„Assad hat eine sehr gute Verhandlungsposition“
Interview. Außenministerin Kneissl sieht nach Militärschlag ein Zeitfenster für Gespräche mit Syriens Präsident Assad.
Die Presse: Ist im Kreis der EU-Außenminister in Luxemburg Kritik an den Militärschlägen in Syrien laut geworden? Karin Kneissl: Nein. Viele haben Verständnis gezeigt.
Aber vermutlich nicht alle. Halten Sie die Militäraktion für sinnvoll? Sinnvoll? Die Rechtsmeinungen gehen auseinander, ob die Militäraktion durch die UNResolution 2118 aus dem Jahr 2013 gedeckt ist oder nicht. Beim Treffen der EU-Außenminister war der Wunsch spürbar, dass wir die aktuelle Situation nützen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Warum sollten Russen, Iraner und Syrer ausgerechnet jetzt gesteigertes Interesse an Gesprächen haben? Der mit Russland und dem Iran verbündete syrische Präsident Assad hat im Moment eine sehr gute Verhandlungsposition. Er hat die Kontrolle über fast 90 Prozent des Staatsgebiets wiedererlangt. Man muss sich fragen: Was ist die Alternative? Sollen wir warten, bis die nächste Welle des Blutvergießens beginnt? Oder nützen wir das Zeitfenster, um mit Schwung in Verhandlungen zu gehen?
Ist die Zeit wirklich reif für Frieden? Ist Assad nach seinen jüngsten militärischen Erfolgen nicht vielmehr ermutigt, seinen Rückeroberungsfeldzug fortzusetzen? Anfang September prägte UN-Sondergesandter Staffan de Mistura einen Satz, der mir klar in Erinnerung blieb: Syriens Regierung möge nicht Sieg rufen, und die Opposition möge begreifen, dass sie den Krieg verloren hat. Damals hat es so ausgesehen, als würde sich der Krieg totlaufen. Seit dem Herbst hat sich die Situation dramatisch verschärft. Jetzt könnte neuer Manövrierraum entstanden sein, um auf Assad einzuwirken. Ich hatte diesbezüglich ein gutes bilaterales Gespräch mit dem britischen Außenminister, Boris Johnson.
Was hat Johnson gesagt? Man will engagiert bleiben, sich jetzt nicht aus Syrien verabschieden. Das ist ja auch eine der Hauptstoßrichtungen des französischen Präsidenten Macron: Er will, dass die Amerikaner in der Region engagiert bleiben.
Machtpolitisch hat der Militärschlag in Syrien nichts verändert. Welchen Hebel haben die USA und Europa in Syrien? Haben nicht längst Russland, der Iran und die Türkei das Heft in der Hand? Russland konnte das Vorgehen der USA, Frankreichs und Großbritanniens nicht verhindern. Es konnte die schützende Hand nicht vollkommen über Assad halten. Das ist schon ein gewisses Zeichen. Natürlich kann man sich fragen, was es strategisch gebracht hat. Aber nun ist ein klares Interesse aller Beteiligten erkennbar, dass multilaterale Mechanismen operativ gemacht werden. Die Chemiewaffeninspektoren brauchen Arbeitsbedingungen, unter denen sie ihre Untersuchungen durchführen können.
Wäre es nicht gescheiter gewesen, mit dem Militäranschlag abzuwarten, bis die Inspektoren die Untersuchung des Giftgasanschlags in Duma abgeschlossen haben? Ausreichend Zeit für solche Untersuchungen zu haben ist zweifellos wichtig. Aber es gab dieses Momentum: Die USA, Großbritannien und Frankreich standen unter dem Eindruck, und diesen Eindruck teilten auch wir, dass der wiederholte Einsatz von Chemiewaffen nicht hingenommen werden kann.
Der deutsche Außenminister, Heiko Maas, wiederholte heute, dass es mit Assad keine Lösung in Syrien geben könne. Ist das realistisch? Stellt sich mittlerweile nicht eher die Frage, ob eine Lösung ohne Assad möglich ist? Das Mantra, nicht mit Assad zu sprechen, ist eigentlich weg. Es wurde in den vergangenen beiden Jahren fallen gelassen. Ein Verhandlungsprozess, bei dem alle Beteiligten am Tisch sitzen, ist das Um und Auf.
Wären Sie bereit, direkte Gespräche mit der syrischen Regierung zu führen? Diese Frage stellt sich momentan nicht. Österreich kann an zwei Strängen arbeiten: Wir können den UN-Standort Wien als Veranstaltungsort anbieten oder uns bei einer Pendeldiplomatie nützlich machen, aber dafür braucht es eine Anfrage.
Und bis jetzt hat noch niemand angefragt. Noch nicht. Aber wir bieten unsere guten Dienste an. Das haben Bundeskanzler Sebastian Kurz und ich am Wochenende besprochen. Ich bin am Donnerstag in Russland. Da kann ich vorfühlen. Aber als Vermittler drängt man sich nicht auf. Um Vermittlung wird man gefragt.