA und Russland
Türkei. Der Präsident versucht sich als Vermittler zwischen Donald Trump und Wladimir Putin. Die Beziehungen Ankaras zu Washington sind jedoch deutlich angespannter als jene zu Moskau. Einen Bruch mit dem Westen will Recep Tayyip Erdo˘gan allerdings verme
Recep Tayyip Erdogan˘ und NatoGeneralsekretär Jens Stoltenberg hatten am Montag bei ihrem Treffen in Ankara viel zu besprechen – von der Syrien-Krise bis hin zur Anschaffung des russischen Raketenabwehrsystems S 400, was ein Affront für die Nato und insbesondere die USA ist. Die Visite Stoltenbergs fiel mit einem landesweiten Protest der Oppositionspartei CHP gegen den Ausnahmezustand zusammen, der seit dem fehlgeschlagenen Putsch vor fast zwei Jahren in Kraft ist und neuerlich vor einer dreimonatigen Verlängerung steht.
Der türkische Präsident hatte Erklärungsbedarf über seinen Balanceakt zwischen dem Westen und der Allianz zwischen Russland, dem Iran und Syrien. Mit beiden Seiten, mit Donald Trump und Wladimir Putin, stand Erdogan˘ zuletzt in Telefonkontakt. Wenn er über die USA spricht, findet Erdogan˘ selten lobende Worte. Er kritisiert die Zusammenarbeit der USA mit den Kurden in Syrien und droht Washington mit einer „osmanischen Ohrfeige“. Mit Russland arbeitet er hingegen eng zusammen.
Doch nach dem westlichen Raketenangriff in Syrien schlug der Staatschef andere Töne an. Er unterstützte die Strafaktion von USA, Frankreich und Großbritannien gegen das Assad-Regime. Russland blieb in der Kritik aber ausgeklammert. Die Türkei sucht einen dritten Weg zwischen Washington und Moskau: Dies ist eine Botschaft, die auch Jens Stoltenberg nach Brüssel mitnehmen sollte.
Moskaus Wohlwollen
Vor den Raketenangriffen hat Erdogan˘ versucht, zwischen den USA und Russland zu vermitteln, ist aber gescheitert. Die Türkei will eine Konfrontation der Supermächte in Syrien unbedingt vermeiden: „Wir ergreifen nicht Partei für Russland oder die USA“, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu.˘
Die Nähe des Nato-Mitglieds zu Russland entspricht den türkischen Interessen in Syrien. Erdogan˘ braucht das Wohlwollen Russlands für seine Militärintervention in Syrien. Mit keinem anderen internationalen Spitzenpolitiker pflegt er einen so engen Kontakt wie mit Putin: Die beiden haben sich in den vergangenen anderthalb Jahren ein gutes Dutzend Mal getroffen und mehr als 20 Telefonate miteinander geführt. Beide Präsidenten sähen am liebsten einen raschen Abzug der USA aus Syrien.
Die Beziehungen zwischen Ankara und Washington sind dagegen angespannt. Gestern begann im westtürkischen Izmir der Prozess gegen einen protestantischen USPastor, dem eine Beteiligung an Umsturzversuchen gegen Erdogan˘ vorgeworfen wird. Donald Trump persönlich hatte sich vergeblich für die Freilassung des seit anderthalb Jahren inhaftierten Geistlichen Andrew Brunson eingesetzt. Ankara bot an, Brunson gegen Erdogan-˘Intimfeind Fethullah Gülen auszutauschen, der im US-Exil lebt.
Den endgültigen Bruch mit dem Westen möchte der türkische Präsident aber vermeiden. Erst kürzlich betonte er bei einem Treffen mit der EU-Spitze seine Bereitschaft zur Überwindung der Krise. Europa ist für die Türkei unter anderem als Handelspartner von herausragender Bedeutung.
Erdogan˘ verorte die Türkei irgendwo in der Mitte zwischen West und Ost, schrieb jüngst der Publizist Murat Yetkin. Kritiker werfen dem Präsidenten vor, den in der Türkei populären Antiamerikanismus zu instrumentalisieren, bei anderer Gelegenheit die Nähe zur westlichen Supermacht zu suchen.
Ein Platz am Tisch der Großmächte
Dahinter steht nicht nur taktisches Kalkül, sondern auch regionale Machtambitionen. Die Türkei sieht sich als eigenständigen Akteur, der politisch, wirtschaftlich und militärisch stark genug ist, einen eigenen Kurs zu steuern. Insbesondere im Nahen Osten und in Afrika bemüht sich die Türkei um mehr Einfluss. Erdogan˘ findet auch nichts dabei, in Syrien mit dem Iran zusammenzuarbeiten, dem Hauptfeind der sunnitischen Araber. Ganz spannungsfrei verläuft indessen auch diese Kooperation nicht, zumal Erdogan˘ den Sturz Assads anstrebt.
Seine Strategie zielt darauf ab, sich einen Platz am Tisch der Großmächte zu verschaffen, wenn eines Tages über die Zukunft Syriens entschieden wird.